© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/20 / 16. Oktober 2020

„Urlaubsschein, wann wirst du endlich mein?“
Christian Packheiser beleuchtet in seiner Studie den Heimaturlaub deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg
Alexander Graf

Während des Zweiten Weltkriegs dienten etwa 17 bis 18 Millionen Männer in der Wehrmacht. Sie waren freilich nicht durchgängig im Einsatz, sondern kehrten im Fronturlaub in die Heimat zurück. Diesen Auszeiten vom Kriegsalltag widmet sich der Historiker Christian Packheiser in seiner umfangreichen Arbeit und untersucht, welche Funktion der Heimaturlaub für die Soldaten, ihre Familien und das nationalsozialistische Regime hatte. 

Wie wichtig eine gerechte Erteilung des Urlaubs war, zeigt dabei ein Blick auf den Ersten Weltkrieg. Da sorgte die Bevorzugung von Landwirtssöhnen für Unmut unter den Kameraden, wenn diese während der Erntezeit in die Heimat reisen konnten. Die Nationalsozialisten privilegierten hingegen ab 1939 Familienväter bei der Urlaubsvergabe. Daß die Verantwortlichen dabei auf die sich ständig verändernde Lage an den Fronten reagieren mußten, wird daran deutlich, daß sich die Richtlinien für den Heimaturlaub zum Teil mehrmals im Jahr änderten. 

Packheiser schildert, welche Logistik und Infrastruktur dahintersteckte, um den Soldaten die Reisen ins Reich zu ermöglichen. Je nach Einsatzort konnte das sehr lange dauern. „Von Norwegen auf Urlaub ist Scheiße, du bist ja glattweg viereinhalb Wochen unterwegs“, beklagte ein Gefreiter rückblickend in britischer Kriegsgefangenschaft. So habe er allein von Norwegen bis Bielefeld acht Tage für die Reise per Lkw, Schiff und Zug gebraucht. Damals entstanden über das besetzte Europa verteilt über 800 Soldatenheime, in denen die Heimfahrer zwischen den Fahrten übernachten konnten. Diese Einrichtungen dienten auch der Überwachung der Soldaten, hatte die Führung doch Sorge vor einer „Lockerung der Manneszucht“ und etwaigem Fehlverhalten. 

Dort trafen die Landser auch auf Rotkreuzschwestern, von denen sie versorgt wurden. Diese erfüllten laut Packheiser „eine wichtige symbolische Funktion: „Als ‘Leuchtturm’ weiblichen Deutschtums in der Ferne half sie (die Rotkreuzschwester) den Soldaten bei der schrittweisen Rückverwandlung von abgehärteten Frontkriegern in sorgende Familienväter und liebevolle Ehemänner.“ Nachdem die Soldaten monatelang nur das Leben in der Truppe und oftmals schwerste Kämpfe erlebt hatten, sollten sie wieder an das Zivilleben herangeführt werden. 

Besonders bei den Ostkämpfern nahmen Entfremdungserfahrungen mit fortschreitender Dauer des Krieges zu. Die damit einhergehende Verrohung der Sitten problematisierte das Regime selbst in Soldaten- und Frontzeitungen, die auch in den Zügen und Soldatenheimen auslagen. 

Besonders gewinnbringend lesen sich die Kapitel über die Fronturlauber in der Heimat. Packheiser beleuchtet ihre Rolle für die Propaganda der NSDAP, die Versuche der Männer, die Tage unbeschwert mit ihren Familien zu verbringen, und die auftretenden Spannungen in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Durch die Auswertung von Briefen und Tagebüchern auch der Soldatenfrauen vermittelt die Untersuchung mitunter intime Einblicke in die Sorgen und Hoffnungen der Ehepaare. Denn neben den Alltagsbelastungen, denen die Frauen durch die alleinige Kindererziehung unter dem Eindruck des Bombenkrieges ausgesetzt waren, kamen bisweilen auch die körperlichen Bedürfnisse zur Sprache. 

Im Schnitt alle 6,2 Monate Urlaub für Frontkämpfer

Eine besondere Bedeutung nahm der Heimaturlaub auch für die Versorgungssituation in der Heimat ein. Denn die Soldaten konnten vor allem aus Westeuropa begehrte Nahrungsmittel und Luxusgüter mitbringen. Anders war die Situation im besetzten Osteuropa. „Elegante Seidenstrümpfe in vornehmen französischen Geschäften für die Ehefrau zu kaufen und Gewalt gegen Zivilisten, um ein paar Eier mit in den Heimaturlaub zu nehmen, markierten die Bandbreite soldatischen Alltagshandelns“, so Packheiser über diesen Aspekt des Themas. 

Wie wichtig der Regierung die Versorgung der deutschen Zivilbevölkerung im Krieg war, zeigt schon die Aufmerksamkeit, die ihre Überwachungseinrichtungen dem beimaßen. So achtete der Sicherheitsdienst der SS, der SD, besorgt darauf, daß sich die Stimmung an der Heimatfront deswegen nicht verschlechterte. Für das Regime waren der Hunger des Volkes im Ersten Weltkrieg und die Novemberrevolution noch präsent. 

Packheiser bemüht sich, einen möglichst repräsentativen Eindruck davon zu vermitteln, wie lange der Landser auf den heiß begehrten Urlaubsschein warten mußte. Nach Auswertung von 408 Soldbüchern kommt er zu dem Ergebnis, daß die Frontkämpfer im Schnitt alle 6,2 Monate Urlaub bekamen. Sonder- und Festtagsurlaub erhielten demnach vor allem Krieger, auf die in der Heimat eine Ehefrau wartete. Daß der Autor Sonderurlaub für besondere soldatische Verdienste dem nationalsozialistischen Leistungsdenken zuordnet, scheint jedoch zu einseitig gedacht. Unabhängig von der Ideologie werden individuelle Leistungen in allen Armeen besonders hervorgehoben und belohnt. 

Ungeachtet dessen und einiger Zugeständnisse an akademische Moden, wie der Beschäftigung mit den „Auflösungen traditioneller Rollenbilder“, ist das Werk eine sehr informative und hochinteressante Arbeit. Insbesondere der breite Raum, der auch dem Privatleben und der Perspektive der Heimatfront eingeräumt wird, machen die Studie lesenswert. 

Christian Packheiser: Heimaturlaub. Soldaten zwischen Front, Familie und NS-Regime. Wallstein Verlag, Göttingen 2020, 533 Seiten, gebunden, 33 Euro