© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/20 / 16. Oktober 2020

Hofnarren sollen der Intellektuellendämmerung trotzen
Experten für alles außer Dienst
(wm)

Als das Drama um die entführte Lufthansa-Maschine „Landshut“ im Oktober 1977 in Mogadischu seinem Höhepunkt zustrebte, lud der Bundeskanzler Helmut Schmidt Max Frisch, Heinrich Böll, Siegfried Lenz und Siegfried Unseld in seinen Bonner Bungalow ein, um sich mit ihnen stundenlang zu beraten. Drei Literaten und ein Verleger als „Hilfe von außen“ in höchster Not. Dreißig Jahre später, während der US-Finanzkrise, sei eine vergleichbare Konstellation völlig undenkbar gewesen. Angela Merkel hätte sich nie von Intellektuellen beraten lassen. Daraus leitet Maja Beckers, Redakteurin des Philosophie-Magazins Hohe Luft, deren drastisch gesunkene gesellschaftliche Autorität ab (6/2020). Die Zeit „klassischer Intellektueller“ sei also vorbei. Diese „Experten für alles“ hätten inzwischen Wissenschaftlern das Feld geräumt, die sich nur auf einem Gebiet, dafür aber dort gründlich auskennen. Trotzdem sei die „Sehnsucht nach charismatischen Denkern“ geblieben, die ihren Zeitgenossen Orientierung geben. Da diese Spezies jedoch zusätzlich durch ihr Faible fürs Totalitäre diskreditiert sei – Beckers fällt dabei selbstredend nur das „intellektuelle Umfeld der Nazis“ ein –, vermodern ihre alten Kostüme, die des Propheten, Seelenarztes oder Weltenrichters, im Fundus. Nur als Narr, der pompöse Machtambitionen in Politik und Wissenschaft untergrabe, könne der Intellektuelle noch eine öffentliche Rolle spielen. Wenn Beckers dafür ausgerechnet den GEZ-Kasper Jan Böhmermann und seine „geistreichen Attacken auf die Macht“ zum Vorbild erhebt, zeigt dies allerdings nur, daß die Intellektuellendämmerung auch in ihrer Redaktion längst begonnen hat. 


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