© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/20 / 09. Oktober 2020

Trump räumt ab
Entgegen allen Umfragen weisen viele Indizien auf einen erneuten Sieg des Republikaners
Thomas Kirchner

Glaubt man den Umfragen, sieht es schlecht aus für Donald Trump: Joe Biden führt mit weit größerem Abstand als Hillary Clinton vor vier Jahren. Dazu kommt die Corona-Infektion des US-Präsidenten – durch sie rächt sich, daß der 74jährige zugleich Kandidat und oberster Wahlkampfmanager in Personalunion ist. Millionen sind arbeitslos und auf staatliche Unterstützung angewiesen. Hat Trump da überhaupt noch eine Chance?

Im ersten Fernsehduell spielte Trump die Rolle, in der ihn Amerikaner aus seiner Zeit als Fernsehstar kennen und lieben: der unerbittliche Boß, der jeden Lehrling feuert, der nicht seinen Ansprüchen genügt. Und Trumps Wahlerfolge versteht man nur mit Blick auf die von 2004 bis 2015 laufende NBC-Sendung „The Apprentice“, in der ambitionierte Anwärter um einen Arbeitsplatz in Trumps Immobilienimperium wetteiferten. Zwar lärmt und pöbelt er, doch der Zuschauer akzeptiert das. So ist der Boß eben.

Mit bis zu 28 Millionen Zuschauern sahen neun Prozent der US-Bevölkerung die Sendungen, fast halb so viele wie jetzt beim Fernsehduell gegen Biden. Einige der Gewinner sind inzwischen zu Reichtum und Ruhm gekommen und selbst Stars. Dementsprechend spielte Trump im ersten Fernsehduell den Boß, so wie ihn die Zuschauer kennen. Ihm gegenüber Joe Biden als netter, älterer Gentleman, der auch mal Präsident werden möchte – ein Lehrling eben. Als politische Debatte war es eine Katastrophe, als mediale Imagepflege ein Erfolg. Trumps Tabubrüche sind wohlkalkuliert.

Als Faustregel gilt, daß Demokraten in Umfragen mit zwei bis drei Prozentpunken führen müssen, um die Wahl zu gewinnen. Dabei werden mehr registrierte demokratische Wähler befragt als registrierte Republikaner. Hintergrund ist der um sechs bis acht Prozent höhere Anteil registrierter Demokraten in der Gesamtbevölkerung. Außerdem korrigieren Erfahrungswerte unterschiedliche Wahlbeteiligung. In nach dieser Methode geführten Umfragen liegt Joe Biden mit bis zu 14 Prozentpunkten vor Trump.

Doch es gibt starke Indizien, daß die Wählerbewegungen der letzten Jahre alte Erfahrungswerte zunichte machen. Trumps enthusiastische Basis zieht in Schlüsselstaaten wie Florida oder Pennsylvania von Tür zu Tür und registriert Neuwähler. Biden versucht es mit einer Internet-Kampagne. Die Republikaner liegen erstmals bei der Registrierung neuer Wähler mit Abstand vorne. In Florida liegt dieser Vorsprung bei 100.000 Wählern zugunsten der Republikaner. Trump gewann 2016 dort mit 112.000 Stimmen. Aber Biden kann eigentlich nur gewinnen, wenn er in Florida, Michigan oder beiden siegt. Denn das sich aus den jeweils gewonnenen Bundesstaaten rekrutierende Wahlmännergremium, nicht die US-weite Stimmenmehrheit, ist entscheidend.

Während Trump in vielen Medien als Rassist gescholten wird, sieht seine Beliebtheit bei Minderheiten nicht schlecht aus. Republikanische Strategen hatten Minderheiten als Wählergruppe schon länger aufgegeben, obwohl viele kulturell der Partei näher stehen als den Demokraten. Viele Schwarze etwa sind tief religiös: 47 Prozent gehen wöchentlich in die Kirche. Sie haben mit konservativen weißen Christen auf dem Land mehr gemein als mit progressiven Großstadthippies. Gleiches gilt für die katholischen Latinos, von denen viele aus Kuba oder Venezuela geflohen sind und sich nicht für den demokratischen Sozialismus einer Alexandria Ocasio-Cortez begeistern, der bei Demokraten an Einfluß gewinnt.

Unter Schwarzen ist Trump beliebter als jeder republikanische Präsident vor ihm. Das hängt nicht nur mit der lange niedrigen Arbeitslosigkeit zusammen, sondern auch mit der Justizreform, durch die als ungerecht empfundene drakonische Haftstrafen verkürzt und Tausende vorzeitig entlassen wurden. Fast alle afroamerikanischen Familien sind von ihr betroffen, denn 30 Prozent aller schwarzen Männer sitzen mindestens einmal in ihrem Leben im Gefängnis.

Auch beim Thema innere Sicherheit liegt die Mehrheit auf Trumps scharfer Linie, insbesondere Minderheiten, deren Viertel unter Gewalt und Kriminalität besonders leiden. Die Kürzung von Polizeietats macht sich dort stärker bemerkbar. Auch die Weigerung der meisten Demokraten, Ausschreitungen im Rahmen der „Black Lives Matter“-Demonstrationen zu verurteilen, stößt beim Großteil der Wähler auf Unverständnis.

Letztlich wird die Wahl vom Geldbeutel bestimmt – und da vertrauen viele Trump. Der Boom bis zum Ausbruch der Corona-Krise ist noch in Erinnerung. Der Rekordanstieg der Arbeitslosenzahl von sieben auf mehr als 22 Millionen im April ist schon wieder Vergangenheit. Durch den Rückgang auf zuletzt 12,8 Millionen sind fast zwei Drittel des Anstiegs wieder wettgemacht.

Die Stimmung im Land ist also weit besser für Trump, als es die statistisch berichtigten Umfragen vermuten lassen. 56 Prozent der Amerikaner glauben an Trumps Wiederwahl. Und die nach traditioneller Zufallsauswahl geführte Umfrage des britischen Boulevardblatts Daily Express deutet auf einen knappen Wahlsieg Trumps mit 46 zu 45 Prozent hin. In den Schlüsselstaaten Florida und Pennsylvania würde Trump sogar mit vier Prozent führen. Trump hat also beste Chancen.

Doch egal wie die Wahl ausgeht, für Deutschland wird sich danach in der Sache nicht viel ändern. Bestenfalls der Ton würde unter Biden wieder versöhnlicher. In der Sicherheitspolitik werden die USA die Kooperation in der Five-Eyes-Allianz, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland ausbauen, nicht nur politisch und militärisch, sondern irgendwann auch wirtschaftlich. Unter Trump wird diese Entwicklung schneller voranschreiten als unter Biden. Angela Merkels demonstrative Trump-Verweigerung versetzt Deutschland dabei in eine Zuschauerrolle.