© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/20 / 16. Oktober 2020

Sie hatten keinen Raum in der Herberge
Corona: Kritik an uneinheitlichen Maßnahmen der Länder
Peter Möller

Wer gedacht hatte, daß die Behörden ihre Lehren aus der Corona-Krise im Frühling gezogen haben und mit wohlüberlegten Maßnahmen auf die von vielen Experten erwartete zweite Infektionswelle reagieren würden, sieht sich dieser Tage eines Besseren belehrt. Spätestens mit der Verhängung des vielfach als unverhältnismäßig kritisierten Beherbergungsverbotes für Reisende aus innerdeutschen Risikogebieten wird deutlich, daß Bund und Länder immer noch genauso kopflos und unabgestimmt auf die Pandemie reagieren wie im März und April.

Angesichts der weiter steigenden Infektionszahlen und des wachsenden Unmuts über die Kleinstaaterei bei den Maßnahmen war für diesen Mittwoch im Kanzleramt ein Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten der Länder angesetzt (Ergebnisse lagen bei Redaktionsschluß noch nicht vor). Dieses war laut Medienberichten auf ausdrücklichen Wunsch der Kanzlerin als „physisches Präsenzformat“ und nicht wie bisher als Videokonferenz geplant. Das Kanzleramt begründete die Notwendigkeit der Anwesenheit mit der Corona-Infektionslage in Deutschland. Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) erwartete demnach eine Debatte, die eine „historische Dimension“ annehmen könnte. Angesichts der Entwicklung stelle sich die Frage, ob die bereits getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie noch ausreichten, sagte Braun laut Bild. Ziel müsse sein, die Wirtschaft zu schützen und die Schulen offenzuhalten.

Hohe Zustimmung in der Bevölkerung

Auch das Beherbergungsverbot, das mittlerweile in den meisten Bundesländern gilt und nach dem Menschen aus Regionen mit mehr als 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner binnen einer Woche nur in einem Hotel übernachten können, wenn sie einen aktuellen Corona-Test mit negativem Ergebnis vorweisen können, stand auf der Tagesordnung. Die Regelung wird vielfach als unverhältnismäßig kritisiert, zudem wird die Inanspruchnahme von Testkapazitäten moniert. Doch zeigten sich die Länderchefs in dieser Frage Anfang der Woche gespalten. 

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) kritisierte das Beherbergungsverbot im ZDF deutlich: „Wir haben Hunderttausende Pendler jeden Tag. Die begegnen sich im Einzelhandel, im Nahverkehr, auf der Arbeit. Und dann darf ein Berliner aber zwei Tage nicht im Spreewald übernachten. Das macht alles keinen Sinn.“ Dagegen sprach sich Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) gegen eine Lockerung aus. „Ich bin nicht dafür: Rein in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln“, sagte sie der ARD. Unterdessen greift die Maskenpflicht weiter um sich. Auch im Freien müssen in bestimmten Gebieten immer öfter Mund und Nase bedeckt werden. So gilt seit Mittwoch in der Stuttgarter Innenstadt eine Maskenpflicht, ebenso bereits seit Montag auf einigen Straßen und Plätzen in Hamburg. Gegen die in der vergangenen Woche von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) verhängte allgemeine Maskenpflicht im Parlament bereitet die AfD-Fraktion eine Klage vor. „Wir wollen klären, ob der Bundestagspräsident uns Abgeordnete und unsere Mitarbeiter im Parlament zum Tragen von Masken verpflichten kann“, sagte der Abgeordnete Stephan Brandner.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) brachte am Wochenende im Kampf gegen die Corona-Pandemie ein bundesweit einheitliches Bußgeld von 250 Euro für Maskenverweigerer ins Gespräch. Es sei Zeit für konsequentes Handeln, sagte er der Bild am Sonntag. In Bayern gilt dieser Regelsatz bereits. „Wenn wir zu lange zögern, besteht die Gefahr eines zweiten Lockdowns“, warnte er. Um einen erneuten Lockdown zu verhindern, müßten „rasche Maßnahmen für alle“ ergriffen werden, wie unter anderem frühere Sperrstunden.

Zahlen des Robert-Koch-Instituts zum Infektionsumfeld lassen indes viele Maßnahmen von Bund und Ländern zumindest als wenig zielführend erscheinen. Demnach haben sich lediglich ein Prozent der Corona-Patienten in Hotels und 0,5 Prozent in Bars oder Restaurants angesteckt. Deutlich sinnvoller als ein Beherbergungsverbot oder eine Sperrstunde wären dagegen Maßnahmen in Altenheimen oder Privatwohnungen. Hier infizierten sich laut RKI 24 beziehungsweise 22 Prozent aller Corona-Patienten in Deutschland.

Bestätigt fühlen kann sich die Politik in ihrem Kampf gegen die Pandemie durch aktuelle Umfragen. Laut ZDF-Politbarometer stoßen die aktuellen Maßnahmen weiterhin auf eine hohe Zustimmung in der Bevölkerung. Die aktuell geltenden staatlichen Schutzmaßnahmen finden zwölf Prozent (September: elf Prozent) aller Befragten übertrieben, 64 Prozent (September: 69 Prozent) halten sie für gerade richtig und 23 Prozent (September: 18 Prozent) sind für weitergehende Maßnahmen. Wenn es im Herbst und Winter zu deutlich erhöhten Infektionszahlen kommt, erwarten 77 Prozent der Befragten, daß es dann auch wieder deutlich stärkere Einschränkungen für weite Teile der Bevölkerung geben wird, 21 Prozent sehen das nicht so.

Auch eine Quarantänepflicht bei innerdeutschen Reisen stößt auf Zustimmung. Reisende, die aus innerdeutschen Risikogebieten kommen, sollen nach Meinung von 64 Prozent der Befragten dann ähnlich wie bei entsprechenden Auslandsreisen quarantänepflichtig werden. 32 Prozent sind gegen eine solche Regelung. Die Quarantänepflicht unterstützen jeweils Mehrheiten bei allen Parteianhängergruppen außer bei der AfD, bei der die Meinungen gespalten sind.