© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/20 / 25. September 2020

„Make love, not war!“
Theater in der NS-Zeit, JF-Serie: Komödien von Hans Hömberg und Walter Gilbrecht / Umwertung der Hierarchien zwischen Krieg und Kultur
Günter Scholdt

Am 5. Oktober 1940 hatte das Berliner Staatstheater anläßlich der Premiere von Hans Hömbergs „Kirschen für Rom“ wieder eine Sternstunde. Sein Intendant Gründgens schrieb 1954 von dieser Komödie, sie sei eine einzige „Anzüglichkeit und Bezüglichkeit“ und auch so verstanden worden: „Schon mein Auftritt mit dem römischen Gruß und dem Slang ‘Segen und Arbeit’ ging im Getobe unter, und alle Gesänge über die ‘Weisheiten der Wohltaten in besetzten Ländern’, Lukulls Abscheu, sich in einem Land zu befinden, ‘wo die Kinder nichts dabei finden, ihre Eltern zu verraten’ und zum Schluß, daß es ‘neben dem Kriegsruhm andere Lebensgüter gibt’, machten das Stück weit über seinen Anlaß aktuell.“

Nachsicht für die eroberten Provinzen

Zum Inhalt: Der für seine erlesene Küche, Kultur und Lebensart berühmte Lukull steht vor der Heirat mit der angebeteten Fotis. Dennoch verläßt er sie um künftigen Feldherrenruhms willen und zieht in den Krieg ans Schwarze Meer. Als Sieger in mehreren Schlachten ordnet er die dortigen Verhältnisse mit ungewöhnlicher Nachsicht für die eroberten Provinzen und verletzt, indem er seine eigene Vision von Roms Aufgabe als friedliche Kulturmacht praktiziert, die Profitinteressen einflußreicher römischer Finanzkreise. Dies führt zu seiner Ablösung durch Pompeius, der das Söldnerheer durch Pensionsversprechen für sich gewinnt. Lukull verzichtet auf einen Machtkampf und besitzt auch die Größe, Fotis einem jüngeren, altersmäßig geeigneteren Bewerber zu überlassen. Weise geworden, definiert er nun als seine wichtigste, ihn überdauernde Lebensleistung die Einfuhr der Kirschpflanze nach Rom.

Dieser zutiefst humane Patrizier – im Kern friedlich, zivilisatorischen Segnungen und Freuden des Gaumens und der Liebe aufgeschlossen – erinnert ein wenig an Shaws „Cäsar“. Sein Antipode ist der Nur-Militär Pompeius, der schon durch seine abgehackt-hölzerne Kommandosprache ein wenig als Karikatur erscheint. Er wird gezeichnet (ein bißchen in Anlehnung an gewisse Anti-Hitler-Stereotype) als ausschließlich martialisch geprägter kulinarischer wie erotischer Asket.

Das Stück ist somit eine amüsante Auseinandersetzung zwischen kriegerischen und zivilen Tugenden. Es erfolgt keine völlige Entwertung des Heldischen, das aus überquellendem männlichem Tatendrang begründet wird. Aber es gibt zahlreiche Passagen, in denen zumindest das Nur-Militärische als menschliche Reduktion erscheint. Auch suggeriert Hömberg, daß der Antrieb, sich in den Kampf zu begeben, statt sich kulturellen Aufgaben zu widmen oder kulinarisch wie erotisch auszuleben, purem Ehrgeiz entspringt, mehr noch: vor allem fremdgesteuert erscheint durch ein vornehmlich an Kriegstaten orientiertes Sozialprestige:

„Lukull: Der Mann muß sich bewähren. Und wenn er die Gelegenheit hat und sie verpaßt, dann hat er den Anspruch auf Liebe verwirkt.

Fotis: Ist das nicht eine Phrase? ... mein Gefühl sagt mir, daß ihr Männer allesamt den Hang habt, uns Mädchen durch eine zauberhafte Niederträchtigkeit wehrlos zu machen … Denn, was sollen wir im Ernst einwenden, wenn ihr beteuert: es geschieht alles nur für dich! Ihr werdet zu Helden für uns, ihr unternehmt Geschäfte für uns, begeht Verbrechen für uns; im Grunde schmeichelt ihr damit nur eurer Seelenbeschaffenheit, glaubt selbst daran, und die Tragödiendichter nehmen diesen Zug für bare Münze und sorgen in den Theatern für die Verbreitung der Idee.“

Eine weitere Passage verstärkt diese Auslegung durch Lukulls Geständnis: „Herz, ich war bereit, zu bleiben. Aber ich vergaß, an die Mitmenschen zu denken ... Wenn ich nicht fortginge, dann kämen die Freunde, zunächst mit leichten Scherzen, dann mit bitteren Worten, hinter dem Rücken mit spitzen Nadeln – und nach ein paar Wochen könntest du dich nicht mehr auf der Straße sehen lassen.“

Reichsdramaturg zu Goebbels bestellt

Der Geist dieser Komödie zielt auf ein heiteres Spiel mit einem zeitgenössisch schweren Thema, dessen eigentliche Pointe in der Umwertung der Hierarchien zwischen Krieg und Kultur besteht. Indem am Schluß nur mehr die importierten Kirschen gefeiert werden, widerlegt der Autor frühere Befürchtungen Lukulls, der einem orientalischen Despoten gegenüber geäußert hatte:

„Ich habe den Geschmack nach Rom getragen, ich habe die Kochkunst für Rom entdeckt. Und es wäre mein höchster Triumph, wenn mit ehernem Griffel ins Buch der Geschichte eingetragen würde: – Damals lebte Lukull; er war der feinste Geist, den Rom zu seiner Zeit besaß. Er lehrte seine Zeitgenossen leben. Er lehrte sie, das Essen zum Born der Weisheit zu erheben. Mit ihm begann die Erkenntnis, das Dämmern, die Erleuchtung des kulturellen Fortschritts. Aber ich sage Ihnen schon jetzt: es wird ganz anders kommen: man wird mich als den Sieger von Tigranocerta, von Herakleia und Amisos feiern, und wenn die Geschichte großmütig ist, wird sie mich der Nachwelt als Eroberer von Pontus vorstellen. Man muß sich bescheiden, Tigranes, man muß sich bescheiden.“

Als kleine Provokation des Stücks kam hinzu, daß mit dem in eine Frau wie in Uniformen verliebten, bald in die Jahre gekommenen Feldherrn auch Görings Humor getestet wurde, der schließlich Herr der Berliner Bühnen war. Das Berliner Publikum schätzte dergleichen fraglos. Denn bis man die Komödie nach gut 70 Vorstellungen aus dem Programm nahm, war sie ständig ausverkauft! Und landesweit brachte sie es bis 1944 auf 39 Inszenierungen.

„Daß die Aufführung überhaupt möglich war“, schrieb Gründgens, „ist mir psychologisch nur so erklärlich, daß das Regime 1940 auf solchen Höhepunkten des Siegens stand, daß sie dieser Flohstich nicht verletzte.“ Und er verwies auf ein weiteres Hömberg-Lustspiel „Der tapfere Herr S.“, das er umgehend absetzen mußte, weil seine Uraufführung am 21. Januar 1943 just in die Stalingrader Endkrise fiel, wo man für Belehrungen à la Sokrates gegenüber dem Strategen Alkibiades keinen Sinn mehr hatte:

„Die Liebe zum Ruhm – die Liebe zum Vaterland – schön. Schön. Ich wünsche dir, daß dich deine Glut niemals dorthin führt, wo es unsicher ist … Ich wünsche dir, daß Athen niemals klagt: er hat mich aus lauter Liebe zugrunde gerichtet … Ich will mich trotzdem nicht über die Begriffe ‘Vaterland’ und ‘Muttererde’ verbreiten. – Nur eine Bitte habe ich an dich: Werde nicht maßlos, damit sich nicht Ehrgeiz in Vermessenheit verwandelt!“ 

Penelope belehrt ihren Gatten Odysseus

Auch belustigte sich die große Hetäre Aspasia im gleichen Stück über tollkühn-renommistische Männer, die sich in ein Seeabenteuer stürzten, um ihr zu imponieren: „Es hat sich erst unterwegs herausgestellt, daß keiner segeln konnte. Männer sind manchmal wie die Kinder. Alle acht wollten mir einen hohen Begriff von sich geben, und keiner hatte den Mut, seine Unkenntnis einzugestehen. Aber den Mut, mich in den Tod zu fahren, hatte jeder einzelne.“ 

Auf Zuschauerbeschwerden hin mußte Reichsdramaturg Rainer Schlösser danach zum Rapport zu Goebbels, wo laut Protokoll Hömbergs „geistreiche Wortpointen“ auf „verdächtige“ „Tages-Aktualität“ hin untersucht wurden. Man outete Spöttisches bezüglich der damals hochgeschätzten Skulpturen Josef Thoraks und weiteres Zersetzende. Hömberg selbst sah sich zur brieflichen Distanzierung veranlaßt.

Eine Singularität war übrigens sein implizit formuliertes „Make love, not war!“ keineswegs. Und daß meist Frauenfiguren dieses Motto verkörperten, entsprach dem Stimmungstrend der Zeit. Populäre Filme wie „Napoleon ist an allem schuld“ oder „Frauen sind doch bessere Diplomaten“ zeugen davon ebenso wie ernste Dramen von Ilse Langner oder Rehbergs „Wölfe“. Auch war es kaum Zufall, daß keinen Monat nach „Kirschen in Rom“ Walter Gilbrechts Komödie „Ulysses daheim“ Premiere hatte. Den Tenor des Stücks bestimmt Penelopes’ Spott, Odysseus’ vielgerühmte Abenteuer wirkten „reichlich jungenhaft“ und liefen alle auf die „Freude eines Knaben am Kaputtmachen“ hinaus. Als der heftig protestiert, wird er belehrt: 

„Um eine Frau aus Troja heimzuholen, wurden Tausende von Griechenfrauen verlassen. Männerleiber sanken hin um nichts. Höchst wichtige Beschäftigung!“ Über Jahre habe Odysseus’ schützender Arm zu Hause gefehlt: „Was Wunder, daß die gleiche Jungenlust, die dich von dannen trieb, die tollen Freier herzog, und das Zerstörungswerk durch Prassen, Spielen, Schwelgen in diesem deinem eignen Kreis begann?“ Nun aber endlich zurückgekehrt und gereift, möge er die „Ordnung der Natur durch stille Taten weiterwirkend“ erhalten.

Als Odysseus protestiert („Das heiß ich Haustier sein! … O möge ich nie zum Greis veralten!“), entdeckt Penelope sein „erstes weißes Haar“, um es auszuzupfen, und verheißt ihm ganz neue, seinem Alter gemäßere Abenteuer. Das wichtigste sei momentan, seinen Sohn zu verheiraten. Der entgeisterte Gatte echauffiert sich: „Das nennst du – Abenteuer!“ Und Penelope repliziert ungerührt: „Allerdings, nicht weniger aufregend als eine Schlacht, wie du sehr bald bemerken wirst.“






Prof. Dr. Günter Scholdt, Jahrgang 1946, ist Historiker und Germanist. Seine Serie zu Schlüsseltexten der Inneren Emigration wird in loser Folge fortgesetzt.