© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/20 / 25. September 2020

„Ein gutes Gewehr aus Thüringen“
Rüstungsmarkt: C. G. Haenel statt Heckler & Koch / Verdienen bald die Araber am Bundeswehr-Sturmgewehr MK 556?
Paul Leonhard

Die Meldung schlug ein wie eine Bombe: Oberbürgermeister André Knapp freute sich über den Millionenauftrag für das in seiner „Waffenstadt“ Suhl ansässige Unternehmen C. G. Haenel. Knapps CDU-Parteifreund Christian Herrgott, bundeswehrpolitischer Sprecher der thüringischen Landtagsfraktion, applaudierte militärisch knapp: „Freue mich, daß die Truppe ein gutes Gewehr aus Thüringen bekommt!“ Bei den in Erfurt mit CDU-Segen regierenden Linken zogen die meisten lange Gesichter: Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow sprach von einem „ganz und gar vergifteten Geschenk“.

Steffen Dittes, innenpolitischer Sprecher der Linken-Landtagsfraktion, befand, Haenel solle lieber Fahrräder herstellen. Völlig falsch liegt der einstige NVA-Offiziersbewerber und spätere Totalverweigerer damit nicht: Firmengründer Carl Gottlieb Haenel begann 1840, wie später auch die Brüder Löb und Moses Simson in Suhl, mit der Produktion von Waffen für die preußische Armee, denn Suhl gehörte bis 1945 nicht zu Thüringen. Später kamen tatsächlich Fahrrädern hinzu. Nach der Reichsgründung lieferte Haenel den Reichsrevolver (M1879/1883), Bajonette und im Ersten Weltkrieg als Lizenzbau das Infantrie-Gewehr 98 von Mauser.

1925 traten die Waffenkonstrukteure Hugo und Hans Schmeisser bei Haenel ein, 1928 begann die Herstellung der Maschinenpistole MP28 für die deutsche Polizei. Die Reichswehr durfte wegen des Versailler Vertrages nicht beliefert werden, doch belgische MP28-Lizenzbauten gingen nach Spanien, China und Japan. Im Zweiten Weltkrieg kam unter anderem das moderne Sturmgewehr 44 aus Suhl. Es ähnelt äußerlich der später entwickelten AK-47, aber die Kalaschnikow-Konstruktion hat sich wohl mehr von den damals bekannten amerikanischen Pendants abgeschaut.

Maschinenpistole MP28 und Sturmgewehr 44

Allerdings gingen alle Haenel-Konstruktionsunterlagen durch die Hände der zwei großen Siegermächte. Ab April 1945 wurde Hugo Schmeisser zunächst von US-Militärs verhört, aber nicht wie andere Wehrtechnikexperten nach Amerika mitgenommen. Ab Juli übernahm dann die nachrückende Rote Armee die Produktionsanlagen. Hugo Schmeisser durfte zunächst weiterarbeiten, erst am 22. Oktober 1946 wurde er zusammen mit Tausenden anderen Rüstungs- und Technikexperten in die Sowjetunion verbracht („Operazija Ossoawiachim“, JF 19/20). Was er dort bis 1952 genau machte, bleibt Spekulation: Der geniale Waffenkonstrukteur starb ein Jahr später 68jährig in Erfurt.

Auch sämtliche Waffen-Produktionsmittel wurden in Suhl demontiert und in die Sowjetunion verlagert. In der DDR liefen Zweirad- und Waffenfertigung zunächst getrennt, erst 1968 entstand der gemeinsame Staatsbetrieb VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk „Ernst Thälmann“ – benannt nach dem einstigen KPD-Chef aus Hamburg. In Suhl liefen die bekannten Kleinkrafträder „Schwalbe“ und S50/51 vom Band – unter dem Vorkriegsnamen „Simson“. Die Jagdwaffen wurden teilweise unter „C. G. Haenel“ vermarktet – der Name hatte im Westen („nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet“) immer noch einen guten Klang. Auch die Kleinkaliber-MPi 69 für die vormilitärische Ausbildung der DDR-Jugend kam aus Suhl.

Die heutige Firma C. G. Haenel GmbH wurde erst 2008 wieder zum Leben erweckt – als Teil der Merkel-Gruppe, einem weiteren traditionsreichen Suhler Jagdwaffenhersteller. Und die hat die Bundeswehr-Ausschreibung für das neue Standard-Sturmgewehr mit seinem Modell MK 556 gewonnen. Es ähnelt dem M16 der US-Streitkräfte und ist technisch verwandt mit dem CAR 816 des Merkel-Mutterkonzerns Caracal International mit Sitz in Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate/VAE). Haenel fertigt bereits seit 2016 im Auftrag des Beschaffungsamtes in Ko­blenz das RS9-Scharfschützengewehr für die Spezialkräfte von Heer und Marine. Von Hamburg und Sachsen hat die Firma den Zuschlag für die Lieferung von 2.300 Gewehren des Typs CR 223 für die Landespolizei erhalten.

Vorerst das Nachsehen hat nun der traditionelle Bundeswehr-Lieferant Heckler & Koch (H&K) aus Oberndorf am Neckar mit seinen Modellen HK433 und HK416 – letztere eine Waffe, die in der norwegischen und französischen Armee, aber auch bei den US-Marines eingesetzt wird. Denn zum einen muß noch der Bundestag zustimmen, zum anderen kann der unterlegene Bieter aus Südwürttemberg klagen. Schließlich geht es nicht nur um einen 250-Millionen-Euro-Auftrag, sondern auch ums Renomee, Bundeswehr-Lieferant zu sein. Das von den Thüringern in das 2017 eingeleitete Bieterverfahren gebrachte Modell sei billiger zu produzieren und „besser auf die Anforderungen des Militärs zugeschnitten“, zitierte die DPA nicht namentlich genannte „Militärkreise“. Laut Insidern verlangte Haenel, so berichtet die Wirtschaftswoche, für die 120.000 Gewehre über die Lebensdauer von 30 Jahren gut 50 Millionen Euro weniger als H&K.

Deutsche Rüstungsfirmen in ausländischer Hand

Für die ohnehin in einer Krise steckende Waffenschmiede am Ort der legendären Mauser-Werke, die seit 1959 Gewehre und Granatwerfer für die Bundeswehr fertigt, ist das ein weiterer schwerer Schlag. Vor fünf Jahren hatte die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) erklärt, daß der traditionelle Waffenlieferant mit seinem „G36, so wie es heute konstruiert ist, keine Zukunft hat“ (JF 19/15). Angeblich stehe es um die Treffgenauigkeit unter Extrembedingungen schlecht, insbesondere beim Feuerkampf mit langen Schußfolgen oder auch bei klimatischen Spitzen.

Schon damals zählten alle, die im Gegensatz zur Ministerin in Bundeswehr oder NVA mit G3 oder Kalaschnikow geschossen hatten, nach, mit wie vielen Patronen in den Magazinen sie in die Manöver gezogen waren. Kurze Schußfolgen, darauf waren die deutschen Soldaten schon im Zweiten Weltkrieg getrimmt wurden. Nicht nur wegen der Läufe, sondern vor allem wegen der begrenzt vorhandenen Munition. Letztlich siegte im Herbst 2016 H&K im Rechtsstreit um die Treffsicherheit des aktuellen Sturmgewehrs G36 gegen das Verteidigungsministerium.

Laut Ausschreibung will das Verteidigungsministerium eine Waffe, die preiswert zu fertigen ist und alles kann: ausreichend Feuerkraft, um einen überlegenen Gegner niederzuhalten und trotzdem die Präzision, ihn auch zu treffen. Einsetzbar in allen Klimazonen und vom Gewicht her begrenzt. Es sollte keine komplette Neuentwicklung sein und durfte keine US-Technik enthalten, um Washington kein Mitspracherecht bei Exporten zu geben. Seltsamerweise wurde in der Ausschreibung das Kaliber der Waffe nicht festgelegt. Unklar ist noch, wie die Auswahlkommission Technik und Preis gewichtet hat.

Und verfügt Haenel überhaupt über die Kapazitäten, einen so großen Auftrag an seinem Suhler Firmensitz zu stemmen? Laut Geschäftsbericht hatte die Firma 2018 lediglich neun Arbeitnehmer – die Konkurrenz H&K hat in Oberndorf 950 – und erwirtschaftete 7,15 Millionen Euro bei einem Verlust von 485.000 Euro. Diesen übernahm die Merkel Jagd- und Sportwaffen GmbH, die mit 133 Mitarbeitern einen Umsatz von 14,3 Millionen Euro macht. 

Die in die USA gelieferte Caracal-Pistole Model C mußte 2013 wegen technischer Probleme zurückgerufen werden. Allerdings soll Caracal eine CAR-816-Version bereits in Zehntausender-Stückzahl an die indische Armee liefern. Haenel wirbt offiziell mit „production by Nato quality standards AQAP-2110“.

Daß die Merkel-Gruppe zu Caracal und die wiederum zur Tawazun Holding und so zum staatlichen VAE-Rüstungskonzern Edge Group gehört, ist ebenfalls bemerkenswert. Allerdings haben die Emirate am 15. September in Washington einen Friedensvertrag mit Israel unterzeichnet. Bereits seit 2002 gibt es in Al Dhafra einen Stützpunkt der US Air Force. Auch die 2014 begonnenen französischen Luftangriffe auf IS-Stellungen im Irak und Syrien wurden teils von dort geflogen. 

Auch H&K ist nur noch bedingt „deutsch“. Die Mehrheit hält die Luxemburger Zwischenholding CDE, hinter der der französische Investor Nicolas Walewski steht. Nach Angaben des früheren Mehrheitseigentümers Andreas Heeschen wird die CDE von der Finanzgesellschaft Sofi Kapital mit Sitz auf der Karibikinsel Barbados kontrolliert. All diese verworrenen Eigentumsverhältnisse dürften ebenfalls eine Rolle spielen, wenn der Bundestag voraussichtlich im Dezember über die endgültige Auftragsvergabe entscheidet. Die ersten Waffen sollen dann 2023 ausgeliefert werden.

Sollte der Lieferant dann noch immer Haenel sein, kommen die Sturmgewehre jedenfalls nur theoretisch aus Suhl, denn der Firmensitz liegt einige Meter hinter der Stadtgrenze bereits auf der Flur von Schleusingen, wohin bereits heute die Gewerbesteuer fließt. Nur die Gewinne fließen dann aber nach Abu Dhabi.

 www.cg-haenel.de

 www.heckler-koch.com