© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/20 / 09. Oktober 2020

Überraschende Bekenntnisse an den Karawanken
Trotz einer slowenischen Bevölkerungsmehrheit im Süden Kärntens stimmte im Oktober 1920 die Mehrheit für Deutsch-Österreich
Erich Körner-Lakatos

Kärnten ungeteilt! So titelt eine Sonderausgabe der Klagenfurter Zeitung nach dem Bekanntwerden des Ergebnisses der Volksabstimmung vom 10. Oktober 1920. Dabei entscheiden sich im südlichen Abstimmungsgebiet (Zone A) 22.025 Wähler, das sind 59 Prozent, für den Verbleib bei Österreich, bloß 41 Prozent wollen den Anschluß Süd-Kärntens an das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, wo Belgrad das Sagen hat. Dadurch entfällt eine Abstimmung in der weiter nördlich gelegenen Zone B mit Klagenfurt.

Das Ergebnis ist aus mehreren Gründen überraschend: In der Zone A sind rund 70 Prozent der Wähler slowenischer Zunge (einschließlich der sogenannten Windischen, die weitgehend deutsch assimiliert sind), weiters gehört Belgrad zu den Siegermächten des Weltkriegs, während das bettelarme Deutsch-Österreich im Diktat von Saint-Germain als Nachfolgestaat des Kaiserreichs behandelt wird. Die SHS-Seite wirbt mit Parolen wie „In Jugoslawien hat der Bauer das Sagen, in Deutschösterreich haben es die Juden und die Barone!“

Südslawische Armee wollte zuvor Fakten schaffen

Andererseits sprechen einige Erwägungen dafür, daß die Kärntner slawischer Zunge für Österreich stimmen. So etwa die Wehrpflicht im SHS-Königreich. Das Plakat mit dem (slowenischen) Text „Mutter, stimme nicht für Jugoslawien, sonst muß ich für König Peter in den Krieg ziehen“ wirkt, aber auch der wohlfeile Absatzmarkt für die Bauern in Klagenfurt. Schließlich ist das Verhalten serbischer Soldaten kaum dazu angetan, für Belgrad zu stimmen.

Bereits Anfang November 1918 rücken slowenische Verbände in Südkärnten ein, obschon der Landtag den Beitritt Kärntens zu Deutsch-Österreich erklärt hat. Die Landesregierung unter Landesverweser Arthur Lemisch weicht nach Spittal an der Drau aus und entschließt sich zum bewaffneten Widerstand. Die vom Sozialdemokraten Karl Renner geführte Regierung in Wien lehnt den Abwehrkampf offiziell ab, man befürchtet einen Kohlen- und Nahrungsmittelboykott seitens der Tschechen. Deswegen unterbleibt in der benachbarten Steiermark ein nennenswerter militärischer Widerstand, was den Verlust der Untersteiermark nach sich zieht.

Erster Erfolg des Kärntner Abwehrkampfes, geführt von Oberstleutnant Ludwig Hülgerth und Oberleutnant Hans Steinacher, ist die Vereitelung einer südslawischen Okkupation der Landeshauptstadt Klagenfurt Mitte Dezember 1918. Ein Gegenschlag der Kärntner Freiwilligen wird durch einen Waffenstillstand am 14. Januar 1919 gestoppt. Ende April greifen die SHS-Truppen erneut an, werden jedoch in dieser zweiten Phase des Kärntner Abwehrkampfes durch einen Gegenangriff zur Gänze aus Kärnten verdrängt. Man dringt sogar in die Untersteiermark vor, zieht sich am 9. Mai auf Weisung der Wiener Regierung aber wieder zurück. Angesichts von Drohungen der Entente muß das Gebiet südlich des Flusses Drau den SHS-Kräften überlassen werden.

Die Freude währt nicht lange: Ende Mai beginnt eine serbisch-slowenische Offensive unter dem Befehl des ehemaligen k.u.k. Offiziers Rudolf Maister (später Majster), der schon die deutsche Stadt Marburg in der Untersteiermark gewaltsam für Belgrad erobert hatte. Angesichts einer oft zehnfachen Überlegenheit der Südslawen weichen die Kärntner zurück. Ab 6. Juni 1919 ist Klagenfurt in Maisters Hand. Doch der Oberste Rat der Entente befiehlt Belgrad die Räumung, was am 18. September geschieht. Stattdessen rücken Italiener ein. Bloß die  spätere Abstimmungszone A bleibt bis zum 13. September 1920, also kurz vor der Volksabstimmung, von den Südslawen besetzt. 

Annexion strategischer Orte von Italien und SHS-Staat

Der heldenhafte Kärntner Abwehrkampf kostet rund zweihundert Gefallene und 800 Verwundete. Er ist nicht umsonst: In Saint-Germain wird noch im September 1919 eine Volksabstimmung angeordnet, die vor genau einhundert Jahren, am 10. Oktober 1920, mit dem Ergebnis pro Deutsch-Österreich endet.

Die Landeseinheit Kärntens ist allerdings bloß cum grano salis bewahrt, weil ein paar kleine, strategisch für die südlichen Nachbarn wertvolle Landstriche abzutreten sind. Zum Beispiel das Kanaltal, südlich des Hauptkamms der Karnischen Alpen gelegen. Es muß  Italien abgetreten werden, obwohl dort überhaupt keine Italiener siedeln. Weiters das Mießtal mit dem Verkehrsknotenpunkt Unterdrauburg (Dravograd) im Südosten Kärntens, es fällt ohne Abstimmung an das SHS-Königreich. Hingegen kann die von Slowenen besiedelte Gemeinde Seeland (Jezersko) südlich von Eisenkappel nicht als Verlust gelten, weil das Herzogtum Kärnten am 26. Oktober 1918 einen Gebietstausch mit dem (slowenischen) Herzogtum Krain vornimmt: Seeland kommt zur Krain, dafür die deutsche Gemeinde Weißenfels (Fusine) an Kärnten. Allerdings muß Weißenfels später mit dem Kanaltal an Rom abgetreten werden.