© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/20 / 23. Oktober 2020

Identität ist Trumpf
Sawsan Chebli: Die SPD-Frau drängt in den Bundestag / Ihr Programm heißt Herkunft
Peter Möller

Die Behauptung, die SPD befinde sich im Umbruch, ist eine Untertreibung. Die Partei, die sich seit der vergangenen Bundestagswahl in den Umfragen zielsicher unter der Zwanzig-Prozent-Marke bewegt, macht einen gespaltenen Eindruck: Hier die etablierten und seriösen, aber auch etwas langweiligen Sozialdemokraten alter Schule wie Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz, dort die in Führungsämter drängenden jungen und politisch weit links stehenden Nachwuchspolitiker wie Juso-Chef Kevin Kühnert, die von einem rot-rot-grünen Bündnis auf Bundesebene träumen und den älteren Genossen die politische Führung streitig machen.

Jetzt, wo überall der Kampf um die aussichtsreichen Plätze für die Bundestagswahl im Herbst kommenden Jahres begonnen hat, trifft dieser Generationskonflikt, der auch ein Richtungskampf ist, die SPD mit voller Wucht. Im Berliner SPD-Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf konzentriert sich die Auseinandersetzung um die Zukunft der Partei wie unter einem Brennglas. Oder mit anderen Worten: Das, was die Sozialdemokraten derzeit im Berliner Westen bieten, ist ganz großes Kino.

Auf der einen Seite steht der blasse Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, der für die alte SPD steht, in der sich die Genossen über Jahre durch die Parteigremien nach oben gedient und dabei den sprichwörtlichen Stallgeruch erworben haben, der sie zu hohen und höchsten Ämtern befähigte. Das war meistens nicht besonders glanzvoll und spektakulär, aber zumindest solide.

Auf der anderen Seite steht Sawsan Chebli, Tochter palästinensischer Flüchtlinge, deren Eltern lange in Flüchtlingslagern und in Deutschland vor allem vom Staat gelebt haben. Chebli, die sich gerne mit grellem Lippenstift, teuren Designerkleidern und Rolexuhr schmückt, pflegt das Image der unangepaßten Seiteneinsteigerin, die gekommen ist, um die SPD der alten weißen Männer (und Frauen) in eine bunte und vielfältige Zeit zu führen und der Partei neue, sprich „migrantische“ Wählerschichten zu erschließen.

Schon die Vorgeschichte, die zu diesem Duell geführt hat, zeigt die ganze Dramatik und Komplexität des Zustands, in dem sich die SPD befindet. Eigentlich war alles ganz einfach: Müller, der als Regierender Bürgermeister nie eine Chance hatte, aus dem Schatten seines charismatischen Amtsvorgängers Klaus Wowereit herauszutreten, soll der in Berlin äußerst beliebten Bundesfamilienministerin und ehemaligen Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey an der Stadtspitze Platz machen. Dafür, so die Absprache unter den Hauptstadt-Genossen, soll der als solider Arbeiter geltende Müller in den Bundestag wechseln.

Chebli polarisiert auch in den eigenen Reihen

Doch die SPD wäre nicht die SPD, wäre diese Absprache unfallfrei ins Ziel gekommen. Müllers Plan, in seinem Heimatbezirk Tempelhof-Schöneberg anzutreten, vereitelte forsch Juso-Chef Kühnert, der mit Macht in den Bundestag drängt und sich dafür rechtzeitig die Mehrheit im SPD-Kreisverband sicherte. Müller blieb nur, auf den benachbarten Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf auszuweichen. Doch auch hier stieß er auf Hindernisse. Ausgerechnet Chebli, die Müller auf Bitten von Frank-Walter Steinmeier aus dem Auswärtigen Amt in den Berliner Senat geholt und zur Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales gemacht hatte, erklärte für viele Genossen völlig überraschend ebenfalls ihre Kandidatur.

Den Vorwurf, sie habe mit ihrer Kandidatur in Charlottenburg-Wilmersdorf die internen Absprachen durchkreuzt, weist Chebli von sich. „Michael Müller und ich kämpfen in einem demokratischen Wettstreit um eine Kandidatur. Ich war dabei von Anfang an ehrlich und transparent. Ich habe schon letztes Jahr offen über meine Pläne zu kandidieren geredet, nur meine Kandidatur noch nicht offiziell angemeldet. Daß von anderer Seite kolportiert wird, das sei nicht klar gewesen, ist nicht nachvollziehbar“, sagte sie der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Der Kreisvorstand entschied sich angesichts der Kampfkandidatur für einen Mitgliederentscheid. Bis kommenden Dienstag können sich die rund 2.500 SPD-Mitglieder in der Berliner City West per Brief oder E-Mail zwischen den beiden Kandidaten entscheiden, wer für die Partei in Charlottenburg-Wilmersdorf als Direktkandidat antreten darf.

Beobachter halten es trotz der unglücklichen Vorgeschichte für wahrscheinlich, daß sich der politisch erfahrene Müller, der im Wahlkampf gezeigt hat, daß er sich mit den im Bezirk wichtigen Themen, auskennt, am Ende durchsetzen wird. Chebli dagegen, die polarisiert und der Kritiker auch aus den eigenen Reihen vorhalten, ihr gehe es vor allem um ihre Person und nicht um politische Inhalte, versuchte mit der identitätspolitischen Karte zu punkten. „Ich werde von Rechten und Rassisten angegriffen, weil ich alles verkörpere, was es in deren homogenem Weltbild nicht geben darf: ein Flüchtlingskind, das studiert hat, eine moderne Muslima, und eine Frau, die Ziele hat und sie verwirklichen kann“, beklagte sie sich in der FAS. Daß sie damit bei den zumeist eher älteren Genossen genauso gut punkten kann wie bei ihren Anhängern in den sozialen Netzwerken, gilt als unwahrscheinlich. 

Doch sicherlich dürfte auch eine Niederlage von Saswan Chebli nicht das Ende ihrer politischen Karriere bedeuten.