© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/20 / 02. Oktober 2020

Blutiges Ringen im Südkaukasus
Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien: Während Ankara die Aseris offensiv unterstützt, plädiert Moskau für ein Ende der Kämpfe
Jörg Sobolewski

Zwischen Armenien und Aserbaidschan ist es in der Region Bergkarabach nach den Juli-Scharmützeln erneut zu schweren Kämpfen gekommen. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, am 27. September das Feuer auf die andere Seite mit einem Artillerieschlag eröffnet zu haben. Seitdem befindet sich die aserbaidschanische Seite in der Offensive gegen die nominell unabhängige Republik Arzach und den Nachbarstaat Armenien. 

Nach Aussage der aserbaidschanischen Regierung unter Präsident Ilham Aliyev reagierte die aserbaidschanische Seite auf einen armenischen Angriff mit einer Gegenoffensive. Sowohl die armenische als auch die Regierung der Republik Arzach weisen die Vorwürfe eines Erstschlages zurück. Seit dem Unabhängigkeitskrieg der armenisch besiedelten Republik kommt es immer wieder zu Gefechten mit Aserbaidschan, das Anspruch auf die Region erhebt. 

Hinter den beiden Hauptakteuren Armenien und Aserbaidschan stehen zwei Großmächte. Die Türkei unterstützt dabei offensiv die Regierung in Baku, während Rußland traditionell als Schutzmacht der Armenier auftritt. Mehrere tausend russische Soldaten sind nahe der armenischen Hauptstadt Eriwan stationiert. 

Moskau sieht das türkische Engagement in der Region mit Sorge. Denn wenige Monate vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten im September kam es im Juli zu gemeinsamen aserbaidschanisch- türkischen Militärübungen. Ankara vertritt offiziell eine Bündnispolitik, die unter dem Schlagwort „ein Volk, zwei Länder“ zusammengefaßt wird.

 Eriwan: Ankara schickt syrische Söldner 

Besonders die Aufrüstung Bakus mit türkischen Drohnen sorgt aus Sicht Moskaus für eine Verschiebung des Kräftegleichgewichts hin zu Aserbaidschan. Das gebirgige und häufig offene Gelände begünstigte in der Vergangenheit die verteidigenden Armenier, türkische Militärtechnik soll nun den Durchbruch erzwingen. Im Internet zirkulierende Videos zeigen gezielte Drohnenschläge auf eingegrabene armenische Panzer und Artilleriestellungen. Der massierte Einsatz der türkischen Modelle vom Typ Bayraktar TB2, so die Hoffnung der aserbaidschanischen Seite,  soll den Vormarsch auf die Hauptstadt Bergkarabachs, Stepanakert, ermöglichen.

Ebenfalls setzt die Regierung in Baku auf den Einsatz von 4.000 syrischen Söldnern, die nach Aussage des russischen Botschafters in Armenien über die Türkei nach Aserbaidschan strömen. Sowohl die Türkei als auch Aserbaidschan weisen den Vorwurf zurück und beschuldigen ihrerseits die armenische Regierung, mit kurdischen YPG-Kämpfern gemeinsame Sachen zu machen. Ungewöhnlich scharf kritisiert Ankara die angeblich armenische Eskalation und stellt Aserbaidschan türkische Unterstützung für die Rückeroberung der Region in Aussicht: Die Türkei stehe „mit allen Mitteln und ganzem Herzen“ an der Seite Aserbaidschans, es sei an der Zeit, die „Krise in der Region, die mit der Besetzung von Bergkarabach begonnen“ habe, zu beenden. Rußlands Regierungssprecher Dmitri Peskow verkündete, für seine Regierung habe die „Beendigung der Feindseligkeiten oberste Priorität und nicht, wer recht hat und wer nicht“.

Mittlerweile haben sowohl Armenien als auch Aserbaidschan die Teilmobilmachung verkündet. Eine weitere Eskalation der Lage steht somit in Aussicht.