© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/20 / 09. Oktober 2020

Qualzüchtungen
Haustiere degenerieren schlicht zum Accessoire: Unter dem Schönheitswahn leiden vor allem unsere Hunde
Martina Meckelein

Wenn Hunde so winzig gezüchtet werden, daß sie in eine Teetasse passen, wenn sie keine Nasen haben und deshalb kaum noch atmen können, wenn die hervorstehenden Augen beim Toben drohen, herauszufallen, wenn die Schädel zu klein für das Gehirn sind und Hirnflüssigkeit nicht abfließen kann ... Wenn willentlich Tiere derartig verkrüppelt werden, nur damit sie einem perversen Schönheitsideal entsprechen, dann müssen wir uns alle fragen: Wer ist kränker, die Kreatur oder ihr Kreator? Qualzüchtungen nennt der Gesetzgeber diese Züchtungen und hat sie verboten. Doch Mops, King Charles Spaniel oder Französische Bulldogge überschwemmen den Markt. 

„Missy wurde elf Jahre alt“, erzählt die junge Frau, die ihren Namen nicht veröffentlicht sehen möchte, und kämpft dabei mit den Tränen. „Ich war 16 Jahre alt, als ich sie als zwölf Wochen alten Welpen bekam.“ Ein Mops sollte es werden. Von „irgendwelchen rassetypischen Erkrankungen“ habe sie damals nichts gewußt. „Ich fand die Rasse entzückend.“  

Auf Ebay inserierte sie: „Falls jemand einen Mops in gute Hände abzugeben hat ...“ Eine Frau aus Magdeburg meldete sich. 350 Euro kostete Missy, der Impfpaß war gefälscht, wie sich später herausstellte. „Mit viereinhalb Jahren begann das Drama“, erinnert sich die Frau. „Gebärmutter raus, ein Jahr später Entfernung des Oberschenkelkopfes, weil der Hund lahmte. Eine Fehlbildung der Hüftgelenkpfanne, eine sogenannte Hüftdysplasie, lockere Kniescheiben, eine Pigmentstörung in den Augen, die zur Erblindung führt, wurden festgestellt. Bei der Physiotherapie wurden zwei Bandscheibenvorfälle entdeckt.“

Nochmal einen Mops anschaffen? „Nie wieder!“ 

Knapp 400 Euro kostete Missy pro Monat an Arztkosten, Physiotherapie und Futter. „Das hat mich finanziell und auch nervlich an die Grenzen gebracht, und ich habe es bereut, keine Versicherung für sie abgeschlossen zu haben“, sagt die Frau. „Am Ende ihres Lebens war Missy gelähmt und saß entweder im Hundewagen oder Rollstuhl.“ Missy starb im November 2019. Nochmal einen Mops anschaffen? „Nie wieder. Jedenfalls keinen ohne Nase.“

11,8 Millionen Hunde leben laut Statista 2019 in Deutschland, wobei niemand die genaue Zahl kennt. Schätzungen gehen von 65 Prozent Rassehunden aus. Über 250 verschiedene Hunderassen werden nach eigenen Angaben allein vom Verband für das deutsche Hundewesen (VDH) mit 600.000 Mitgliedern in 180 Mitgliedsvereinen, der sich als Interessenvertretung der deutschen Hundehalter versteht, betreut. Seit Jahrzehnten gibt es Kritik an den strengen Rassestandards. „Ich glaube nicht, daß Standards das Problem sind, sondern eine Überinterpretation“, sagt Jörg Bartscherer, Geschäftsführer und Justitiar des VDH, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. „Standards sind eine allgemeine Rassebeschreibung.“ 

Im Mai 1998 wurde das Tierschutzgesetz novelliert. Wichtig in diesem Fall: der Paragraph 11b, der Qualzüchtungen verbietet. Josefine Uhlemann vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) führt gegenüber der JF aus, Zucht sei dann verboten, „wenn zu erwarten ist, daß bei den Nachkommen erblich bedingt Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten“. Eine „Zukunftsprognose auf die Merkmalsausprägung“ sei bei den Nachkommen erforderlich. Über Qualzucht kläre zudem das vom Ministerium herausgegebene sogenannte Qual­zuchtgutachten auf. Das Gutachten ist knapp 21 Jahre alt (JF 49/99), 144 Seiten stark und listet Krankheitsmerkmale bei Nutz- und Haustieren auf, die durch Züchtung entstanden sind. 

Darüber hinaus sind die betroffenen Rassen genannt (siehe Kasten). Seit über 20 Jahren ist das Thema also dem Gesetzgeber bekannt. Doch passiert ist nichts, kritisiert der Deutsche Tierschutzbund und nennt drei Gründe: die schwammige Formulierung im Tierschutzgesetz, Schwierigkeiten der Behörden, die Qual-zuchten rechtlich zu verfolgen, und die Rassestandards, die größtenteils immer noch so konzipiert seien, daß die Zuchtziele mit einer Qualzüchtung verbunden seien. Das BMEL hält dagegen, Bundesministerin Julia Klöckner (CDU) habe mehrfach deutlich gemacht, daß das Leiden eines Tiers, um den ästhetischen Ansprüchen seines Herrchens oder Frauchens zu entsprechen, nicht vertretbar sei. Da Tierärzte trotz des Qualzuchtverbotes aber immer wieder von Hunden berichteten, bei denen es zu gesundheitlichen Problemen aufgrund von Qualzuchtmerkmalen gekommen ist, plane das BMEL, die Ausstellung von Hunden mit solchen Merkmalen zu verbieten. Die Verordnung könnte schon Anfang 2021 in Kraft treten. 

In Deutschland gäbe es keine reine Schönheitszucht 

Im Grunde ist das ein Vorstoß der Tierärzte, der schon über fünf Jahre alt ist. Der Annahme, Qualzucht über ein Ausstellungsverbot auszumerzen, liegt die Vorstellung zugrunde, daß allein die Federation Cynologique International (FCI), der Welt-Hundeverband, und der VDH durch Änderung der Rassestandards Qualzüchtungen verhindern können. Diesen wird vorgeworfen, nur nach dem äußerlichen Erscheinungsbild zu züchten, weil ihre Hunde nur so eine Chance hätten, prämiert zu werden und hochpreisig zu vermarkten seien. Dadurch gäbe es immer weniger Blutlinien, was wiederum zu Inzucht und Erbkrankheiten führe. Hundeausstellungen sind unter anderem die Aufgabe des VDH. 

Bartscherer vom VDH behauptet im Gegenteil, daß es in Deutschland „keine reine Schönheitszucht“ gebe. „Seit Jahren haben wir rassespezifische Vorgaben, nach denen wir das Verhalten, die Gesundheit und den Phänotyp des einzelnen Tieres prüfen. Nur wenn alle drei Kriterien erfüllt sind, wird er zur Zucht zugelassen.“ 

Die Berliner Tierärztin Maxi Schwebig hält dem VDH dennoch vor, „in erster Linie die Interessen der Züchter“ zu vertreten und „nicht die der Tiere“. Es sei sonst „nicht zu erklären, daß der Verband trotz der Kenntnis über die schwersten Erbkrankheiten einiger Rassen keine züchterischen Gegenmaßnahmen ergreift“, bemängelt Schwebig gegenüber der JF. Der VDH versichert dagegen, gemeinsam mit einigen Universitäten und in enger Abstimmung mit der Bundestierärztekammer sowie dem Arbeitskreis Qualzucht konkrete Forderungen auf den Weg gebracht zu haben. Die Englische Bulldogge, die wegen strenger Zuchtbestimmungen im VDH kaum noch eine Rolle spiele, sei ein Beispiel dafür.

 Sicher ist, daß es in der Hundezucht um sehr viel Geld geht. Welpen bekommt man ab 800 Euro. Beim Mops kostet die Deckgebühr mindestens 250 Euro. Um überhaupt züchten zu dürfen, brauchen die Hunde VDH-Abstammungsnachweise bis in die 3. Generation und Gesundheitszeugnisse, der Mops darüber hinaus einen Fitneßtest. 

Dem Vorwurf der mangelnden Fachkenntnis widerspricht Bartscherer: „Unsere VDH-Züchter müssen einen Sachkundenachweis erbringen. Der VDH-Basiskurs umfaßt Genetik, Übertypisierung, Rassestandards und Recht. “ Schwarze Schafe gebe es immer.

Ein weitaus größeres Problem sieht er in den osteuropäischen Zuchtfabriken. Denn der VDH kann, da ihm diese Züchter selbst nicht angehören, auch keine züchterischen Maßnahmen ergreifen. Und hier ist die Verantwortung des Käufers gefordert. Das schließt den Willen der Interessenten ein, sich vorab über die Rasse kundig zu machen. Allein schon bei den Haltungsbedingungen sollten viele Hundefreunde besser auf einige Rassen verzichten. Arbeitshunde, wie zum Beispiel Jagdhunde, gehören eben nicht in die Hände von Laien. „Alle Weimaranerzüchter in unserem Verband geben ihre Tiere ausschließlich nur an Jäger ab“, erklärt Bartscherer. 

Qualzucht läßt sich schwer unterbinden

Eine Vorgehensweise, die Schule machen sollte. Vielleicht könnte man unaufgeklärte Hundeinteressenten allerdings auch mit der drohenden Ebbe im Portemonnaie davon überzeugen, sich keinen in absehbarer Zeit krank werdenden Hund anzuschaffen. Knapp 8.000 Euro rechnet die Versicherung Agila für die französische Bulldogge an Arztkosten. Allein die Operation eines sicherlich bei dieser Rasse zu erwartenden Bandscheibenvorfalls schlägt mit 2.800 Euro zu Buche. Eine Laser-OP zur Erweiterung der Nasenlöcher, dem Kürzen des Gaumensegels und der Korrektur der Knorpelstrukturen in der Nasenhöhle, der Turbinalia, die durch die rassespezifisch angezüchteten zu kurzen Schnauzen zusammengedrückt sind, kostet mindestens 2.500 Euro. 

Kaiserschnittgeburten werden oftmals gar nicht versichert – Bulldoggen können häufig nur per Kaiserschnitt entbinden, die Köpfe der Welpen sind für den Geburtskanal zu groß. Anerkannt vom FCI ist der Chihuahua, der kleinste Hund der Welt. Mindestens ein Kilo, höchstens drei Kilo darf er wiegen. Oftmals wiegt er nur 500 Gramm. Als Teacupdogs werden Miniaturausgaben schon bestehender größerer Rassen bezeichnet. Zur Minimalisierung kommt es, indem nur mit den kümmerlichsten eines Wurfes weitergezüchtet wird. Der Trend zu dieser Karikatur seiner selbst stammt aus den USA. Die Tiere leiden Höllenqualen. Die Kopffontanelle wächst nicht zu, viele Tiere haben einen Lebershunt, das heißt das Blut wird über ein Gefäß am Organ vorbeigeführt, und Beine brechen schon beim Sprung vom Sofakissen. Gezüchtet werden die Hunde meist im Ausland. Anschaffungskosten für einen Welpen: rund 8.000 Euro. Übrigens ohne FCI- und VDH-Papiere und Zuchterlaubnis. 

Es mutet wie ein bitteres Resümee an, wenn Bartscherer sagt: „Ich glaube nicht, daß es für Hunde eine Lobby gibt.“ Auch können Züchter außerhalb des VDH ohne Sachkundenachweis züchten. „Unsere Züchter unterwerfen sich freiwillig weitergehenden Regeln.“





Einige Qualzucht-Merkmale bei Hunden

Blaues Dobermannsyndrom: Es führt zu Haarausfall, Hauterkrankungen, Ödemen. Betroffen: Dobermann, Dogge, Irish Setter, Dackel u. a.

Brachyzephalie: Die runde Schädelform mit Verkürzung der Nasen- und Kieferknochen führt zu Gehirntumoren, Atembeschwerden, Ausfallen der Augen und Schwergeburten. Betroffen: Boxer, Chihuahua, Englische Bulldoggen u. a.

Chondrodysplasie: Zwergwuchs führt zu Bandscheibenvorfall, Lähmungen, starken Schmerzen. Betroffen: Dackel, Welsh Corgie, Basset u. a.

Dermoidzysten: Hauteinstülpungen, die bis in den Wirbelkanal reichen; äußerst schmerzhaft, führen zu Lähmungen und Entzündungen des zentralen Nervensystems. Betroffen: Rhodesian Ridgeback.

Haarlosigkeit: Der Gendefekt führt zu schweren Gebißanomalien, empfindlicher Haut und Allergien. Betroffen: alle Nackthunde.

Verkrüppelung der Schwanzwirbelsäule: Die Mißbildung führt zu Lähmung und Harn-Kot-Inkontinenz. Betroffen: Französische Bulldogge, Mops, Rottweiler u. a.