© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/20 / 23. Oktober 2020

Ländersache: Bremen
In neuen Besetzverhältnissen
Paul Leonhard

Daß in der Hansestadt an der Weser die linke Bürgerschaftsmehrheit und linke Hausbesetzer gemeinsam daran arbeiten, geltendes Recht auszuhebeln, wurde deutlich, als Olaf Zimmer, Abgeordneter der Linken, vor dem früheren Kulturzentrum „Dete“ in der Lahnstraße  vor laufenden Kameras seine Solidarität „mit den jungen Aktivistinnen“ zeigt: „Wir sind eins im Kampf gegen Wohnraum-Spekulation und gegen den Mietwucher.“  

Hausbesetzungen durch Linksradikale haben in Bremen Tradition. Im September 2017 ließ der Senat nicht etwa das seit mehr als zwei Jahren besetzte Alte Sportamt von der Polizei räumen, sondern schloß mit den Bewohnern einen Vertrag über die Nutzung des städtischen Gebäudes ab. Mietfrei versteht sich.

„Hausbesetzungen sind für uns nicht nur ein legitimes Mittel, um sich Räume anzueignen, sondern auch absolut notwendig“, hieß es damals in einer Stellungnahme des Hausbesetzervereins Klapstul: „Wir solidarisieren uns mit allen besetzten Räumen, die für eine emanzipatorische Gesellschaft kämpfen und sich der kapitalistischen Verwertungslogik entgegenstellen.“ Die linken Politiker klatschten Beifall ob der friedlichen Lösung, lediglich CDU-Vize-Fraktionschef Thomas vom Bruch warnte: „Daß die Stadt Besetzern einen unbefristeten und mietfreien Vertrag anbietet, signalisiert: Offenkundig siegt die Dreistigkeit und nicht der Rechtsstaat.“

Im Herbst 2020 sind es „Flinta-Personen“, die Ansprüche auf fremdes Eigentum stellen, also Frauen, Lesben, Inter-, Trans-, Nonbinäre und A-Gender. Angeregt von der Räumung des illegalen Wohnprojektes „Liebig 34“ in Berlin-Friedrichshain beschließt in Bremen eine anarchistische, queerfeministsche Gruppe „Rosarote Zora“, erneut die Kräfte mit dem Rechtsstaat zu messen und errichtet Straßenblockaden. Nach einer Krisensitzung einigen sich Bausenatorin Maike Schaefer (Grüne), Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) und Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) auf Verhandlungen mit den Hausbesetzern. Anschließend übt die Politik Druck aus, nicht etwa auf die linken Chaoten, sondern auf den Immobilieneigentümer. Spätestens bis zum 1. November soll ein auf ein Jahr befristeter Zwischennutzungsvertrag unterzeichnet sein.

Außerdem verpflichtet sich die Stadt, die Hausbesetzer ein Jahr lang kostenlos mit Strom, Wasser, Gas und Öl zu versorgen sowie den Linksradikalen anschließend oder für den Fall, daß das Gebäude nicht bewohnbar ist, Räumlichkeiten für eine dauerhafte Nutzung zu suchen. Aus Sicht der „Rosaroten Zora“ ist damit lediglich die Minimalforderung erfüllt: „Wir wünschen uns wesentlich mehr Räume in der ganzen Stadt“, sagte eine Aktivistin.

Was das für die Zukunft des Stadtstaates bedeutet, prophezeit Birgit Bergmann, innenpolitische Sprecherin der FDP, in einem offenen Brief an den Innensenator: „Eine längere Präsenz der Besetzer, die auch Ideologen, Linksextremisten und Anarchisten vertreten, würde die Situation verfestigen und mit dazu beitragen, daß sich diese gewaltbereite und massiv eskalierte Hotspot-Szene von Berlin nach Bremen verlagert.“ Und ein Sprecher des Hauseigentümers betont: „Wenn Teile der Landesregierung die Besetzung legalisieren, sollen sie auch die Verantwortung übernehmen.“