© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/20 / 16. Oktober 2020

Unterschiede sind rassistisch
Das in den USA hochgelobte Buch des Antirassismusforschers Ibraim X. Kendi liegt nun auf deutsch vor: Seine Rezepte gegen Rassismus münden im Totalitarismus
Lorenz Bien

How To Be an Antiracist“ ist der neuste Streich in der infolge der diesjährigen „Black Lives Matter“-Proteste erneut entflammten Rassen- und Rassismusdiskussion in den USA. Verfaßt vom schwarzen Geschichtsprofessor und Gründer des „Antirassistischen Forschungs- und Politikzentrums“ an der Universität Boston, Ibraim X. Kendi, konnte das Buch in der etablierten amerikanischen Presse frenetischen Jubel einheimsen. Die New York Times sprach vom „bisher mutigsten Buch über Rassismus“. The Guardian beschrieb das Buch als „brillant einfach“. 

Ein solcher journalistischer Kniefall mag bei dieser Thematik zunächst wenig überraschen, wirkt in seiner Einseitigkeit dann allerdings dennoch verstörend. Denn „How To Be an Antiracist“ ist nicht bloß gefüllt mit kruder Argumentation und einem rigiden Dogmatismus, sondern auch von einem Autor verfaßt, der in anderen Veröffentlichungen offen und unmißverständlich eine totalitäre Umsetzung seiner Ideen fordert. 

Das Buch besteht im Groben aus zwei Teilen, welche allerdings nicht getrennt erzählt, sondern miteinander verwoben werden. Zum einen ist es die Lebensgeschichte von Kendi selbst, der zunächst in New York, später im ländlichen Virginia als Sohn von zwei ehemalig in der Bürgerrechtsbewegung aktiven schwarzen Eltern aufwächst. Zum anderen ist es eine theoretische Abhandlung über Rassismus und Antirassismus oder dem, was er darunter definiert. Nach der im Buch vorgegebe Definition ist Rassismus prinzipiell alles, was einer ethnischen oder rassischen Gruppe Über- oder Unterlegenheit zuschreibt, Antirassismus hingegen alles, was postuliert, daß diese Gruppen trotz ihrer Unterschiede völlig gleich seien. 

Jeglicher Unterschied zwischen etwa schwarzen und weißen Amerikanern in Hinsicht auf Einkommen, Kriminalitätsrate und Bildungsdurchschnitt könne demnach nur das Produkt einer rassistischen Politik sein und niemals das Ergebnis kultureller Unterschiede. Deswegen sei auch eine diskriminierende Politik wie die der affirmative action antirassistisch, da sie schließlich nur den Weg zu einer völligen Gleichheit ebne, welche naturgemäß bereits gegeben sei. Diese Polarität wird von Kendi dogmatisch gesetzt und kaum bis gar nicht mit Argumenten versehen. 

Warum kulturelle Unterschiede keinen Anteil an der unterschiedlichen Entwicklung von schwarzen und weißen US-Amerikanern haben können, erklärt er nicht, sondern scheint offenbar zu glauben, daß es mit der Etikettierung „rassistisch“ bereits aus dem Weg geräumt sei. Noch abstrusere Züge nehmen seine Ideen schließlich an, wenn er zugleich für einen radikalen Kulturrelativismus plädiert: Kulturen, und darunter zählt Kendi auch Subkulturen wie etwa die schwarzer Jugendlicher in New York im Gegensatz zu jenen des ländlichen Südens, seien so unterschiedlich, daß sie sich nicht gegenseitig bewerten und beurteilen könnten, sondern nur aus sich selbst zu verstehen seien: „Antirassistisch sein heißt, das Verhalten einer racial group niemals als richtig oder falsch einzustufen.“ 

Bewerten könne man nur das Verhalten von Einzelpersonen. Wer nun allerdings vermutet, daß Kendi einem radikalen Individualismus das Wort redet, liegt wiederum falsch: Kulturen gibt es nach ihm nicht bloß, sondern sie wurzeln in tiefen kollektiven Strukturen, welche Jahrhunderte überdauern und auf Generationen das Leben der Menschen prägen. So argumentiert Kendi etwa dafür, daß die afroamerikanische Kultur lediglich äußerlich westlich, in ihren Werten jedoch noch immer afrikanisch sei: „Es ist diese ‘tiefe Struktur’, die den europäischen christlichen Glauben in einen neuen afrikanischen christlichen Glauben verwandelt, mit Erweckungen im Gottesdienst und Call and Response-Predigten.“ 

Dies wirft natürlich die Frage auf, wie sich eine solche extreme Unterschiedlichkeit nicht auch in unterschiedlichen Ergebnissen innerhalb der realen Welt niederschlagen soll. Wenn über Jahrhunderte gewachsene Kulturen die Werte, die Formen des sozialen Miteinanders und die ideengeschichtlichen Diskurse in den verschiedenen Gemeinschaften beeinflussen, wie sollen diese dann zugleich völlig gleich sein und wie sollen sich diese Strukturen nicht niederschlagen in ganz realen Unterschieden, wie etwa im Bereich Bildung, Lebensstandard und Kriminalität? 

Kendi bringt sich hier in einen derart offensichtlichen Widerspruch, daß es wenig überrascht, wenn seine Lösungsvorschläge schließlich noch verstörender ausfallen. Bleibt das Buch in diesem Zusammenhang sehr vage, wurde der Autor in einem kürzlich veröffentlichten Aufsatz mit dem Titel „Pass an Anti-Racist Constitutional Amendment“ sehr viel deutlicher. Seine Forderung ist simpel: Die USA sollen ein Department of Anti-racism gründen, welches anschließend mit „Rassismusforschern“, also Leuten wie ihm, besetzt wird, und welchem anschließend weitreichende Macht über die lokale, bundesstaatliche und föderale Politik verliehen wird. Dieses Department kann sämtliche Gesetzgebungen im Vorfeld kippen oder abändern, sollten diese nach der Definition des Department rassistisch sein. Es kann Strafen für Politiker und Beamte verhängen, sollten diese „nicht freiwillig ihre rassistische(n) Politik und Ideen ändern“, und es soll Beamte „beobachten“ können, sollten diese Ideen äußern, die vom Department als rassistisch betrachtet werden. Bei aller kruden Argumentation überrascht es am Ende dann auch wenig, wenn eine rassismusfreie Welt wohl auch in den Augen eines ihrer Verfechter nur so erreicht werden kann: durch totalitäre Gewalt.

Ibraim X. Kendi: How To Be an Antiracist. Das bisher mutigste Buch über Rassismus im westlichen Denken. Btb Verlag, München 2020, gebunden, 416 Seiten, 22 Euro