© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/20 / 09. Oktober 2020

Bloß nich uffrejen
Berlin: Linksextreme Hausbesetzer agieren mit politischer Rückendeckung
Peter Möller

Es klingt wie der Stoff für eine Netflix-Serie, doch es ist in Berlin-Friedrichshain seit Jahren Realität: Linksextremisten, die als selbsternannte „Autonome“ wiederrechtlich in heruntergekommenen Häusern in der Liebig- und Rigaer Straße leben und ihr „Projekt“ als Ausgangspunkt und Rückzugsort für Überfälle auf die Polizei und ihre mehrheitlich linke Nachbarschaft nutzen, die sie mit Farbanschlägen terrorisieren und denen sie Stahlkugeln in Kinderzimmer schießen. Das alles passiert mindestens mit Duldung, wenn nicht sogar mit Unterstützung maßgeblicher Politiker des rot-rot-grünen Senats, vor allem aus den Reihen von Grünen und Linkspartei. 

Zuletzt hatte eine ARD-Dokumentation aufgedeckt, daß der fachlich zuständige Baustadtrat des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (Grüne), die Verwaltung angewiesen hat, nicht gegen offensichtliche Verstöße gegen Brandschutzvorschriften in den besetzten Häusern vorzugehen. Zuvor schon war eine Anweisung bekannt geworden, die es Polizisten verwehrt, mutmaßliche Straftäter ohne vorherige Genehmigung eines Vorgesetzten in die besetzten Häuser zu verfolgen.

An diesem Freitag kommt es nun zum Showdown: Im Juni hatte das Berliner Landgericht entschieden, daß die Bewohner des Hauses in der Liebigstraße 34, die sich selbst als „anarcha-queer-feministisches Hausprojekt“ bezeichnen, ausziehen müssen. Bereits 2018 war ein auf zehn Jahre befristeter Gewerbemietvertrag, den ein Verein mit dem Hausbesitzer abgeschlossen hatte, ausgelaufen. Da die Bewohner die Immobilie, für die es nun keinen Mietvertrag mehr gibt, nicht freiwillig verlassen wollen, hat ein Gerichtsvollzieher für diese Woche die Räumung angesetzt. Berlin dürften daher turbulente und vor allem gewalttätige Tage bevorstehen. Denn bereits seit Wochen mobilisiert die linke Szene unter dem Motto „Liebig bleibt“ deutschlandweit Sympathisanten, um die Räumung, wenn auch nicht zu verhindern, so zumindest zu erschweren und zu verzögern. Schon am vergangenen Wochenende zogen bis zu 3.000 Unterstützer durch Friedrichshain-Kreuzberg. Dabei wurden Polizisten unter anderem mit Feuerwerkskörpern beworfen. Mehrere Personen wurden festgenommen.

„Das kapitalistische Patriarchat runterfahren“

Am Montag gab es dann einen Vorgeschmack darauf, was der Stadt droht. Unbekannte Täter legten Feuer in einem Kabelschacht am S-Bahnhof Frankfurter Allee unweit der Rigaer Straße und störten dadurch den morgendlichen Bahnverkehr erheblich. Mittlerweise haben sich Linksextremisten auf der Szene-Plattform „indymedia.org“ der Tat bezichtigt. Zur Begründung für den Anschlag teilten die mutmaßlichen Täter mit, daß sie aufgrund der bevorstehenden Räumung der Liebigstraße 34 „die Stadt runterfahren“ wollten. Weiter heißt es in dem Schreiben, daß sie mit dem Anschlag auf das S-Bahn-Netz das „kapitalistische Patriarchat“ in den „Lockdown“ bringen wollten.

Ähnlich klingen auch die Aufrufe gegen die Räumung des „anarcha-queer-feministischen Hausprojekts Liebig34“. „Jetzt gilt es, das Haus mit allen Mitteln zu verteidigen“, hieß es etwa bereits vor zwei Wochen im Internet. Besser als Sitzblockaden seien „dezentrale Aktionen“ gegen die „Infrastruktur“ von Polizei und Staat. „Ein Räumungsversuch gegen uns wird mit viel Material und Cops verbunden sein, was erstmal herangekarrt werden muß. Diese Logistik gilt es zu stören und zu zerstören“, lauteten unverhohlene Gewaltaufrufe. Sicherheitsexperten gehen daher davon aus, daß sich Linksextremisten mit gewalttätigen Aktionen nicht auf Berlin beschränken werden.

So twitterte beispielsweise eine Gruppe aus Dresden ein Foto von Vermummten mit einem großen Plakat: „Räumt uns & ihr fangt euch ’nen Pflasterstein. Liebig34 bleibt“, berichtet die Berliner Zeitung. Die Antifa Norderelbe kündigte an: „Berlin wir kommen.“ Nach Medienberichten rechnet die Polizei auch damit, daß gewaltbereite Unterstützer aus Frankreich oder Griechenland anreisen. Aus diesen Gründen wächst bei den Sicherheitsbehörden die Sorge, daß die Gewalt bei der Räumung eskalieren könnte. In einer internen Lageeinschätzung des Landeskriminalamtes (LKA) wird laut Tagesspiegel ausdrücklich vor einer „Geneigtheit zur Militanz“ gewarnt. Nachdem Bewohner der besetzten Häuser ein Foto veröffentlicht hatten, auf dem ein Vermummter mutmaßlich eine Maschinenpistole in der Hand hält, stellt sich die Polizei sogar darauf ein, mit Schußwaffen attackiert zu werden. Aus dem Unterstützerumfeld der Häuser heißt es indes, es habe sich lediglich um eine Attrappe gehandelt.

Auch so ist der Aufwand, den die Polizei in dieser Woche betreiben muß, bemerkenswert. Insgesamt sollen am Donnerstag und Freitag deutlich mehr als 2.500 Polizisten im Einsatz sein. Allein über 20 Hundertschaften und Wasserwerfer aus anderen Bundesländern stehen bereit, um die Räumung abzusichern.