© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/20 / 09. Oktober 2020

Lehren aus dem Versagen der Wirtschaftsprüfer bei Wirecard
Prinzip Haftung
Dirk Meyer

Das Testat von Wirtschaftsprüfern ist eine gesetzliche Pflicht für Firmen. Die Bonitätsprüfung der Ratingagenturen ist ein freiwilliger, wenngleich für den Zugang zum Kapitalmarkt häufig notwendiger Check-up. Dennoch haben beide zentrale Punkte gemein. Die drei großen Agenturen Moody’s, S&P und Fitch prüfen die Kreditwürdigkeit und bei der Wirtschaftsprüfung dominieren die Big Four KPMG, Deloitte, Ernst & Young (EY) und PwC. Die engen Oligopole haben Marktmacht – mit daraus folgenden hohen Preisen bei suboptimaler Qualität. Die Prüfer werden von Unternehmen beauftragt und bezahlt. Was liegt näher, als den Auftrag „kundenorientiert“ abzuwickeln?

So geschehen vor der Finanzmarktkrise 2008, als strukturierte Wertpapiere (CDO) mit Bestnoten bewertet wurden, die sich als Schrott-Papiere erwiesen. Oder im Fall Griechenland, als noch Ende 2009 – nach Aufdeckung des Haushaltsdefizits von 12,5 Prozent und vor dem Kollaps im April 2010 – die Kreditwürdigkeit mit A2 (durchschnittlich gute Anlage) bewertet wurde. Und schließlich der Fall Wirecard und EY, jene Prüfungsgesellschaft, die die betrügerische Firma seit 2009 begleitete.

Was liegt näher, als nach mehr staatlicher Kontrolle zu rufen oder gar eine EU-Behörde gegen Geldwäsche einzurichten? Doch haben weder die Wirtschaftsprüferaufsicht (Apas), die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR), noch die deutsche Finanzaufsicht Bafin den Milliarden-Schaden bei Wirecard verhindern können. Es gab ein Zuständigkeitschaos und unabgestimmte Prozesse zwischen dem Wirtschafts- und dem Finanzministerium. Das Geldwäschegesetz auf der Basis der bereits fünften EU-Richtlinie hat erhebliche Mängel. Vorgeschlagene Reformen wie eine Trennung von Beratung und Prüfung, eine schnellere Rotation der Prüfaufträge oder die Bestellung mehrerer Prüfer mögen sinnvoll sein.

Sie ersetzen jedoch nicht die Eigenkontrolle durch Haftung und die Fremdkontrolle des Marktes. Leerverkäufe, mit denen Investoren dank besserer Informationen auf sinkende Aktienkurse spekulieren, geben Dritten wie auch Aufsichtsbehörden Anlaß, genauer hinzuschauen. Schließlich erklärt der Haftungsausschluß bei Ratingagenturen und eine Maximalhaftung des Abschlußprüfers von vier Millionen Euro viele der bekannten Fehlentwicklungen.

Entscheidungen ohne hinreichende Haftung führen zu mangelnder Umsicht bis hin zu verantwortungslosem Handeln. Haftung schafft ein „Ersatzgewissen“ – jederzeit und universell anwendbar. Eine Anhebung der Haftungshöchstgrenze wäre deshalb eine ganz wichtige Forderung – leicht, schnell und unbürokratisch umsetzbar.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.