© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/20 / 09. Oktober 2020

Auf Erfolgskurs trotz dauernder Regierungskrisen
Litauen wählt: Die Parteienlandschaft ist zersplittert und oft von starken Persönlichkeiten abhängig
Ralph Meese

In Litauen ist das Regieren schwierig. Das haben die vergangenen vier Jahre gezeigt, die vor allem von politischen Krisen und Koalitionsumbildungen geprägt waren. So verlor erst bei den Parlamentswahlen im Oktober 2016 die Linkskoalition ihre Mehrheit. Dafür eroberte die Kleinpartei Bund der Bauern und Grünen (LVZS), die 2012 noch an der Fünfprozenthürde gescheitert war, 54 von insgesamt 141 Sitzen im Parlament in Vilnius. Die daraufhin gebildete Koalition mit den Sozialdemokraten scheiterte aber bereits nach einem Jahr. Als brüchig erwiesen sich auch neue Bündnisse mit bis zu vier Parteien sowie der Versuch, als Minderheitsregierung die Geschicke des Landes zu lenken. Immerhin schaffte es die Regierung von Premierminister Saulius Skvernelis trotzdem, die komplette Legislaturperiode im Amt zu bleiben. Auf der Strecke blieben dafür die Wahlversprechen. 

Trotzdem geht es Litauen recht gut. Das Wirtschaftswachstum liegt dank der strategisch günstigen Lage des Landes als Drehkreuz zwischen Ost und West sowie einer ausgewogenen Wirtschaftsstruktur bei jährlich durchschnittlich 4,7 Prozent. Die Arbeitslosigkeit ist auf 6,3 Prozent gesunken, auch weil Unternehmen wie Continental, Homanit, Festo, Western Union und Lidl investieren.

Vor diesem Hintergrund sind gut 2,4 Millionen Litauer am 11. Oktober und – falls kein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Stimmenmehrheit erreicht – in zweiter Runde am 25. Oktober aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Die Kandidaten von 17 Parteien ringen dabei um die Wählergunst. Von den 141 Sitzen des Parlaments werden 71 als Direktmandate vergeben und 70 als Listenplätze an politische Parteien. Nach aktuellen Wahlprognosen würden es sieben Parteien ins Parlament schaffen. Demnach entfallen die meisten Stimmen auf den konservativen Vaterlandsbund – Christdemokraten Litauens (TS-LKD) mit 21,4 Prozent, gefolgt von der LVZS mit 19,9 und den Sozialdemokraten (LSDP) mit 14,3 Prozent.

Analysten halten eine künftige Mitte-Links-Koalition für ebenso möglich wie einen Schulterschluß zwischen Konservativen, die endlich aus ihrer achtjährigen Oppositionsrolle herauswollen, und dem Bund der Bauern und Grünen des Millionärs Ramunas Karbauskis. „Angeblich glauben die Konservativen, daß die ‘Bauern’ die am besten ‘handhabbaren’ unter den anderen Mitte-Links-Parteien sind“, so Vytautas Dumbliauskas, Professor der Mykolas-Romeris-Universität. Die weniger wahrscheinliche Variante wäre eine neue Koalition, die von der oppositionellen Heimatunion, den liberalen Parteien und einem weiteren Partner gebildet wird, so Dumbliauskas gegenüber dem Baltic News Network.

Während Dumbliauskas ein neues Bündnis von Konservativen und Sozialdemokraten ausschließt, hält Ieva Petronyte-Urbonaviciene, Assistenzprofessorin am Institut für Internationale Beziehungen und Politikwissenschaft der Universität Vilnius, ein solches Bündnis für möglich: „Politische Parteien sind heutzutage viel flexibler als früher.“ Zu beachten ist dabei auch, daß außer den Konservativen und den Sozialdemokraten die meisten Parteien keine festen ideologischen Ansichten oder Programmatiken besitzen, sondern sich in der Festlegung ihrer praktischen Positionen mehr von politischen Führungskräften und deren persönlichen Interessen leiten lassen.

Da letztlich unter allen politischen Kräften ein „weitgehender Konsens“ über die Bedeutung von Themen wie nationale Sicherheit, Sicherheit der Energieversorgung, Bekämpfung des hohen Alkoholkonsums und Reduzierung des sozialen Gefälles bestehe, rechnen die Experten des österreichischen Außenwirtschaftscenters im lettischen Riga bezüglich des EU-Landes Litauen „weiter mit politischer Kontinuität“ – egal, wer letztlich die Wahlen gewinnt und wie die gebildete Koalition aussieht.