© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/20 / 25. September 2020

Schluß mit lustig
Handelspolitik: EU-Kommission will Firmenübernahmen erschweren / Kommt eine heimliche „Lex China“?
Albrecht Rothacher

Der große EU-China-Gipfel sollte der Höhepunkt zur Halbzeit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft werden. Angela Merkel wollte den „Obersten Führer“ Xi Jinping – KP-, Militär- und Staatschef auf Lebenszeit – von ihren 26 EU-Kollegen mit großem Tamtam huldigen lassen. Doch nicht nur der chinesische Coronavirus machte der Kanzlerin einen Strich durch Rechnung – es gab schlicht nichts zum feiern. Die geplante Mega-Schau schrumpfte zu einer mickrigen Video-Konferenz, bei der auch Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) und EU-Ratspräsident Charles Michel banale Stellungnahmen vorlasen.

Das Investitionsschutzabkommen kommt nach sieben Jahren Verhandlungen nicht vom Fleck. Die EU will von China Rechtsschutz für europäische Investitionen im Land, den Schutz geistigen Eigentums, ein Ende des erzwungenen Technologietransfers an einheimische Zwangspartner, der Dauersubventionierung der Staatskonzerne und den Zugang zum öffentlichen Beschaffungswesen. Selbstverständlichkeiten, die chinesische Investoren in Europa längst genießen, doch Peking mauert – mehr noch: China ist vom „strategischen Partner“ zum Rivalen geworden.

Bringen Hongkong und Huawei ein Umdenken?

„Chinas Ziel ist die Umwandlung der internationalen Ordnung in ein selektives System mit chinesischen Merkmalen“, warnt Josep Borrell, Sozialdemokrat, früherer spanischer Außenminister und seit 2019 EU-Außenbeauftragter. Oder weniger diplomatisch ausgedrückt: Peking strebt nach einer Hegemonie, die die Pax Americana ablöst und den europäischen Traum einer regelbasierten Weltordnung mit gleichberechtigten Partnern in Schall und Rauch aufgehen läßt. Die Sonderregelungen („Ein Land, zwei Systeme“) für die frühere britische Kronkolonie Hongkong werden sukzessive beseitigt – auch wenn das den Finanzplatz elementar bedroht.

Als nächstes könnte Taiwan (Rang 32 der deutschen Exportstatistik) in den Pekinger Fokus rücken. Noch klammert sich die EU an ihr Mantra der „Ein-China-Politik“ und appelliert an eine friedliche Lösung, die immer unwahrscheinlicher wird, je stärker Pekings Hochrüstungspolitik anhält. Schon sind vier Flugzeugträgergruppen im Bau, die dann der US-Marine im Pazifik ebenbürtig sein sollen. Bis 2049 soll die Volksbefreiungsarmee zur führenden militärisch-technologischen Macht der Welt werden, verkündete Präsident Xi unlängst ganz offen.

Die Massenüberwachung ist ebenfalls keine „innere Angelegenheit“, wie der aktuelle Fall Shenzhen Zhenhua Data Technology zeigt: Laut Recherchen der IT-Experten Christopher Balding (USA) und Robert Potter (Australien) soll die chinesische Firma Daten von 52.000 US-Bürgern, 35.000 Australiern, 10.000 Indern, 9.700 Briten und 5.000 Kanadiern systematisch gesammelt haben – also eine Art Mini-NSA aus dem Reich der Mitte? Das dürften weitere Argumente für diejenigen im Bundestag sein, die für einen Ausschluß des chinesischen IT-Konzerns Huawei beim Aufbau des neuen 5G-Mobilfunknetzes.

Die chinesischen strategischen Ziele werden offen artikuliert. Es geht um den Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten und die Zurückdrängung der amerikanischen und indischen Rivalen, klassischer Imperialismus also. Im Pazifik will China die USA von der „ersten Inselkette“, die von Japan bis nach Borneo reicht, bis nach Hawaii verdrängen. Im Indischen Ozean soll der Zugang in den Persischen Golf und nach Ostafrika gegen Indien und die US-Flotte gesichert werden. Der Landweg durch Zentralasien nach Südeuropa soll unter Umgehung russischer Juniorpartner durch die Seidenstraßenprojekte kontrolliert werden (JF 13/19).

Zahnlose nationale Begutachtungsverfahren

Alles paßt zusammen: der militärische Ausbau der Atolle im Südchinesischen Meer zu Marine- und Raketenstützpunkten, der Inselstreit um die Senkaku-Felsen mit Japan, die Alimentierung Nordkoreas, die Grenzschießereien mit Indien im Himalaya, der Bau einer Eisenbahnstrecke von der Unruheprovinz Xinjiang über Islamabad zum chinesisch kontrollierten Hafen von Gwadar (Südwestpakistan) am Golf von Oman. Ein weiterer Wirtschaftskorridor soll durch Zentralasien in den Iran gehen. Weitere marode Staaten im Pazifik und Armenhäuser in Asien werden mit quasikolonialen Kredit- und Infrastrukturverträgen gefügig gemacht.

Über den Hafen von Piräus und etliche andere Beteiligungen hat China in Südeuropa Fuß gefaßt. Mit EU-Geldern bauen chinesische Firmen die größte Brücke in Dalmatien und die Schnellbahnstrecke Belgrad-Budapest – weltoffene EU-Ausschreibungen und Pekinger Subventionen machen es möglich. Dazu kommt der systematische Ankauf technologierelevanter Mittelständler, die durch die Corona-Krise ins Straucheln gekommen sind. Die EU-Kommission hat daher einen Richtlinienentwurf vorgelegt, der die oft zahnlosen nationalen Begutachtungsverfahren durch Genehmigungspflichten ersetzen soll.

Kaufangebote für Firmen mit einem Mindestumsatz von 100 Millionen oder bei kleineren sicherheitsrelevanten Firmen sollen von der EU-Kommission geprüft werden, ebenso wenn mindestens 35 Prozent der Anteile erworben werden. Wenn Staatsgeld im Spiel ist, kann die Übernahme verboten werden, oder es müssen Sparten abgestoßen werden. Kommendes Jahr soll der endgültige Entwurf dem Parlament und Ministerrat zur Beschlußfassung vorliegen. Die USA besitzen eine rigorose Kontrolle ausländischer Investitionen bereits seit 45 Jahren: Präsident Gerald Ford etablierte mit seiner Executive Order 11858 das Committee on Foreign Investment in the United States (Cifius). Unter Fords Nachfolgern wurden die Regelungen verschärft und diverse Firmenübernahmen durch Japaner, Araber, Russen und vor allem Chinesen verhindert.

Aber können die EU-Staaten überhaupt härter auftreten? China setzte 2019 in Deutschland Waren im Wert von 110 Milliarden Euro ab, gleichzeitig ist es mit 96 Milliarden Euro drittgrößter Exportmarkt der deutschen Wirtschaft. Daimler, BMW und VW sind im chinesischen Markt heillos überinvestiert, jedes dritte Auto von ihnen wird dort verkauft – das birgt wirtschaftliches Erpressungspotential.

In Zypern, Griechenland oder Ungarn hat sich Peking massiv eingekauft und kann seine Muskeln spielen lassen. Bei einem bilateralen Handelsdefizit von 164 Milliarden Euro hat die EU aber insgesamt die stärkeren Karten, denn China ist vom europäischen Markt viel mehr abhängig als umgekehrt. Dies gilt auch vor dem Hintergrund des Handelskriegs von Donald Trump, den auch ein Joe Biden nicht einfach beilegen kann. Mehr europäisches Selbstbewußtsein wäre also durchaus möglich.

„Chinese Open Source Data Collection, Big Data, and Private Enterprise Work for State Intelligence and Security“:

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