© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/20 / 09. Oktober 2020

Nele Pollatschek. Die linke Autorin verweigert sich dem Gendern und erregt Empörung.
Gestatten, Schriftsteller
Thomas Paulwitz

Wer im Ausland studiert, lernt andere Kulturen und ihre Sichtweisen gut kennen, sieht manches differenzierter – stößt nach der Rückkehr mit seinem freieren Denken mitunter aber auch auf Unverständnis. So ergeht es Nele Pollatschek, seit sie aus Großbritannien eine andere, nicht-totalitäre Sicht zum Thema „Geschlechtergerechtigkeit“ mitgebracht hat: „Ich gendere nicht, ich möchte nicht gegendert werden – gerade weil ich weiß, wie Diskriminierung sich anfühlt“, so die jüdische Schriftstellerin. Die Linke reagierte verdattert: Da preist eine feministisch sozialisierte Kulturschaffende das generische Maskulinum! Als junge jüdische Frau untergräbt sie so das Feindbild vom „alten weißen Mann“. Und zur Krönung bezeichnet sich Pollatschek selbst auch noch lieber als „Schriftsteller“ denn als Schriftstellerin. Die Feminist*innen in den deutschen Zeitungsredaktionen schäumen: „Nele Pollatschek will schlicht nicht wahrhaben, daß es um Differenzierungen geht“, ließ etwa die Berliner Zeitung wissen.

Wie konnte das geschehen? Geboren 1988 in Ost-Berlin, studierte Pollatschek Englische Literatur und Philosophie in Heidelberg, Cambridge und Oxford. Vor zwei Jahren wurde sie dort zur Theodizeefrage im viktorianischen Roman promoviert. 2016 feierte sie ihr Debüt mit dem Roman „Das Unglück anderer Leute“, für den sie den Friedrich-Hölderlin- und den Grimmelshausen-Förderpreis erhielt. Kürzlich erschien im Galiani-Verlag „Dear Oxbridge. Liebesbrief an England“. Dem Tagesspiegel gestattete sie, daraus das Kapitel „They. Gendern auf englisch“ in überarbeiteter Form abzudrucken.

Als Schlüsselerlebnis beschreibt Pollatschek die Frage eines englischen Professors, „ob wir in Deutschland Angela Merkel wirklich als ‘Kanzlerin’ bezeichnen und ob deutsche Feministen nichts dagegen täten“. Während die deutsche Presse mit allerlei bunten Schreibweisen das biologische weibliche Geschlecht in der Sprache betont, geht der englische Feminismus den entgegengesetzten Weg. So beschloß der Guardian, etwa das Wort „Actress“ zu streichen und nur noch „Actor“ zuzulassen. Das war Pollatschek sympathisch: „Im Grunde gibt es nur ein wirklich gutes Argument gegen das Gendern: Es ist leider sexistisch.“ Geschlechterbetonte Schreibweise führe zu Ungleichbehandlung. Doch „wer will, daß Männer und Frauen gleichbehandelt werden – der muß sie gleichbehandeln, und das heißt, sie gleich zu benennen.“

Ob Pollatschek wirklich denkt, daß dies das „einzige gute (Gegen-)Argument“ sei, ist kaum zu glauben. Als Linke hat sie allerdings wohl durchaus Hemmungen, die Genderei zu kritisieren und gegen jene zu argumentieren, die sie für „grundsympathisch“ hält. Um so höher ist es ihr daher anzurechnen, daß sie aus ihrer Blase ausbricht und wagt, einen unabhängigen Standpunkt zu vertreten. Solch freie Geister kann unser Land nur allzu gut gebrauchen.