© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/20 / 16. Oktober 2020

Frisch gepresst

Tito. Nichts deutete 1920 darauf hin, daß der aus der russischen Kriegsgefangenschaft entlassene Habenichts Josip Broz jahrzehntelang die einigende Instanz des just geschaffenen, aber in Kultur und Geschichte so unterschiedlichen 12-Millionen-Einwohner-Gebildes Jugoslawien werden sollte. Dazu brauchte es erst den Einmarsch der Deutschen 1941, nach dem sich der in Moskau geschulte kommunistische Kader mit Rücksichtslosigkeit und militärischem Geschick gegen mächtigere Widerstandsgruppen durchsetzen und die Besatzer auf Trapp halten konnte. Die Briten entschlossen sich deshalb, die Partisanen des im Spanischen Bürgerkrieg den Parteinamen Tito annehmenden Kommunisten als einsamen Kampfgenossen auf dem Kontinent zu unterstützen, auch wenn die finsteren Balkankämpfer die feinen Herren aus den Londoner Clubs fast verschreckten. Nach dem Sieg 1945, dem ein Blutbad an Oppositionellen und Kollaborateuren folgte, das die Osteuropahistorikerin Marie-Janine Calic nicht verschweigt, wird Tito gegenüber Stalin widerbostig und reift zum Staatsmann, zuletzt als Wortführrer der „Blockfreien“. Der 1980 in sozialistischer Tristesse verharrende Staat sollte seinen Tod nur knapp mehr als zehn Jahre überleben. (bä)

Marie-Janine Calic: Tito. Der ewige Partisan. Eine Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2020, gebunden, 442 Seiten, Abbildungen, 22,90 Euro





Spachenpolitik. Wer heute als deutschsprachiger Südtiroler eingeschult wird, der wird in seiner Muttersprache unterrichtet. Dieses Recht ist für die Tiroler südlich des Brenners im Autonomiestatut verbrieft. Doch das war nicht immer so, nachdem Südtirol 1920 von Italien annektiert wurde. Der Preis dafür, daß das Deutsche heute noch maßgeblich für die Provinz ist, war hoch, wie das Buch „Die Deutschen brauchen keine Schulen“ zeigt. Der Ausspruch stammt vom italienischen Unterpräfekten Giuseppe Bolis. Er warf ihn 1923 rund 600 Müttern entgegen, die in Bozen für die Beibehaltung der deutschen Schule demonstrierten. Während des Faschismus waren diese dann sogar verboten. Die Autoren zeigen in ihrem historischen Streifzug , daß das Errungene nicht selbstverständlich ist, wie Entwicklungen in der italienischen Region Aosta und im Elsaß zeigen, wo das Französische beziehungsweise Deutsche fast verschwunden ist. (ls)

Verein Südtiroler Geschichte: Die Deutschen brauchen keine Schulen. Südtirols Geschichte oder Zukunft? Effekt! Buch, Neumarkt 2020, gebunden, 188 Seiten, 24,90 Euro





Diktatur-Erbe. Die höchste Produktivität erreichte die DDR in der Konstruktion von „Staatsfeinden“, so der Dramatiker Heiner Müller. Wortlos dagegen blieb der familiäre Austausch über das Leben in der Diktatur. Diesen Eindruck vermittelt das von den Filmemacherinnen Sabine Michel und Dörte Grimm initiierte „Generationengespräch Ost“. Scheint doch hier die Sprachlosigkeit zwischen den Kindern (Jahrgang 1968 bis 1987) und den Eltern zu dominieren, besonders wenn letztere für das MfS oder als SED-Funktionäre tätig waren. Wie etwa der Stiefvater von Dirk, der ihn anschreit, weil der ein West-T-Shirt mit dem Schriftzug „Miami Beach“ trägt, woraufhin der Stiefvater das Logo herausschneidet. Dennoch ist dieses Gespräch (mit der Mutter Josephine) unter dem Titel „Ich fühle mich nicht wie ein Nazi“ das authentischste von allen „Settings“. (cd)

Sabine Michel, Dörte Grimm: Die anderen Leben. Generationengespräche Ost. Be.bra Verlag, Brandenburg 2020, broschiert, 197 Seiten, Abbildungen, 20 Euro