© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/20 / 16. Oktober 2020

Den Wahlkampf nicht bedrohnen
Bundeswehr: Die Sozialdemokraten geben ihren Widerstand gegen bewaffnete unbemannte Flugzeuge auf / Schutz der eigenen Soldaten
Peter Möller

Der Ende September wieder aufgeflammte Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die armenische Exklave Bergkarabach wird auch von deutschen Militärexperten aufmerksam verfolgt. Denn die kriegerische Auseinandersetzung im Kaukasus zeigt einmal mehr die wachsende Bedeutung bewaffneter Drohnen in militärischen Konflikten. Seit Beginn der Kampfhandlungen haben beide Konfliktparteien zahlreiche Videos veröffentlicht, die den Einsatz dokumentieren, wie etwa auf seiten Aserbaidschans israelische „Selbstmord“-Drohnen vom Typ „Harop“, die über den feindlichen Stellungen kreisen und sich dann auf ein Ziel stürzen.

Debakel bei neuem Sturmgewehr

Im Berliner Verteidigungsministerium werden diese Aufnahmen vermutlich mit gemischten Gefühlen ausgewertet. Zum einen dürften sich die militärischen Planer in ihrem Drängen bestätigt fühlen, auch die Bundeswehr endlich mit bewaffneten Drohnen auszurüsten. Andererseits besteht die Gefahr, daß die Videos aus dem Kaukasuskonflikt die öffentliche Meinung in Deutschland negativ beeinflussen könnten, etwa wenn zivile Ziele getroffen werden.

Denn die politische Entscheidung über die Beschaffung von Kampfdrohnen steht nach jahrelanger Diskussion unmittelbar bevor. Die SPD, die eine Entscheidung jahrelang verschleppt hatte und noch Anfang 2018 im Koalitionsvertrag mit der Union darauf bestand, daß eine parlamentarische Entscheidung über eine Bewaffnung erst nach „ausführlicher völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung“ erfolgen kann, hat ihren Widerstand mit Blick auf den nahenden Wahlkampf aufgegeben. Zu diesem Sinneswandel beigetragen hat nach Einschätzung von Beobachtern auch das geschickte Agieren von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in dieser delikaten Frage. So hat die Ministerin einerseits den Druck auf die Sozialdemokraten mit dem Verweis darauf, daß bewaffnete Drohnen den Schutz der eigenen Soldaten bei Auslandseinsätzen verbessern, gezielt erhöht, zum anderen ist sie auf konkrete Forderungen der SPD, die diese in einem Kriterienkatalog zusammengefaßt hatte, ohne große Diskussionen eingegangen.

Zu diesen Bedingungen, die es den Sozialdemokraten erleichtern, in der Öffentlichkeit das Gesicht zu wahren, zählt, daß die Drohnen nicht wie beispielsweise in der amerikanischen Armee von einem Tausende Kilometer vom Einsatzort entfernten Standort gesteuert werden sollen, sondern möglichst direkt im Einsatzland. Außerdem soll das Verteidigungsministerium das Einsatzkonzept für Drohneneinsätze offenlegen und eine größtmögliche psychologische Betreuung der Piloten gewährleisten. Forderungen, mit deren Umsetzung Kramp-Karrenbauer, die noch in diesem Jahr einen Vertrag über die Beschaffung von Raketen für die bereits bestellten fünf israelischen Drohnen des Typs Heron TP abschließen will, dem Vernehmen nach gut leben kann. Im Bundestag nahm der Drohnendeal in der vergangenen Woche denn auch die erste parlamentarische Hürde. Der Verteidigungsausschuß stimmte der Beschaffung bewaffneter unbemannter Flugkörper zu, nur Linkspartei und Grüne lehnten das Vorhaben am Ende noch ab. Für Kramp-Karrenbauer kommt der Durchbruch bei der Beschaffung von Drohnen keinen Tag zu früh. Denn gleichzeitig wird immer deutlicher, daß sich der Kauf neuer Sturmgewehre für die Truppe zu einem Desaster entwickelt. Am vergangenen Freitag teilte die Ministerin mit, daß das Verteidigungsministerium den erst kürzlich erteilten Zuschlag für das neue Sturmgewehr der Bundeswehr an die Firma C.G. Haenel (JF 40/20) wegen des Verdachts von Patentverletzungen durch das Unternehmen aus Suhl wieder aufgehoben hat. 

Mit dem Platzen des überschaubaren Beschaffungsverfahrens für ein neues Sturmgewehr ist das Chaos bei den aktuellen Rüstungsvorhaben perfekt. Denn nur wenige Tagen zuvor hatte das Verteidigungsministerium bereits bei der Beschaffung des neuen Transporthubschrauber die Reißleine gezogen und den Wettbewerb zwischen den beiden amerikanischen Herstellern Boeing und Sikorsky abgebrochen. „Nach dem Desaster mit dem Transporthubschraubers und jetzt der Panne beim Sturmgewehr steht Deutschland ziemlich blamiert da“, faßte die SPD-Verteidigungspolitikerin Siemtje Möller in der Nordwest-Zeitung die Situation zusammen. Zumindest beim Sturmgewehr könnte es eine einfache Lösung geben. Der FDP-Abgeordnete Alexander Müller schlägt vor, das „verunglückte Beschaffungsvorhaben“ einfach zu beenden. Das G36 sei „ein gutes und ausgereiftes Sturmgewehr“, mit dem die Soldaten sehr zufrieden seien.