© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/20 / 16. Oktober 2020

Das zerstörerische „Gut gemeint“
Die Publizistin Gabriele Kuby beklagt zunehmende Entwicklungsstörungen vieler Kinder: Zerfallende Familien und moderner Hedonismus wirken verderblich
Martin Voigt

Unsere westliche Gesellschaft ist für Kinder ein Paradies. Nur das Beste für die lieben Kleinen: Aufwendige Pränataldiagnostik, professionelle Ganztagsbetreuung engagierter Pädagog*innen, frühkindliche Bildung in Krippen, vielfältiger Sexunterricht in der Schule, Kinderrechte ins Grundgesetz, Vollversorgung mit sozialen Medien, das Smartphone als Nabelschnur ins Bindungsbiotop der Gleichaltrigen, und als digitales Sahnehäubchen Pornos in allen Spielarten. Der Staat reduziert Familie und sorgt für Chancengleichheit, und das Produkt sind die glücklichsten Heranwachsenden, die je ins Leben gestartet sind – oder doch nicht?

Gabiele Kuby geht in ihrem Buch „Die verlassene Generation“ alle Stationen im Großwerden unserer Kinder durch und stellt fest, daß die Mischung aus modernem Hedonismus und einem humanistischen „Gut gemeint“ zerstörerischer nicht sein könnte für die Seele der Kinder. Sie sind die Leidtragenden emanzipatorischer Ideologien und familiärer Brüche. Seit Jahren nehmen psychische Leiden und Entwicklungsstörungen im Kindes- und Jugendalter zu. Doch die großen Untersuchungen dazu reden meist nur um den heißen Brei herum. „Der Zerfall der Familie taucht als Ursache nicht auf, das Wort Scheidung kommt nicht vor“, beklagt Kuby, aber ihr Buch ist kein lutherischer Schlag mit der flachen Hand auf den Tisch.

Weit über hunderttausend Eltern lassen jedes Jahr ihre Kinder vor der Geburt töten. Wer sich für sein Kind entscheidet, schiebt es fast ausnahmslos noch als Baby in die Krippe ab. Wo eigentlich nur noch Raum für wütende Polemik ist, schreibt Kuby ein herzliches Plädoyer: „Schenken wir den Kindern die Kindheit zurück und uns allen die Zukunft.“

Es ist wohl eines der persönlichsten Bücher der Bestsellerautorin („Die globale sexuelle Revolution“): „Ich sitze auf keinem hohen Roß. Ich bin Scheidungskind und bin selbst wieder geschieden. Ich wurde zur alleinerziehenden Mutter.“ Das Autorenfoto auf dem Umschlag zeigt Kuby zusammen mit ihrem jüngsten Enkelkind.

„Es gibt keine perfekten Eltern und keine perfekten Familien“, so die dreifache Mutter, „aber es gibt Menschen, die wachsen wollen. Dies ist die einzige Voraussetzung, um dieses Buch mit Gewinn zu lesen.“ In 13 Kapiteln analysiert Kuby sämtliche zeitgeistige Angriffe auf Familien und Kinder und führt dabei auch in aktuelle Debatten zur Verhütung und Abtreibung, der Leihmutterschaft, der sogenannten Kinderrechte oder dem neuen Hype um Transgender.

„Wie schön, daß es dich gibt. Ich will, daß es dir gut geht. Ich bin bereit, dafür Opfer zu bringen.“ – Diese Liebesbotschaft an das Kind müsse im Zentrum des Elternseins stehen, fordert Kuby. Ein verläßliches Ich-bin-da statt „Qualitytime“ am Abend. Vater-Mutter-Kind ist kein Kinderspiel, „es ist der Ernstfall des Lebens“. Die Grenzerfahrungen lauern nicht nur im alltäglichen Spagat zwischen Beruf und Familie, sondern stets auch in der eigenen Seele. Die Hilflosigkeit und das Liebesbedürfnis unserer Kinder konfrontieren uns mit unseren eigenen Nöten und Egoismen.

„Das Ja, das wir einem Kind schenken, ist zugleich ein heilendes Ja zu uns selbst“, appelliert Kuby an die trotz aller Verletzungen nicht totzukriegende Sehnsucht nach der idealen Familie. Eltern hätten ein gesundes Bauchgefühl, was ihrem Kind und ihrer Familie gut tut. Zahlreiche Studienergebnisse, die Kuby anführt, bestätigen den siebten Sinn der Eltern. Und dort, wo Eltern scheitern, weil sie in ihrer Selbstlosigkeit als Menschen limitiert sind, verweist sie auf die Liebe Gottes. Denn die Vorstellung, ohne Gott ein Paradies schaffen zu können, sei „der Bruch, aus dem alle anderen Brüche resultieren“.

Gabriele Kuby: Die verlassene Generation. fe Medienverlag, Kißlegg 2020, broschiert, 368 Seiten, 17,80 Euro