© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/20 / 09. Oktober 2020

Der Logos im Aufstieg
Mit der Freude am Paradox und dem Vertrauen auf den göttlichen Logos: E. Michael Jones über die Geschichte des christlichen Glaubens
Robert Rielinger

Der US-amerikanische Schriftsteller Eugene Michael Jones unternimmt den Versuch, den „logos“ als zentrale Kategorie christlichen Glaubens in seinem wechselvollen Gang durch die Geschichte darzustellen. Methodisch bedient er sich des close reading, das Textautonomie über Autorschaft und Zeitumstände stellt, und der vergleichenden Kulturmorphologie.

Die Bibelstellen Joh. 1 und 14 lauten bei ihm: „Am Anfang war der Logos. Der Logos war mit Gott und Gott war der Logos“ sowie „Der Logos wurde Fleisch“. Die Satzfolge entfaltet mittels close reading – wenn man „logos“ in den ersten beiden Sätzen als „göttliche Ordnung“ bzw. „heiliger Geist“ und im dritten als „Gottessohn“ versteht – Trinität auch syntaktisch als Dreierstruktur. Analogie von göttlichem Logos und menschlicher Vernunft und Inkarnation dieser Analogie in Christus sind Kern katholischer Lehre, sei es in Thomas von Aquins „Summae“ oder Papst Benedikts Regensburger Vorlesung. 

Rückfälle zu Lasten der wissenschaftlichen Potenz

Historisch läßt Jones unter Logos-aspekt Christentum und Islam gemeinsam starten, was an Spenglers kulturmorphologische Sicht des frühen Mittelalters erinnert. Der Islam als orientalisch seßhaft gewordene nestorianische Häresie (Luxenberg-Hypothese) – „Gott hat keinen Sohn“ – leugnet die Trinität. Trotz möglicher „thomistischer“, logos-orientierter Kandidaten (wie Mutazaliten im 9. Jahrhdunert) fällt der Islam wieder zurück. Das bedeutet: keine sekundäre Kausalität in der Schöpfung und damit keine Naturwissenschaft, zyklische Zeit und damit kein Fortschritt, Gott ohne Sohnes-Inkarnation und damit nur Wille, nicht Liebe. 

Die wechselvolle Akzeptanz der Trinität führte im Abendland bislang zwar nicht zum Verlust der sekundären Kausalität und naturwissenschaftlicher Potenz, wohl aber zu transepochalen Rückfällen in zyklische Zeitkonzepte (Nietzsche) und voluntaristische Gottesbilder, sei es willkürlich-fern (Calvin) oder infantil-nah („Wir sind Kirche“). Detailreich zeigt Jones kulturmorphologische Parallelen solcher Rückfälle. Transepochale Minderungen der christlichen Inkarnations- zur  Buchreligion sieht er in der Verballhornung der weihnachtlichen Inkarnation zur Herabsendung eines Buches (Sure 97) oder in Luthers „sola scriptura“ samt Herabstufung des Meßopfers zum Symbol statt Transsubstantiation.

Epochal analogisiert er – wie Egon Friedell in seiner „Kulturgeschichte der Neuzeit“ – ein „aufklärerisches Delirium“ mit der Einschleppung der Syphilis durch Söldner im 16. Jahrhundert nach Europa. Pointe: Giambattista Vico als Beobachter des Geschehens sieht er mit der Theorie der „ricorsi“ („Rückfälle“), als Vorläufer seines eigenen Denkens. Drei logoszentrierte Episoden währten nach Jones nur kurz. Der Thomismus des Hochmittelalters sah sich franziskanischer Intuition (Bonaventura) und Ockhamschem Partikularismus gegenüber. Das gegenreformatorische Konzil von Trient wirkte nur bis 1789. Der Neothomismus Joseph Kleutgens (1811–1883) war nur bis zum II. Vaticanum erfolgreich, nicht zuletzt wegen eines „Vorsehungsdefizits“, des Mangels an Konkretion von „der Mensch denkt, Gott lenkt“.

Für Jones ist Vorsehung paradox als objektive „Wahrheit, die auf dem Kopf steht, um Aufmerksamkeit zu erregen“ (Chesterton) wie die politischen Umbrüche im „annus mirabilis“ 1789 und als subjektive Erfahrung, als erfolgreiches „Trotzdem“. Zur Verdeutlichung beschreibt Jones das Zerbröckeln der thomistischen Fassade der Universität Notre Dame/Indiana seit den sechziger Jahren und sein damit verbundenes Scheitern als Hochschullehrer 1980 dort. Objektiv macht der Zusammenbruch eine vorherige Lüge sichtbar, subjektiv erfährt Jones die Gnade eines größeren Wirkungskreises als in Notre-Dame mit der Gründung seines Verlages. Dies gelingt durch die Spende eines Kollegen, der bei uns eher als Autor von Father-Brown-Krimis in der Tradition Chestertons bekannt ist.

So schließt sich der Kreis: existentiell, mit der Freude am Paradox und dem Vertrauen auf den göttlichen Logos erfüllt Jones zeitgemäß die Kriterien eines  angelsächsischen defensor fidei vom Typ Chestertons, Bellocs oder Percys.

E. Michael Jones: Logos Rising. A History of ultimate Reality. Fidelity Press, South Bend Indiana 2020, gebunden, 783 Seiten, 48 US-Dollar