© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/20 / 09. Oktober 2020

Ein Albtraum wird wahr
Geldpolitik: Die EZB diskutiert digitales Zentralbankgeld / Droht das Ende der finanziellen Privatsphäre? / Verdrängung des Bargeldes im Zahlungsverkehr
Thorsten Polleit

Voriges Jahr kündigte Facebook zusammen mit anderen IT- und Finanzkonzernen die Schaffung einer privaten Digitalwährung an (JF 41/19). „Das Libra-Zahlungssystem basiert auf der Blockchain-Technologie. Sie bildet die Grundlage für einen offenen, direkten und kostengünstigen Geldtransfer. Nutzern wird es möglich sein, Geld zu versenden, zu empfangen und auszugeben – und so an einem inklusiveren globalen Finanzsystem teilzuhaben“, wirbt die in Genf beheimatete Libra Association. Durch eine Reserve aus Bankeinlagen und kurzfristigen Staatsanleihen würde gesichert, daß das Libra-Geld jederzeit in lokale Währungen umgetauscht werden könne.

Doch die Initiative stockt, Politik und die Zentralbanken in der EU und den USA meldeten Bedenken an. Firmen wie PayPal, Ebay, Mastercard, Visa oder Vodafone verließen das Libra-Projekt. Gleichzeitig tüfteln auch die Zentralbanken selbst an einer digitalen Geldkreatur. Die Schwedische Reichsbank (E-Krona) und China (E-Renminbi) sind weit fortgeschritten. „Wir sollten darauf vorbereitet sein, einen digitalen Euro einzuführen“, erklärte Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) vorige Woche anläßlich des „Berichts der Taskforce des Eurosystems zum digitalen Euro“.

Bereits am 12. Oktober solle ein öffentliches Konsultationsverfahren beginnen, um in Erfahrung zu bringen, „wie die Öffentlichkeit und alle betroffenen Interessengruppen zu diesen Fragen stehen“, kündigte EZB-Direktor Fabio Panetta an. Ein digitaler Euro parallel zu den Euro-Banknoten „würde Innovationen im Massenzahlungsverkehr ermöglichen. Dabei würden Synergien mit den neuen Zahlungslösungen geschaffen“, schwärmte der frühere Vizechef der Banca d’Italia in einem EZB-Blogbeitrag. Doch die „Central Bank Digital Currency“ (CBDC) entpuppt sich bei genauer Betrachtung als ein Albtraum für Freiheit und Wohlstand.

Anders als Facebook haben EZB, US-Fed oder die Chinesische Volksbank (PBC) ein Monopol: Nur sie können Banknoten, Münzen und Giroguthaben bei sich produzieren. Eine Zentralbank kann nicht pleite gehen: Sie kann ihr Geld jederzeit selbst drucken. Geschäftsbanken produzieren auch Geld. Das können sie allerdings nur, wenn sie über Zentralbankgeld verfügen. Hat eine Geschäftsbank nicht genügend davon, kann sie zahlungsunfähig werden – und im Extremfall verliert der Kunde sein Geld. Fortan soll jeder die Möglichkeit erhalten, sein Guthaben in CBDC eintauschen zu können – und es auf einem Konto zu halten, das von den Banken und Sparkassen oder direkt von der Zentralbank angeboten wird. Wenn Banken wanken, dann kann man sein Guthaben per Mausklick in CBDC umbuchen – und vor Zahlungsausfall schützen.

Zentrale Überwachung mit modernster Technik

Die CBDC läßt sich zu einem stabilen Refinanzierungsmittel der Geschäftsbanken machen. Derzeit ist es so, daß die Banken durch Barabhebung Mittel verlieren, mit denen sie ihr Kreditgeschäft refinanzieren. Bei einem Umtausch von Geschäftsbankengeld in CBDC verliert der Bankenapparat hingegen kein Geld mehr – wenn die Zentralbank den Geschäftsbanken gewährt, die Konten für CBDC in ihren eigenen Bilanzen auszuweisen. Doch mit dem CBDC wird die Zentralbank den Geschäftsbanken Marktanteile im Einlagen- und Zahlungsverkehrsgeschäft abjagen. Das würde noch befördert, sollte die Zentralbank auch ins Kreditgeschäft für Haushalte und Unternehmen einsteigen.

Wenn die Zentralbank aber immer mehr Aktionen an sich zieht, erodiert das Geschäftsmodell der privaten Banken. Aus Sicht der Kapitalgeber ist es dann nicht mehr interessant, den Banken neues Eigenkapital bereitzustellen. Der Staat kann dann als Retter in Erscheinung treten, kapitalschwache Banken direkt oder indirekt verstaatlichen – vor allem in Krisenzeiten, für die das heutige ungedeckte Geldsystem („Fiat-Money“) immer wieder sorgt.

Die CBDC konkurriert auch mit dem Bargeld. Wenn die Bürger das CBDC-Ausfallrisiko dem des Bargeldes gleichsetzen und wenn sie beispielsweise den E-Euro als bedienerfreundlich und kostengünstig ansehen, gibt es Kannibalismus: Die CBDC verdrängt das Bargeld im Zahlungsverkehr und auch als Geld für die Vorsichtskassenhaltung – und arbeitet damit denjenigen Interessengruppen in die Hände, die das Bargeld ganz aus dem Verkehr ziehen wollen. In Schweden ist es auch ohne E-Krona schon fast soweit.

Ohne Bargeld ist das Geld aber in den Bankbilanzen „gefangen“, ein Entkommen ist nicht mehr möglich. Dann können Negativzinsen auf Bankguthaben erhoben werden, die Sparer zugunsten der Schuldner enteignen. Auch die Ausgabe von „Helikoptergeld“ wird erleichtert: Die Zentralbank kann problemlos die Konten direkt mit CBDC befüllen – und dadurch die Vermögensverhältnisse nach politischen Vorgaben direkt beeinflussen.

Und: Mit der CBDC droht – analog dem Facebook-Libra – das völlige Ende der finanziellen Privatsphäre: Die jeweiligen Geldausgeber sehen, wer was wann und wo kauft und verkauft – ein 100prozentiges Payback-System, nur ohne Rabatteprozente. EZB-Beteuerungen, es werde für Anonymität gesorgt, können nicht beruhigen. Unverhohlen spricht es die Pekinger Zentralbank aus: Mit CBDC sollen die Bürger wirksam kontrolliert und gesteuert werden.

Im „Sozialkredit-System“ à la China (JF 36/20) geht es um „gesellschaftliches Wohlverhalten“, es gibt je nach Verhalten Bonus- oder Malus-Punkte, überwacht mit modernster Technik. Die EU-Light-Version könnte so aussehen: Nur regierungstreue Menschen oder Unternehmen, die CO2-arm produzieren, erhalten dann ein CBDC-Konto. Die EZB müsse „dafür sorgen, daß der Euro für das digitale Zeitalter gerüstet ist“, sagt Christine Lagarde – doch man sollte sich nicht von der Faszination für neue Technologien und deren Vorzügen ablenken lassen.

Mit digitalem Zentralbankgeld werden die letzten marktwirtschaftlichen Elemente aus dem Kredit- und Geldsystem gedrängt. Die Zentralbank steigt dabei zur heimlichen Machtzentrale auf. Besonders problematisch ist das im Euro-Raum, wo die EZB als supranationale Institution der wirksamen Kontrolle durch die nationalen Parlamente entzogen ist. Die EZB ließ nun wissen, sie wolle digitalen Euro vielleicht schon Mitte 2021 in Umlauf bringen. Man kann nur davor warnen. Digitales Zentralbankgeld wird sich als ein Albtraum erweisen für alle, die auf Freiheit und Wohlstand im Euroraum hoffen.






Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Volkswirtschaftler und Präsident des Mises-Instituts.

 www.ecb.europa.eu