© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/20 / 02. Oktober 2020

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Machen ist wie wollen – Nur krasser!“ (Slogan der Bundeszentrale für politische Bildung zu ihrem diesjährigen Schülerwettbewerb, dazu dekorativ zwei junge Menschen mit Migrationserfahrung auf der Werbeanzeige)

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Am 15. September wurde in Como der katholische Priester Don Roberto Malgesini vor seinem Haus niedergestochen. Er starb kurze Zeit später infolge seiner Verletzungen. Malgesini wurde wegen seiner karitativen Tätigkeit „Vater der Armen“ genannt. Bei dem Mörder handelt es sich um einen Tunesier, der seit dreißig Jahren in Italien lebt, zuletzt ohne Aufenthaltsgenehmigung; die vorgesehene Abschiebung wurde wegen der Corona-Maßnahmen ausgesetzt. Bezeichnend, daß die kirchlichen Stellen eilten, den Täter als Geistesgestörten hinzustellen. Dagegen erklärte die Polizei, daß es sich um einen Gewohnheitsverbrecher – Diebstahl, Raub und schwerer Raub – handele, der nie wegen psychischer Auffälligkeiten behandelt wurde.

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Bei einer repräsentativen Umfrage in Frankreich vom September hat sich ein deutlicher Anstieg der Zustimmung zur Todesstrafe gezeigt. Gegenüber dem Vorjahr wuchs der Anteil derjenigen, die eine Wiedereinführung fordern, von 44 auf 55 Prozent. Wenig überraschend, daß die Positionen der Anhänger des Rassemblement (vormals Front) National kaum verändert sind (85 gegenüber 82 Prozent), während der Meinungswandel im Lager der radikalen Linken als dramatisch (Kommunisten diverser Gruppierungen: von 8 auf 39 Prozent) und in der Mitte (Macronisten von 31 auf 38 Prozent, Republikaner von 48 auf 71 Prozent) als immerhin bemerkenswert einzustufen ist.

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Die Vorstöße, das Zeigen der alten Reichsfarben beziehungsweise der Reichskriegsflagge zu verbieten, zeugen nicht nur von einer bedenklichen Neigung zu Gesinnungsstrafrecht – wer bitte schön, wird wie feststellen, ob das Herumtragen oder Aufziehen in provokativer Absicht geschieht? –, sondern auch von irritierender Unsicherheit. Schon angesichts der Marginalität der Gruppen, die öffentlich mit diesem Symbol auftreten, stellt sich die Frage, wie dadurch die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet sein kann. Was aber noch schwerer wiegt, ist die magische Scheu vor fremder Zeichenmacht und der offensichtliche Mangel an Souveränität. Ganz anders die Obrigkeit des Staates, der Schwarz-Weiß-Rot als Fahne führte. Nicht nur, daß der Reichsgründer Bismarck in seiner Zeit als preußischer Gesandter bei der Bundesversammlung dafür gesorgt hatte, daß die schwarz-rot-goldenen Fahnen der deutschen Flotte von 1848/49 geborgen und aufbewahrt wurden, er unternahm auch nichts dagegen, daß das Denkmal Friedrichs des Großen im Zentrum Berlins mit Schwarz-Weiß-Rot und Schwarz-Rot-Gold dekoriert war, als 1871 die siegreichen Truppen aus Frankreich heimkehrten. Der „deutsche Dreifarb“ blieb in der ganzen Folgezeit präsent: in den akademischen Korporationen wie in der einflußreichen Turnerbewegung und auf dem linken – mithin großdeutschen – Flügel des Liberalismus, das heißt in den Reihen des Fortschritts und der kleinen Deutschen Volkspartei (nicht zu verwechseln mit der rechtsliberalen der Weimarer Republik). Keine Rede davon, das Zeigen von Schwarz-Rot-Gold zu verbieten, übrigens auch nicht das der roten Fahne der ohne Zweifel systemoppositionellen Sozialdemokratie.

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Martina Meister, die Frankreich-Korrespondentin der Welt am Sonntag, hat in ihrem Kommentar zu dem islamistischen Anschlag von Paris erklärt, daß die Motivation des Täters in einer „Grauzone zwischen Terror und Wahnsinn“ zu suchen sei. Deshalb müsse man in Zukunft stärker darauf achten, die zugrundeliegende Ideologie zu bekämpfen. Keinesfalls dürfe die Mirgationspolitik verantwortlich gemacht werden, denn der Attentäter sei als unbegleiteter Minderjähriger ins Land gekommen. Was offenbar bedeutet, daß Frau Meister eine Doppelstrategie vorschlägt: erstens, mit Irren diskutieren, zweitens: sich ins Schicksal fügen, das uns das Menschenrecht auf Zuwanderung bereitet.

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Rolf Wernstedt, Sozialdemokrat, ehemaliger Kultusminister des Landes Niedersachsen und ein typischer Vertreter des linken Kulturprotestantismus, hat sich unlängst in einem Text zur Frage „Welche Rolle spielt Religion für Bildung?“ geäußert. Die Antwort fällt erwartbar aus und gipfelt in Vorschlägen zwecks politischer Nutzbarmachung des christlichen Glaubens im Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Klima- und Corona-Leugnung. Bemerkenswert an alldem ist nur eins, Wernstedts Feststellung: „Ohne Verweis auf die Gleichheit aller Menschen vor Gott wäre die grundgesetzliche Setzung, daß die Würde des Menschen (d. h. aller Menschen) unantastbar ist, nur eine politische. Die Menschenrechte ebenso.“

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 16. Oktober in der JF-Ausgabe 43/20.