© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/20 / 16. Oktober 2020

Lächerlich, aber nicht witzig
Birgit Kelle prangert erneut die verhängnisvollen Auswüchse der gesellschaftlich immer mächtiger werdenden Genderideologie an
Michael Dienstbier

Gendergaga“ – eine Begriffsprägung der Publizistin Birgit Kelle. Mit viel Humor sezierte sie in ihrem gleichnamigen, 2015 erschienenen Buch den real existierenden Genderismus, der zu diesem Zeitpunkt bereits Bestandteil des Regierungshandelns geworden war. Doch das Lachen ist der Autorin gründlich vergangen: „Gender ist lächerlich, aber nicht witzig“, gibt Kelle zu Beginn ihres neuen Buches „Noch normal? Das läßt sich gendern!“ den Ton für die kommenden 250 Seiten vor, die sich vor allem den Opfern dieser immer aggressiver auftretenden Ideologie zuwenden: Frauen und Kindern.

Anhand zweier Fälle aus Großbritannien verdeutlicht Kelle, daß das Ziel der Genderbewegung nicht ein Mehr an Gleichberechtigung ist, sondern die Abschaffung der Biologie des Menschen. Der Sexualstraftäter „Karen“ White klagte 2018 auf Verlegung in ein Frauengefängnis, da er eine Transfrau sei. Seit dem 2004 erlassenen Gender Recognition Act kann jeder Brite sein Geschlecht je nach Gefühl, unabhängig von seinen körperlichen Merkmalen, ändern lassen. Der Klage wurde stattgegeben, wenig später vergewaltigte „Karen“ zwei Mitgefangene. 

Im April dieses Jahres reichte die heute 23jährige Keira Bell Klage gegen eine staatliche Klinik in London ein. Vor acht Jahren habe man nach nur drei kurzen Beratungsterminen ihrem damaligen Wunsch entsprochen, ein Mann zu werden, ihr Hormonblocker verschrieben und später alle Operationen durchgeführt. Heute bereut sie ihre Entscheidung.

Noch sind solche Fälle in Deutschland nicht möglich. Das derzeit geltende Recht erlaubt eine Geschlechtsumwandlung oder die offizielle Bezeichnung „divers“ nur, wenn körperliche Merkmale dem ausgewiesenen Geschlecht eindeutig widersprechen – dies markiert den häufig ignorierten Unterschied zwischen intersexuell (männliche und weibliche Merkmale biologisch nachweisbar) und transgender (subjektiv gefühltes Geschlecht). 

Es ist das erklärte Ziel der Transgenderlobby, die völlig von der biologischen Hardware losgelöste freie Geschlechtswahl als einzig entscheidendes Kriterium in der deutschen Rechtsprechung zu verankern. Parallel dazu ist es der Bewegung gelungen, ihre Ideologie unter den Wohlfühllabeln „Vielfalt und Toleranz“ in Kindergärten und Schulen zu implementieren. 

Im Kapitel „Gender macht Schule“ führt Kelle aus, daß auf Grundlage der „Sexualpädagogik der Vielfalt“ Kinder in mehreren Bundesländern eine „Porno-Kompetenz“ entwickeln sollen. Dazu gehöre es, Konzepte wie „Darkroom“ oder „zu früh kommen“ pantomimisch darzustellen. Basierend auf diesem pädagogisch-didaktischen Leitfaden kann an Grundschulen mittlerweile vermittelt werden, daß es völlig in Ordnung sei, sich gegenseitig die „Muschi lecken“ zu wollen. Was hier unter dem Deckmantel der Aufklärung und Toleranzerziehung daherkommt, läßt sich mit einem Wort zusammenfassen: Kindesmißbrauch.

Der Siegeszug der Genderideologie scheint unaufhaltsam. Mittlerweile haben die öffentlich-rechtlichen Staatsmedien nahezu geschlossen die genderkonformen Sprachregelungen in Wort- und Lautbild – der geschriebene Genderstern, die gesprochene Kunstpause bei Worten wie „Zuschauer…Innen“ – adaptiert. Auch der Deutsche Fußball-Bund hat sich dem Kulturkampf angeschlossen und reimt in seinem neuen Spot „Für alle“, der seit Anfang September regelmäßig ausgestrahlt wird: „Für Schwule, Lesben und Transgender, für Menschen aller Herren Länder.“ 

Es bleiben Fragen nach dem Wie und Warum: Warum haben sich die tonangebenden Eliten des Westens einem Menschenbild verschrieben, welches wissenschaftliche biologische Gegebenheiten und seit Jahrhunderten gültige kulturelle Konstanten fanatisch bekämpft? Wie kann es sein, daß durch administrative Exekutiventscheidungen auch die sensibelsten Lebensbereiche bis hin zur Sprache mitsamt Androhung von Repressionsmaßnahmen auf Genderlinie gebracht werden? Wo waren die Debatten in den Feuilletons und Parlamenten? Mit seinem Ziel der Loslösung des Menschen aus seiner biologischen Determiniertheit, so Kelle gegen Ende des Buches, passe der Genderismus perfekt zum globalistischen Zeitgeist im Zeichen von Selbstoptimierung und politischer Entmündigung: „Gender-ideologie ist Schrittmacher in einer Zeit der totalen Entgrenzung (…) von Gewißheiten (…). Multikulturell, multinational, geschlechtslos und jetzt auch noch sprachlos soll er sein, der neue Mensch.“ Birgit Kelle gelingt die verstörende Bestandsaufnahme einer bestens vernetzten Bewegung, die kurz davorsteht sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens in ihrem Sinne final umzugestalten.

Birgit Kelle: Noch normal? Das läßt sich gendern! Gender-Politik ist das Problem, nicht die Lösung. Finanzbuchverlag, München 2020, broschiert, 250 Seiten, 19,99 Euro