© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/20 / 09. Oktober 2020

Die Suche nach den infektiösen Patienten
Neue Corona-Schnelltests / Berechtigte Hoffnung oder noch mehr verschwiegene Probleme?
Jörg Schierholz

Vorigen Donnerstag vermeldete das Robert-Koch-Institut (RKI) 2.503 Corona-Neuinfektionen. Das waren nur vier weniger als fünf Tage zuvor, als mit 2.507 Meldungen der Gesundheitsämter innerhalb eines Tages der höchste Wert seit Ende April verzeichnet worden war. Seit Februar zählte das RKI 291.722 Sars-CoV-2-Infektionen und etwa 9.500 Todesfälle, die mit Covid-19 in Zusammenhang standen. Wie viele Patienten in Deutschland trotz milden Krankheitsverlaufs unter chronischen Spätfolgen leiden, weist bislang keine Statistik aus.

Der Höhepunkt bei den täglich gemeldeten Neuinfektionen lag im März und April bei über 6.000 – bei allerdings weit geringerer Corona-Testzahl. Und mit schnellen Antigentests sollen laut Gesundheitsminister Jens Spahn nun Infektionsherde noch schneller erkannt werden. Das RKI und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) beginnen zudem mit einer bundesweiten Antikörper-Studie mit 34.000 Probanden. Dies soll klären, wie viele bereits eine Sars-CoV-2-Infektion durchgemacht haben, wie hoch die Zahl der symptomlosen Infektionsverläufe ist und welche Personen häufig betroffen sind.

Zweifel an der Aussagekraft der bisherigen PCR-Tests

Antigentests weisen in einer Probe kein Viruserbgut nach, sondern bestimmte Proteine von Sars-CoV-2 und brauchen im Gegensatz zu den bisherigen PCR-Tests kein Labor. Das Ergebnis liegt in 30 Minuten in Form eines Farbumschlags vor. Solche Tests müssen aber weiter durch medizinisches Fachpersonal durchführt werden. Das Testen zu Hause, wie bei einem Schwangerschaftstest, ist wegen des verschärften Medizinproduktegesetzes nicht erlaubt.

Es gibt aber einen Nachteil: Es werden dabei auch Menschen als positiv angezeigt, die keine Sars-CoV-2-Virusbestandteile in sich tragen. Daher müßten eigentlich alle positiven Antigen-Testergebnisse durch einen PCR-Test bestätigt werden. Daher hat Bosch mit der hessischen Firma R-Biopharm einen PCR-Schnell-Test mit einer Sensitivität von 98 Prozent und Spezifität von 100 Prozent entwickelt. Bis zu 160 Proben am Tag können mit einem Gerät getes­tet werden, ideal etwa für Flughäfen.

Die Auswertung der üblichen PCR-Tests erfolgt bislang in akkreditierten Laboren. Würden diese neuen Schnelltests in Arztpraxen, Krankenhäusern, Schulen oder Altersheimen installiert, könnten sie trotz aller Meßungenauigkeiten helfen, schnell zwischen einer Erkältung, Grippe und Covid-19 zu unterscheiden. Und so könnten auch zahlreiche coronabedingte Einschränkungen vermindert werden.

Momentan gibt es etwa 170 unterschiedliche PCR-Tests, die lediglich eine Notfallzulassung in den USA oder in Europa erhielten. Es werden dabei unterschiedliche Gensequenzen des Virus nachgewiesen. Die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) überprüft diese Tests in Ringversuchen. Neben echten Sars-Cov-2-Proben wurden laut des einzigen zugänglichen Berichts auch Proben von zwei harmlosen Corona-Viren und Placebo-Proben getestet. Die DAkkS fand im April Falsch-Positiv-Raten von 2,2 Prozent bei Vorliegen des harmlosen Erkältungsvirus OC43, Falsch-Positiv-Raten von 7,6 Prozent bei Vorliegen des Erkältungsvirus E229 sowie Falsch-Positiv-Raten von 1,4 Prozent bei Vorliegen keines weiteren Virus.

Im New England Journal of Medicine berichtete das behandelnde japanische Ärzteteam, daß die meisten Patienten des unter Quarantäne geratenen britischen Kreuzfahrschiffes „Diamond Princess“ mehrmals positive Tests aufwiesen – ohne Covid-19-Symptome. Andere Studien zeigen, daß nach einer Woche nur noch bei zehn Prozent der Infizierten vermehrungsfähige Viren nachzuweisen waren, der PCR-Test aber deutlich häufiger positiv war.

Forscher der Johns Hopkins University (Baltimore) hatten insgesamt sieben Studien zur Verläßlichkeit der Tests ausgewertet und kamen auf fast 20 Prozent falsch-negative Resultate. Diese hingen aber vom Stadium und der Intensität der Infektion ab. Der Zeitpunkt der Probenahme hat somit Einfluß auf die Zuverlässigkeit: In den ersten drei Tagen nach einer Infektion gab es falsch negative „Fehlerquoten“ von bis zu 40 Prozent. Das erklärt, die Quarantänezeit von fünf Tagen bis zum Test, falls man aus einem Risikogebiet kommt.

Das Infektionsschutzgesetz und die Covid-19-Definition

Der Harvard-Epidemiologe Michael Mina deutete schon Ende August in der New York Times an, daß diese Tests zu wenig aussagekräftig wären. Viele positiv Getestete trügen lediglich ein unbedeutendes Virus-Quantum in sich, von den meisten gehe daher keine Ansteckungsgefahr aus. Der entscheidende PCR-Test-Faktor ist der CT-Wert oder die „Zyklusschwelle“. Der Test durchkämmt das genetische Untersuchungsmaterial in Zyklen, in denen die Virus-DNA vermehrt wird. Je weniger Zyklen benötigt werden, um so höher ist die Viruslast und umso höher ist auch die Ansteckungsgefahr.

In Massachusetts, New York und Nevada hätten bis zu 90 Prozent der Tests positive Ergebnisse gezeigt, aber tatsächlich hätten die Getesteten nur eine geringe Virenlast aufgewiesen. Mina schlägt einen höheren CT-Wert von 30 bis 35 für ein positives Testergebnis vor. Auch Carl Heneghan vom Public Health Service England unterstützt einen „Cut-Off“-Punkt von 30, um die Wahrscheinlichkeit falsch-positiver PCR-Testergebnisse zu reduzieren. Die deutschen Labore übermitteln zumeist keine Informationen zu den Test-Zyklen an das RKI und die Gesundheitsämter. Und wenn doch, werden diese nicht ausgewertet.

Der Nachweis der Nukleinsäure gebe „keinen Rückschluß auf das Vorhandensein eines infektiösen Erregers. Dies kann nur mittels eines Virusnachweises und einer Vermehrung in der Zellkultur erfolgen“, konstatiert die Berner Medizinbehörde Swissmedic. Das bedeutet: Nicht jeder positive PCR-Test weist eine tatsächliche Infektion oder einen klinischen Fall nach. Das RKI faßt allerdings alle Nachweise mit oder ohne klinischer Symptomatik als Corona-Fälle zusammen: In Einklang mit der Weltgesundheitsorganisation WHO und der EU-Behörde für die Prävention von Krankheiten (ECDC) werte man „alle labordiagnostischen Nachweise von Sars-CoV-2 unabhängig vom Vorhandensein oder der Ausprägung der klinischen Symptomatik als Covid-19-Fälle“.

Allerdings ist eine Infektion laut Infektionsschutzgesetz (IfSG) „die Aufnahme eines Krankheitserregers und seine nachfolgende Entwicklung oder Vermehrung im menschlichen Organismus“. Da die PCR-Tests aber nur Erbgutschnipsel des Virus messen können, sind die rechtlichen Einschränkungen mittels des IfSG – basierend auf den Zahlen des RKI – zumindest zweifelhaft. Und von „nachweislich mit dem Virus Sars-CoV-2“ Infizierten zu sprechen ist damit eigentlich falsch.

Antikörper-Studie „Leben in Deutschland – Corona-Monitoring“: www.rki.de

Verein Corona-Reset: corona-transition.org