© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/20 / 25. September 2020

Ländersache: Sachsen
„Der ist genau richtig“
Paul Leonhard

Den Festredner zum Tag der Deutschen Einheit im Sächsischen Landtag hat dessen Präsident Matthias Rößler (CDU) mit Bedacht gewählt: seinen alten Mitstreiter Arnold Vaatz. Beide sind Jahrgang 1955, wurden 1990 Mitglied der CDU – Vaatz kam vom Neuen Forum, Rößler vom Demokratischen Aufbruch. Sie waren Minister im Kabinett von Kurt Biedenkopf, gelten als unbequem und stehen am Ende ihrer politischen Karriere. 

Rößler nutzt die letzte Gelegenheit, einen direkt gewählten Bundestagsabgeordneten sprechen zu lassen, der in Dresden als führender Kopf der Bürgerbewegung gilt und bis heute mit nonkonformen Ansichten für Schlagzeilen sorgt. Gleichzeitig ist es der Test, wie es um das Demokratieverständnis, um das Aushalten von Meinungen Andersdenkender in Sachsen im allgemeinen und im Landtag im speziellen bestellt ist.

Schlecht, dürfte das erste Fazit lauten. Denn kaum war der Name Vaatz gefallen, als schon die Fraktionen von Grünen und SPD, also Parteien, die als Juniorpartner an der Seite der CDU das Land mitgestalten, ihre Teilnahme am Festakt absagten. Kurz darauf schloß sich die umbenannte SED dem Boykott an. Er könne nicht erkennen, was Vaatz „für diese Festrede qualifiziert“, teilte Linken-Fraktionschef Rico Gebhardt mit, einst hauptamtlicher FDJ-Sekretär, als der Wehrdienstverweigerer Vaatz zwangsweise im Stahlwerk Maxhütte Unterwellenborn schuftete.

Die Stimmung im Parlament hat sich umgekehrt. Verließen Anfang der neunziger Jahre die Abgeordneten der Sachsen-Union aus Protest den Plenarsaal, wenn PDS-Vertreter ans Rednerpult traten, die früher für die Stasi gespitzelt hatten, so boykottieren jetzt linke Parlamentarier den Festakt zum 30. Jahrestag der Wiedervereinigung. Man sei nur noch dann ein „Herbstbeteiligter, wenn man ein Linker ist“, spottete Vaatz in einem Gastbeitrag für die Achse des Guten.

Die Verdienste Vaatz’ rund um die Friedliche Revolution seien unbestritten, von einem Festakt im Landtag „erwarten wir aber ein Signal der Verbindung und des Zusammenführens“ und keine weitere Spaltung, teilte Sabine Friedel, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, mit. Vaatz sei kein Mann der Versöhnung, sondern „schüre noch weiteren Groll“, kritisierte der SPD-Abgeordnete Frank Richter, als Pfarrer einst Mitglied der Dresdner „Gruppe der 20“ und ehemaliger Chef der Landeszentrale für politsche Bildung. Vaatz’ Kritik an der Diffamierung der Proteste gegen die Corona-Einschränkungen durch Bundesregierung und Berliner Senat seien „unerträglich, provokant und anschlußfähig an Positionen der Neuen Rechten“.

Vielleicht fühlte sich Richter als „Revolutionsadel“ angegriffen, den Vaatz, der schon Merkels Energiewende als „sinnloses Experiment“ bezeichnet hat, auf der Achse des Guten kritisierte, als er von seinen Sorgen schrieb, weil sich die Menschen von der etablierten Politik abwenden und die Politiker „für diese schockierende Tendenz die Ursachen“ nicht bei sich selbst „und dem abgehobenen Medien-Filterblasenchor und ihrem durchgängig linksgrünen Sendungsbewußtsein suchen, das jede Meinungsvielfalt erstickt wie früher die Zensurabteilung des SED-Politbüros“.

Da Landtagspräsident Rößler unbeirrt an Vaatz als Festredner festhält – „der ist genau richtig“ – steht nicht nur den Sachsen eine wichtige Rede ins Haus.