© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/20 / 09. Oktober 2020

Politischer Angriff auf die Autoindustrie
Wirtschaftsaussichten: Die Corona-Krise ist auch ein perfekter Anlaß zu radikalem Arbeitsplatzabbau
Paul Leonhard

Die neu aufgewärmte Nachricht von Dezember 2019 paßt zum Zeitgeist: Die Deutsche Bahn AG baut für 400 Millionen Euro ein „zu 100 Prozent CO2-neutrales“ ICE-Instandhaltungswerk in Nürnberg. „450 neue Arbeitsplätze entstehen hier, für Elektroniker*innen, Mechatroniker*innen, Ingenieur*innen und angelernte Hilfskräfte“, heißt es auf der neuen Internetseite.

„Die Deutsche Bahn ist unser Top-Akteur für Klimaschutz und zukunftsfeste Jobs“, erklärte am Montag der angereiste Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Die Betriebsaufnahme der 450 Meter langen ICE-Wartungshalle ist für 2028 geplant. Bis dahin seien besonders regionale Anbieter aufgerufen, „sich an den Ausschreibungen für den Bau des Werks und allen damit zusammenhängenden Leistungen zu beteiligen“.

Chance für die MAN-Werke in Polen und Übersee?

Die teure Staatsinvestition ist aber nur ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein: Zwei Wochen zuvor protestierten in Nürnberg die Beschäftigten der MAN-Niederlassung gegen den geplanten massiven Stellenabbau. Am Kompetenzzentrum für Diesel- und Gasmotoren arbeiten bislang 4.146 Beschäftigte – wie viele es nach der „umfassenden Neuausrichtung“ und „Ergebnisverbesserung“ von 1,8 Milliarden Euro bis 2023 sein werden, weiß niemand. In Deutschland gibt es insgesamt etwa 20.000 Stellen bei der VW-Tochter MAN. 9.500 Arbeitsplätze im In- und Ausland sollen nun wegfallen.

Die Werke in Plauen/Vogtland (Busumbauten), Wittlich in der Eifel (Autotransporter) und im oberösterreichischen Steyr (Lkw) mit zusammen 2.400 Stellen stehen ganz auf der Kippe. MAN verbuchte im ersten Halbjahr einen Verlust von 387 Millionen Euro – im Vorjahreszeitraum wurden noch 253 Millionen Euro verdient. Gewinner könnten die drei polnischen MAN-Werke (Krakau, Starachowice und Stolp), die Fabrik in Ankara oder Standorte in Südasien und Südamerika sein, wo keine deutschen Tariflöhne fällig werden. Insgesamt sollen dem gesamten VW-Konzernumbau in Deutschland etwa 27.000 Stellen zum Opfer fallen – bei nur 9.000 Neueinstellungen im Bereich IT, Elektro und Digitalisierung.

Auch die Demonstrationen und Mahnwachen in Aachen waren umsonst, ebenso wie die Busfahrten zum Continental-Sitz nach Hannover. Der dort tagende Aufsichtsrat des weltweit zweitgrößten Autozulieferers blieb bei seinem Beschluß, das Reifenwerk in Aachen Ende 2021 zu schließen. Damit verlieren 1.800 Mitarbeiter ihre Arbeit. Bis Ende 2024 soll auch die Elektronikfertigung in Karben bei Frankfurt/Main schließen. Betroffen sind weitere 900 Arbeitsplätze.

In Regensburg sollen 2.100 der 7.600 Jobs „entweder verändert, verlagert oder abgebaut“ werden. Als Gründe nennt Vorstandschef Elmar Degenhart den Strukturwandel zur E-Mobilität, sinkende Absätze, billiger produzierende Conti-Werke im Ausland und die Corona-Pandemie. Das alles gleichzeitig „verursacht in Summe eine historische Krise in der Autoindustrie“, sagt auch Personalchefin Ariane Reinhart.

Klarer drückte sich der 71jährige Conti-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle im Interview auf dem Nachrichtenportal ThePioneer.de aus: „Man zerstört politisch die Autoindustrie, die ja noch 99 Prozent ihrer Wertschöpfung durch Autos mit Verbrennungsmotor generiert“, sagte der langjährige frühere BMW- und Ford-Manager. „Man treibt Hersteller und Kunden zu früh in die noch nicht wirklich marktreife E-Mobilität“, Verbrennungsmotoren würden „diffamiert“. Daher müßten nun Fabriken geschlossen und Arbeitsplätze abgebaut werden, so Reitzle.

Kritik, die bei Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) auf taube Ohren stößt: „Wir müssen raus aus dem Verbrennermotor. Wir müssen rein in die Elektromobilität.“ Die Zulieferer hätten zu spät auf den politisch gewollten Strukturwandel reagiert. Ford-Manager Gunnar Herrmann widerspricht dem: Sein Unternehmen wolle die verschärften EU-Klimaziele erfüllen. „Das aber hat Konsequenzen: Wir werden dann wahrscheinlich nicht mehr 1,4 Millionen Autos jährlich in Europa produzieren, sondern deutlich weniger. An der Wirtschaftlichkeit der Produktion kommen wir nicht vorbei“, so der Deutschlandchef des US-Autoherstellers im Handelsblatt.

„Die Verantwortung für 22.000 Ford-Arbeiter“

Die CO2-Flottenwerte für Pkw sollen bis 2030 um die Hälfte sinken. Erreichbar ist dieses Ziel nur, wenn der Anteil der E-Autos in zehn Jahren auf mindestens 60 Prozent aller Neuwagen steige. Doch die seien teurer als Benziner oder Diesel. Ford produziere in Deutschland preisgünstige Massenautos wie den Fiesta oder den Focus. „Wir haben vier Werke in Europa, von denen jedes 400.000 Autos jährlich bauen könnte. In einem zukünftigen Szenario dürfte das nicht mehr möglich sein“, warnte Herrmann – sprich: Das spanische Werk in Valencia, wo schon die Hybrid-Modelle vom Band laufen, habe bessere Karten. Herrmann kritisierte auch die einseitige staatliche Förderung für die Tesla-Gigafactory (JF 41/20): „Es kann nicht die Antwort sein, daß wir auch nach Brandenburg oder Rumänien ziehen. Wir haben die Verantwortung für fast 22.000 Menschen, die bei uns in Köln, Saarlouis und Aachen beschäftigt sind.“

Noch heftiger trifft die Absatzkrise Opel: Der Deutschland-Absatz fiel zwischen Januar und September um 45,5 Prozent auf nur noch 95.453 Fahrzeuge. BMW und Mercedes stehen trotz Corona-Krise mit minus 16,6 Prozent viel besser da. Selbst die PSA-Konzernmarken Citroën (-24,6 Prozent) und Peugeot (-28,2 Prozent) verkaufen sich besser. Daher stellt die französische Konzernführung den Kündigungsschutz für Opelaner bis Ende Juli 2025 in Frage. Schmiede und Getriebewerk in Rüsselsheim sollen geschlossen, die Firmenzentrale Adam-Opel-Haus und weitere Liegenschaften verkauft werden.

Rechnet man alles zusammen, dann sind laut dem IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner in der deutschen Metall- und Elektrobranche etwa 300.000 Arbeitsplätze in Gefahr. „In der Mehrzahl der Industriebranchen rechnet niemand vor 2022 damit, daß wir wieder das Vorkrisenniveau erreichen“, sagt IG Metall-Chef Jörg Hofmann in der Zeit. „Betriebe im Maschinenbau, die sehr von langfristigen Investitionen abhängen, rutschen teilweise erst jetzt in die Krise.“

Die Leverkusener Bayer AG quält hingegen weiter die kreditfinanzierte Übernahme des US-Konzerns Monsanto mit seiner Altlast Glyphosat. Die eingeplanten elf Milliarden Dollar für die diversen Klagen in Sachen des Monsanto-Unkrautvernichters „Roundup“ dürften nicht reichen. Die Nettoverschuldung lag im Juli bei 36 Milliarden Euro. Daher sollen bis 2024 jährlich 1,5 Milliarden Euro eingespart werden – ein weiterer Arbeitsplatzabbau ist nicht ausgeschlossen.

Automobilkonjunktur in Deutschland:

 www.vda.de

 www.ice-werk-nuernberg.de