© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/20 / 02. Oktober 2020

Zur linken Mitte gerückt
Vor 30 Jahren fand in Hamburg der ereinigungsparteitag der CDU statt / Langfristiger Einfluß der „Blockflöten“-Partei aus der DDR
Paul Leonard

CDU-Generalsekretär Volker Rühe jubelte am 1. Oktober 1990: „Wir sind jetzt eine Partei.“ Da waren die neu gegründeten CDU-Landesverbände der DDR gerade nacheinander der bundesdeutschen CDU beigetreten. Es sind große Brocken und durch und durch vergiftet, wie sich spätestens unter der Regentschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel herausstellen wird. Und auch die zweite Karriere der ehemaligen FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda beginnt an diesem Tag in Hamburg.

Als die 750 Delegierten der bürgerlich-konservativen CDU, sie vertreten 655.000 Christdemokraten in der Bundesrepublik, auf dem 38. Bundesparteitag in Hamburg ihre Zustimmung zur Vereinigung mit der Ost-CDU geben, ahnen sie nicht, daß sie damit viele Mittäter der SED-Blockpartei in ihre Reihen integrieren. Zu siegestrunken sind sie zwei Tage vor der Wiedervereinigung Deutschlands.

Seit der Volkskammerwahl vom 18. März 1990 fühlen sich die Christdemokraten unverhofft im Aufwind. Bis dahin hatte kaum jemand damit gerechnet, daß die Mehrheit der DDR-Bürger nicht der wiedererstandenen SPD ihr Vertrauen aussprechen würde, sondern der AfD, also der Allianz für Deutschland, wie sich das Wahlbündnis nennt, in dem sich die als Partei der „demokratischen Erneuerung“ präsentierende CDU mit dem Demokratischen Aufbruch (DA) und der Deutschen Sozialen Union (DSU) zusammengeschlossen hat.

Freiheit statt Sozialismus wollen 48 Prozent der DDR-Bürger bei der ersten freien Wahl, davon stimmen allein 40,8 Prozent für die CDU. Die Stimmen gelten natürlich nicht der bis zuletzt regimetreuen Ost-Union, sondern Bundeskanzler Helmut Kohl, der endlich dem sozialistischen Spuk und dem Besatzungsregime jenseits der Elbe ein Ende bereiten soll. Und es ist eine klare Absage an alle neuen sozialistischen oder ökologischen Experimente, wie sie die Bürgerbewegten und die entstehenden Ökovereine propagieren.

Helmut Kohl betrachtete die Ost-CDU lange mit Distanz

Von der Macht berauscht zeigt sich auch DDR-Ministerpräsident und Ost-CDU-Chef Lothar de Maizière. Er fordert von Kohl nichts weniger als eine Neuausrichtung der gesamtdeutschen CDU. Diese müsse „zur linken Mitte rücken“. Kohl tut das, was später die von ihm geförderte Merkel umsetzen sollte, ebenso als „dummes Geschwätz“ ab wie de Maizières Forderung von Verhandlungen auf Augenhöhe – weder die DDR noch seine Partei sollten einfach geschluckt werden – oder das vorgelegte christlich-soziale Ahlener Programm von 1947. Was damals keiner der aktiven Politiker erkennt: Die CDU würde sich nicht durch Programme oder Konzepte verändern, sondern durch das Personal, das sie mit der „CDU in der DDR“ schluckt: Blockflöten, stramme Kader aus der Nationalen Front, FDJ-Sekretäre, Kampfgruppenkommandeure, Stasi-Spitzel und vor allem jede Menge Opportunisten.

Während de Maizière Kohl einreden will, die Mitglieder der Block-CDU hätten immer befürchten müssen, „Repressionen, Verdächtigung und Verfolgung ausgesetzt zu sein“, hält dieser lange an seiner Einschätzung vom Dezember 1989 fest, nach dem er bezweifelt, „ob sich die Ost-CDU personell wie ideell weit genug vom Geist des real existierenden Sozialismus entfernt“ hat. „Wir beschlossen einvernehmlich, vorerst auf offizielle Parteikontakte zu verzichten“, schreibt Kohl in seinen Erinnerungen. Mit der vorsichtigen Kontaktaufnahme werden die westdeutschen Landesverbände beauftragt, die Bundespartei bleibt lange auf Distanz.

Neun Monate später hat die Ost-CDU, die einem schwarzen Loch gleich in ihren letzten Monaten den DA und dann auch noch die als „SED des Landes“ geltende Demokratische Bauernpartei Deutschlands mit 100.000 Mitgliedern geschluckt hat, an Kraft gewonnen. Trotzdem ist Kohl dieser sich einerseits andienende, andererseits mit Forderungen auftretende Bündnispartner nicht geheuer, aber gegen die namensgleiche Partei kann er schlecht erfolgreich Wahlkampf machen. Parallelstrukturen auf dem Gebiet der neuen Länder aufzubauen hätte die potentiellen Wähler nur verwirrt. So setzt Kohl auf den Schwung der Einheit und entscheidet, die Ost-CDU zu integrieren. Zuvor startet ein Versuchsballon in Berlin, wo sich die Kreisverbände des alten West-Berlins und der Hauptstadt der noch existierenden DDR am 8. September 1990 zum Berliner Landesverband formen. Gespannt schauen Christdemokraten in ganz Deutschland drei Wochen lang zu, was passiert, wenn kalte Krieger, Opportunisten und einige Querdenker in einen Topf geworfen werden.

In Hamburg gibt es dann auf dem 38. Parteitag der CDU (West) am folgenden Nachmittag des ersten gesamtdeutschen Parteitags der CDU, den Kohl mit den Worten „Uns eint die Überzeugung, daß nur aus christlicher Verantwortung das Leben unseres Volkes in demokratischer Ordnung neu gestaltet werden kann“ eröffnet, reichlich Posten für die frisch Gewendeten: Lothar de Maizière erhält das speziell für ihn geschaffene Amt des Stellvertretenden, drei von zehn Präsidiums- und sechs von 26 Bundesvorstandssitzen gehen an Personen aus der DDR.

Daß er de Maizière genau zugehört hat, als der mit dem finanziellen Reichtum seiner Partei prahlt, zeigt Kohl als er einen Beschluß durchsetzt, nachdem die Partei am 12. November 1990 auf den Immobilien- und Unternehmensbesitz der Ost-CDU verzichtet. Lediglich das Barvermögen von umgerechnet rund 20 Millionen Euro übernimmt man und leitet es umgehend in die Parteizentrale nach Bonn um. Damit sind die bisher reichen Landesverbände im Osten plötzlich arm wie Kirchenmäuse. Keine Rede mehr davon, daß die Ost-CDU ihren Westpartnern bei deren Entschuldung helfen könne, plötzlich hängt man selbst am Tropf der Westdeutschen und muß die Strukturen straffen. Die Zahl der hauptamtlichen Funktionäre schrumpft von 1.700 auf 175, die Kreisgeschäftsstellen von 210 auf 87.

Frühere DDR-Kader werden sogar Ministerpräsidenten

Trotz der folgenden Wahlerfolge der CDU in den neuen Ländern, wo zu DDR-Zeiten linientreue CDU-Funktionäre wie Josef Duchac, Dieter Althaus (Thüringen), Stanislaw Tillich (Sachsen), Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt) Regierungschefs werden können, dauert der durch die unterschiedlichen Biographien bedingte Richtungsstreit in den Stadt- und Kreisverbänden noch Jahrzehnte. Neben Altkadern streiten „Westimporte“ um aussichtsreiche Posten. Dazu kommen unberechenbare Querdenker aus ehemaligen regimekritischen Basisbewegungen wie dem Neuen Forum, die sich den Christdemokraten angeschlossen haben. Für die westdeutschen Landesverbände ändert sich dagegen kaum etwas, bis diese plötzlich erkennen müssen, daß das da nicht mehr ihre Partei ist, die heute in Berlin als CDU regiert. Merkel hat de Maizières politische Vorgabe umgesetzt: Die CDU ist zur linken Mitte gerückt.