© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/20 / 02. Oktober 2020

Trumps „Kriegserklärung“
USA: Mit der Kür von Amy Coney Barrett bringt der US-Präsident die Demokraten zur Weißglut
Thorsten Brückner

Für die Demokraten ist es wie eine Kriegserklärung. Nicht nur bekommt der von ihnen verhaßte Präsident Donald Trump bereits in seiner ersten Amtszeit die dritte Chance, mit Richterin Amy Coney Barrett einen Richter für den Obersten Gerichtshof vorzuschlagen. Er ersetzt zudem die liberale Ikone des Gerichts, Ruth Bader Ginsburg, die am 18. September verstarb, durch eine, zumindest von den Demokraten so wahrgenommene, konservative Hardlinerin. 

Die Demokraten werfen den Republikanern um Mehrheitsführer Mitch McConnell im Senat Heuchelei vor. Vor vier Jahren weigerte sich McConnell, Obamas Nominierung Merrick Garland im Senat zur Abstimmung zu stellen. Die Begründung damals: Erst sollten die Wähler über einen neuen Präsidenten entscheiden, bevor dieser dann einen Kandidaten nominiert. Einem „Lame Duck“ wie Obama stünde dies nicht zu.

Am 12. Oktober sollen die Anhörungen beginnen

Ähnlich klingt heute der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden: „Die Verfassung ist so konzipiert, daß sie den Wählern eine Stimme gibt in der Frage, wer dieses Entscheidungen trifft.“ Senatorin Kirsten Gillibrand aus New York sprach gar von einem „illegitimen Prozeß“. Es ist bereits absehbar, daß dieses Mal kein demokratischer Senator für die Absolventin der katholischen Universität Notre Dame Universität stimmen wird. Als Trump Barrett 2017 für das 7. Berufungsgericht in Chicago vorschlug, votierten immerhin drei von ihnen – allesamt wie Barrett Katholiken – für die  Mutter von sieben Kindern. Zwei – Joe Manchin und Tim Kaine – haben dieses Mal bereits ihre Ablehnung angekündigt. Der dritte im Bunde – Joe Donnelly – wurde 2018 abgewählt.

Beide Seiten verweisen auf historische Präzedenz. Seit 1940 wurde kein Richter mehr in einem Wahljahr an den Supreme Court berufen. McConnell betonte dagegen die Unvergleichbarkeit der Situation heute mit 2016. Man müsse bis ins Jahr 1880 zurückgehen, um einen Kandidaten zu finden, der von einer Senatsmehrheit bestätigt wurde, die einer anderen Partei als der Präsident angehörte. 

Am 12. Oktober wollen die Republikaner mit den Anhörungen Barretts beginnen. Der Ball liegt dabei zunächst beim Justizausschuß, der vom republikanischen Senator aus South Carolina, Lindsey Graham geleitet wird, der sich noch schmerzhaft an die Schlammschlacht erinnern wird, die die Demokraten in seinem Ausschuß bei den Anhörungen von Brett Kavanaugh inszeniert hatten.

16 Tage zwischen Nominierung und Anhörung sind relativ kurz. Bei Trumps erster Ernennung Neil Gorsuch vergingen dazwischen 48, bei seiner zweiten Ernennung, Kavanaugh, 57 Tage. Allerdings gab es in der Geschichte auch noch kürzere Zeiträume, etwa 1987, als zwischen der Nominierung von Anthony Kennedy durch Präsident Ronald Reagan und seiner ersten Anhörung nur 14 Tage verstrichen.

Republikaner stehen fast geschlossen hinter Trump

Barrett ist eine frühere Mitarbeiterin des 2016 verstorbenen Supreme-Court-Richters Antonin Scalia, der unter Konservativen große Wertschätzung genoß. Die Demokraten befürchten, daß ein dann sechs konservative und drei linksliberale Richter umfassender Gerichtshof auch das im Urteil Roe vs. Wade verankerte Recht auf Abtreibung wieder zur Disposition stellen könnte. Zudem befürchten sie in einer anstehenden Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit eines Kernelements der Gesundheitsversicherung „Obamacare“ das Aus für ihr einstiges Prestigeprojekt. 

Auch bei der Frage nach dem Recht auf Waffenbesitz sind von Barrett keine – aus konservativer Sicht – negativen Überraschungen zu erwarten. Als Berufungsrichterin stellte sie klar, daß die Verurteilung wegen eines nichtgewaltsamen Delikts keine Aberkennung der Erlaubnis, eine Waffe zu besitzen, nach sich ziehen darf. Ansonsten ist sie – auch aufgrund ihrer erst kurzen Amtsdauer – ein eher unbeschriebenes Blatt. 

Der demokratische Senator Chuck Schumer aus New York drohte bereits: „Keine Option ist vom Tisch, wenn sie damit weitermachen.“ Damit könnte er sich auch auf Äußerungen seines Parteifreundes Joe Kennedy bezogen haben, der den 4. Kongreßdistrikt von Massachusetts im Repräsentantenhaus vertritt: „Wenn es eine Abstimmung 2020 gibt, füllen wir das Gericht 2021 auf.“

 Zwei Senatoren – Mazie Hirono und Ed Markey – haben bereits erklärt, sich für diese Idee erwärmen zu können. Auch die Drohung eines zweiten Impeachment-Verfahrens im Repräsentantenhaus gegen Trump steht im Raum. Dennoch sieht es momentan danach aus, daß die Republikaner über die nötige Mehrheit verfügen, um Barrett zu bestätigen. Lediglich zwei ihrer Senatorinnen, Lisa Murkowski und Susan Collins, haben bisher ihren Widerstand bekundet.