© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/20 / 09. Oktober 2020

Hast du mal 500 Euro?
„Staatsbürgergeld“: Aus den Reihen der AfD kommt der ungewöhnliche Vorstoß, ein Grundeinkommen einzuführen / „Nicht bedingungslos“
Ronald Berthold

Heißt das vom linken politischen Lager geforderte „bedingungslose Grundeinkommen“ bei der AfD „Staatsbürgergeld“? Mit einer auf den ersten Blick ähnlichen Idee tritt jetzt der sozialpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, René Springer, an die Öffentlichkeit. 

Beim näheren Hinsehen sind deutliche Unterschiede zu erkennen: Die sozialpolitische Gabe soll mit 500 Euro pro Monat nur halb so hoch sein, und sie ist mit einer grundlegenden Steuerreform verknüpft. Springer will 25 Prozent Einkommensteuer auf Einkünfte bis 250.000 Euro im Jahr. Alles darüber soll mit 50 Prozent belastet werden.

Offenbar hat der Parlamentarier versucht, die eher Richtung Sozialstaat ausgerichtete Haltung der Ost-Landesverbände mit den wirtschaftsliberalen Anschauungen der Partei im Westen zu versöhnen. Das Staatsbürgergeld soll jeder Deutsche von der Geburt bis zum Tod erhalten. Allerdings nur, wenn er seinen „gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland“ habe und „nicht wegen steuer-, arbeits-, sozialversicherungsrechtlicher Delikte verurteilt worden“ sei. Sein Vorschlag erhebe „den Anspruch, ein neues Steuer- und Transfersystem aus einem Guß“ zu sein.

Starker Anreiz, sich zu integrieren

Ausländer, auch EU-Bürger, will der Politiker vom Staatsbürgergeld ausnehmen. Der Name bezieht sich auf die Staatsbürgerschaft. Denn sonst, so Springer, „wäre mit einer massiven Einwanderung in unser Sozialsystem zu rechnen“. Nichtsdestotrotz sollen Nichtdeutsche weiter Unterstützung erhalten – wie bisher nach behördlicher Bedürftigkeitsprüfung. Springer schränkt ein: „Denkbar ist, daß integrierte Ausländer mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht einen Staatsbürgergeldanspruch erwerben können, wenn sie im Inland zehn Jahre lang steuerpflichtige Einkünfte erzielt haben und damit ihren Lebensunterhalt ohne staatliche Hilfe oder Hilfe Dritter bestreiten konnten.“ Dies sei ein starker Anreiz, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren.

Die Idee des Staatsbürgergeldes hat der AfD-Abgeordnete aus dem „Solidarischen Bürgergeld“ modifiziert, das der damalige Ministerpräsident Thüringens, Dieter Althaus, 2006 vorgestellt hat. Was ist nun neu an der AfD-Initiative? Oder handelt es sich doch um linken Wein in rechten Schläuchen? Immerhin nennt Springer seine Idee „eine spezifische Variante des Grundeinkommens“. Sein Staatsbürgergeld will er als „negative Einkommensteuer direkt an den Bürger“ auszahlen. Das damit verbundene neue Steuersystem sei einfach und führe „zu einer deutlichen Einkommensentlastung bei geringen und mittleren Einkommen“. Mehr Netto vom Brutto sei kein leeres Versprechen mehr: „Vor allem Familien werden finanziell deutlich besser gestellt.“ Gleichzeitig fasse sein Konzept viele der mehr als 150 Sozialleistungen zusammen: „Hartz IV wird abgeschafft.“

Denn das Staatsbürgergeld decke „das soziokulturelle Existenzminium“ ab. Damit sei die „physische Existenz“ und ein „Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“ garantiert. Das Staatsbürgergeld bezeichnet er daher als „partielles Grundeinkommen“. Unabhängig von der Höhe der Einkünfte soll es jeder erhalten. Wer weniger als 2.000 Euro monatlich verdiene, bekomme daher unterm Strich mehr ausgezahlt. Wird die Grenze überschritten, kehrt sich das Verhältnis um: „Die Verpflichtungen aus der Einkommensteuer werden mit dem Staatsbürgergeld verrechnet.“ Springer macht zahlreiche Modellrechnungen auf. So würde ein Alleinstehender mit 100.000 Euro brutto im Monat künftig rund 1.100 Euro weniger netto verdienen (55.709 statt 56.796 Euro). Eine vierköpfige Familie mit einem Bruttoeinkommen von 3.200 Euro erhielte dagegen nach seinem Konzept 4.400 Euro netto: Kinder und Eltern bekommen jeweils 500 Euro Staatsbürgergeld – verrechnet mit der Steuer von 25 Prozent bliebe ein Plus von 1.200 Euro. Für Menschen mit 2.000 Euro Einnahmen wäre brutto gleich netto. Bei 4.000 Euro blieben 3.500 statt 3.303 Euro übrig. Und ein bisheriger Hartz-IV-Empfänger erhielte statt 424 nun 500 Euro. Wer mehr braucht – etwa wegen Behinderungen – kann das „ nach behördlicher Bedürftigkeitsprüfung“ beantragen.

Doch wie soll all das finanzierbar sein? Springer geht davon aus, daß das Staatsbürgergeld jährlich knapp 500 Milliarden Euro kosten würde. Dem stehen in seinem Modell Bruttoeinnahmen aus der „dualen Flat Tax“ in Höhe von 730 Milliarden gegenüber. Verrechnet man die wegfallenden Steuereinnahmen mit den wegfallenden derzeit vom Staat übernommenen Sozialleistungen komme man auf den Betrag, der zur Finanzierung des Staatsbürgergeldes nötig ist. Laut den Berechnungen des Sozialpolitikers würde das Staatsbürgergeld jährlich zu einem Überschuß von rund 11,7 Milliarden Euro führen.

Der große Unterschied zum bedingungslosen Grundeinkommen liegt – zumindest wenn die Ankündigung des Sozialpolitikers wahr werden sollte – darin, daß sich „Arbeit und Leistung wieder lohnen“. Sein Plan schaffe „deutlich mehr Anreize zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit“. Rentnern erspare das Staatsbürgergeld zudem den Gang zum Sozialamt; ohne bürokratische Hürden sichere es die Existenz im Alter. Springer erklärt, sein Modell stehe „fest auf dem Boden der Sozialen Marktwirtschaft“. Zudem werde der Sozialstaat dadurch „übersichtlicher, schlanker, effizienter und günstiger“.

In seiner Partei stößt Springers Vorschlag auf ein geteiltes Echo. Die einen halten sein Konzept, das auf der negativen Einkommenssteuer des liberalen Nobelpreisträgers Milton Friedman beruht, für „interessant“. Andere befürchten, es könne mit der Beschränkung auf deutsche Staatsangehörige am Bundesverfassungsgericht scheitern. Ein anderer Kritiker nannte es intern polemisch „im Prinzip national-sozialistisch“. Entscheidend jedoch wird das Votum des Parteitags sein.