© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/20 / 23. Oktober 2020

Die Zensur-Maschine
Unterdrückung unliebsamer Meinungen im Internet: Wie ein Netzwerk aus NGOs und US-Demokraten BigTech-Konzerne unter Druck setzt
Björn Harms

Die Meinungsfreiheit in den sozialen Netzwerken ist bedroht. Das scheint in Anbetracht des rigorosen Vorgehens gegen sogenannte „Hate Speech“ und der sich ständig verschärfenden Richtlinienänderungen der BigTech-Konzerne keine wirkliche Neuheit mehr. Die jüngsten Vorwürfe bergen dennoch weiteren Sprengstoff: Greifen die sozialen Netzwerke auch bewußt in den US-Wahlkampf ein?

Die Zensurversuche eines Artikels der US-Boulevardzeitung New York Post durch Facebook und Twitter legen zumindest die Vermutung nahe. Das Blatt hatte aus einem E-Mail-Verkehr zitiert, der die immer wieder aufkommenden Korruptionsvorwürfe gegen Präsidentschaftskandidat Joe Biden und seinen Sohn Hunter Biden, im Zusammenhang mit dessen Ukraine-Geschäften, zu bestätigen schien (siehe Seite 8).

Twitter löscht zuungunsten der Republikaner

Interessanter als der Wahrheitsgehalt der Geschichte war jedoch die Reaktion von Facebook und Twitter. Sie unterbanden kurzerhand die Weiterleitung des Artikels. Kein Nutzer konnte die Inhalte teilen. Twitter begründete sein Vorgehen mit einem „Verstoß gegen unsere Richtlinie für gehacktes Material“. Der Artikel enthalte „persönliche und private Informationen“.

Doch die Beispiele für Willkür lassen sich für den konservativen Bereich beliebig fortsetzen: Lauren Witzke, republikanische Kandidatin für den US-Senat, wurde in der vergangenen Woche vorübergehend gesperrt, da sie einen Tweet abgesetzt hatte, in dem sie dafür warb, nach einer erfolgreichen Wahl sich dafür einzusetzen, die Einwanderung in die USA für zehn Jahre komplett zu stoppen. „Eines ist klar, die Masseneinwanderung hat Europa zerstört“, schrieb sie. „Italien, Frankreich, Schweden und Deutschland haben unzählige Migranten aufgenommen, die sich niemals assimiliert haben. Vergewaltigungen, Morde und andere abscheuliche Verbrechen gibt es im Überfluß.“ Twitter entfernte den Beitrag aufgrund von „haßerfülltem Verhalten“. Eine Wiederholung würde zur endgültigen Löschung Witzkes führen, drohte ihr der Konzern. Twitter greift damit also direkt in die Wahlkampagne einer Politikerin ein.

Auch Google, das rund 90 Prozent des Internet-Suchverkehrs kontrolliert, steht unter Verdacht, konservative Stimmen bewußt zu unterdrücken und damit die Wahl zu beeinflussen. Daten des Analysetools Systrix deuten darauf hin, daß die Suchergebnisse von konservativen Nachrichtenseiten, darunter „Breitbart“, „Daily Caller“ und „Federalist“, in den vergangenen Monaten drastisch reduziert wurden. Die Analyse der Sichtbarkeit von „Breitbart“ etwa zeigt, wie die Seite in der Google-Suche erstmals 2017 gesunken ist, bevor sie im Juli 2019 auf fast Null fiel (siehe Graphik).

Im Jahr 2018 berichtete der „Daily Caller“ über einen durchgestochenen E-Mail-Verkehr am Tag nach der Präsidentschaftswahl 2016, die Donald Trump gewann. Darin erörterten die Google-Mitarbeiter, wie man mit Seiten wie „Breitbart“ und „Daily Caller“ umgehen müsse, schließlich hatten ihre explodierenden Klickzahlen maßgeblich zum Sieg Trumps beigetragen.

„Dies war eine Wahl von falschen Äquivalenzen, und Google hatte leider seine Hand im Spiel“, schrieb demnach der Google-Ingenieur Scott Byer. „Wie oft sahen Sie Artikel aus Meinungsblogs („Breitbart“, „Daily Caller“) neben legitimen Nachrichtenorganisationen hervorgehoben? Das ist etwas, das korrigiert werden kann und sollte.“ Wie die Daten von Systrix nahelegen, könnten die Algorithmen also dementsprechend manipuliert worden sein.

Die politischen Löschungen bei Facebook, dessen Tochter Instagram oder dem Amazon-Streamingdienst Twitch könnten ebenfalls ganze Bücher füllen. Viel entscheidender jedoch ist die Frage, wieso die Sperrungen in solch drastischer Frequenz zunehmen. Zum einen ist natürlich bereits in der DNS der Silicon-Valley-Welt der Ruf nach Diversität und einer „One World“-Ideologie fest verankert. Zusätzlich jedoch agieren im Hintergrund weitere Kräfte, die verschärfend auf die Konzerne einwirken, durch ihnen wohlgesonnene Medien die Muskeln spielen lassen und gegebenenfalls auch direkten Zugang zu den Schaltzentralen der BigTech-Unternehmen haben. Das Zauberwort lautet meist: „Hate Speech“.

Die letzte größere, auch in Deutschland öffentlichkeitswirksame Säuberungswelle, in der Onlinewelt auch „Purge“ genannt, fand im Juli statt, als Twitter neben vielen bekannten rechten Accounts in den USA vor allem Kanäle der Identitären Bewegung (IB) sperrte. Youtube löschte den Kanal von Martin Sellner, dem wohl reichweitenstärksten rechten Influencer in Deutschland. Seitdem tobt ein Rechtsstreit.

Vorausgegangen war den Sperrungen ein Bericht über die Identitäre Bewegung, den die US-Nichtregierungsorganisation (NGO) „Global Project Against Hate and Extremism“ (GPAHE) veröffentlicht hatte. Das 22seitige Dokument, in dem die Identitären als „White Supremacists“ gebrandmarkt werden, entwarfen Wendy Via, ehemalige Kommunikations­chefin des „Southern Poverty Law Centers (SPLC)“ und Heidi Beirich, die ebenfalls lange Jahre beim SPLC in leitender Funktion arbeitete.

NGOs und Medien machen Lärm, und Youtube sperrt

Das 1971 gegründete SPLC gilt als eine der einflußreichsten NGOs in den USA. Es hat sich zum Ziel gesetzt, „Haßgruppen und andere Extremisten“ in den Fokus zu nehmen. Die Organisation verfügt über einen üppigen Stiftungsfonds von rund 530 Millionen Dollar (2019). Ihre Botschaft und die Inhalte des Berichts über die IB konnte Heidi Beirich über eine Reihe von Artikeln bei NBC News verbreiten, wofür sie sich in freundschaftlichem Ton auf Twitter bei der verantwortlichen Journalistin bedankte – wenige Tage später folgten die Löschungen.

Dabei ist der Bericht, den GPAHE über die IB zusammengestellt hat, in bezug auf handelnde Personen und Orte so detailliert ausgearbeitet, daß man sich zwangsläufig fragt: Gibt es über den großen Teich hinaus eine Zusammenarbeit mit europäischen Stellen? Einen koordinierten, transatlantischen Austausch, um den Druck auf die großen Tech-Firmen zu verschärfen? „Nicht in einem formalen Sinn“, antwortet Heidi Beirich auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT. Doch natürlich habe man sich für den Bericht an Informationen aus Deutschland und Österreich bedient.

Ein langjähriger Partner sei etwa die Amadeu-Antonio-Stiftung, geleitet von der ehemaligen Stasi-Informantin Anetta Kahane. Zuletzt habe es im März eine gemeinsame Zoom-Konferenz gegeben. Auch in das SPD-Umfeld reichen die Kontakte. „Wir haben mit der Friedrich-Ebert-Stiftung bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus zusammengearbeitet, sowohl in letzter Zeit als auch über Jahre hinweg, während Wendy und ich beide im Southern Poverty Law Center waren“, teilt Beirich mit. „Wir arbeiten auch eng mit einer Gruppe deutscher Akademiker zusammen und werden diese Beziehungen beim Aufbau unserer neuen Organisation vertiefen.“ Wer die Akademiker sind, behielt Beirich für sich.

Ob es sich um Wissenschaftler der Universität Hildesheim handelt, wo derzeit ein großangelegtes Forschungsprojekt anläuft, das sich zum Ziel gesetzt hat, sogenannte „Hate Speech“ durch Künstliche Intelligenz (KI) zu erkennen, ist unklar. Das Projekt ist eingebettet in die von einem EU-Programm mitfinanzierte Kampagne „Detect Then ACT“ (DeTACT), eine deutsch-belgisch-niederländische Kooperation aus Universitäten, NGOs und den Tech-Konzernen selbst. DeTACT warnt vor Extremisten im Netz, „die Furcht vor einer wahrgenommenen Islamisierung der Gesellschaft“ und „Angst vor Migration“ schüren würden. „Toxische Diskussionen“ sollen bereits vorab „in einem selbstregulierenden Ansatz entschärft“ werden, so der Neusprech für Zensur.

Die Umsetzung durch die beteiligten Informatiker basiert auf Definitionen, die ebenfalls beteiligte Politik- und Medienwissenschaftler vorgeben. Auf der Netzseite der Universität Hildesheim heißt es: Haßkriminalität stehe „in Verbindung mit politischer Propaganda, insbesondere im rechten Spektrum“, und werde „gezielt und organisiert eingesetzt, um das Bild bestimmter Bevölkerungsgruppen nachhaltig zu schädigen“, sei es durch „gezielte Stereotypisierung“ oder „Entmenschlichungsmetaphern“. Sowohl die Universität Hildesheim als auch DeTACT ließen entsprechende Anfragen der jungen freiheit bis Redaktionsschluß unbeantwortet.

Einflußreiche Linke,        üppige Finanzmittel

Gleichzeitig übt auch das SPLC nicht alleine massiven Druck auf die BigTech-Konzerne aus. Gemeinsam mit mehreren großen NGOs hat man sich derzeit unter dem Motto „Change the Terms“ in einer mächtigen Dachorganisation zusammengeschlossen. „Weiße Rassisten nutzen Online-Plattformen für Haß. Es ist an der Zeit, die Bestimmungen zu ändern“, heißt es auf der Kampagnen-Netzseite. Mit anderen Worten: Jeder, der unter das Etikett „weißer Rassist“ fällt – und dieses Etikett vergeben NGOs und BigTech-Firmen natürlich selbst –, soll aus dem Netz verschwinden.

Der Zusammenschluß besteht aus verschiedenen NGOs, die über genügend Finanzmittel verfügen und von einflußreichen Linken geleitet werden. Das beteiligte „Center for American Progress“ etwa weist ein Budget von 51,8 Millionen Dollar auf. In diesem Jahr flossen als bedeutendste Spende rund 1,5 Millionen Dollar aus der Bill & Melinda Gates Stiftung (JF 21/20) an die Organisation. Als derzeitige Präsidentin des Center fungiert Neera Tanden, die ehemalige Wahlkampfmanagerin Hillary Clintons; der Gründer ist mit John Podesta ehemaliger Stabschef von US-Präsident Bill Clinton. Diese Verbindungen ins Milieu der Demokratischen Partei bilden nicht die Ausnahme.

Van Jones, Gründer der beteiligten NGO „Color of Change“, arbeitete jahrelang als Berater von Barack Obama. Dazu gesellen sich linke Aktivisten wie Dee­pak Bhargava, der bis 2018 Präsident des „Center for Community Change“ (CCC) war, das ein Vermögen von rund 31,5 Millionen Dollar vorweisen kann (Stand 2019). Gleichzeitig sitzt Bhargava bis heute im Aufsichtsrat der Open Society-Stiftung von George Soros. Im vergangenen Jahr spendete die Ford-Foundation der linken NGO zusätzlich knapp 5,3 Millionen Dollar. Lilly Endowment, ebenfalls eine der größten privaten Stiftungen der Welt, spendete erst im August eine Rekordsumme von 100 Millionen Dollar an die „National Urban League“, die älteste Bürgerrechtsorganisation der USA, die sich ebenfalls an „Change the Terms“ beteiligt.

2018 hatten mehrere NGOs – einige finden sich auch bei „Change the Terms“ wieder – gemeinsam mit Kongreßmitgliedern der Demokratischen Partei eine Prüfung über den Umgang von Facebook mit „Bürgerrechten“ eingeleitet. Sie wollten wissen, wie der Konzern mit „Haßrede“, Belästigung, Diskriminierung, Vielfalt und Inklusion umgehe. Zunächst habe Facebook nicht aktiv mitgeholfen, den Prüfbericht zu erstellen. „Mit dem Druck von Anwälten änderte sich das“, steht im 89seitigen Abschlußbericht, der im Juli dieses Jahres von Facebook vorgestellt wurde. So hätten sich nicht nur Facebook-Chefin Sheryl Sandberg, sondern später auch Gründer und Vorstandsvorsitzender Mark Zuckerberg beteiligt und ein härteres Vorgehen gegen Haßrede versprochen. „Diese Prüfung ermöglichte ein bahnbrechendes Zusammentreffen mit führenden Bürgerrechtsvertretern in den Facebook-Zentralen“, bestätigt der Prüfungsbericht den direkten Zugang der NGOs zu Facebook.

Für die Verantwortliche des Facebook-Berichts, Laura W. Murphy, ist diese Nähe zum wirtschaftlichen und politischen Establishment nichts Neues. Jahrelang arbeitete sie in Washington als Chef-Lobbyistin für „American Civil Liberties Union“, eine der ältesten und größten NGOs des Landes. In dieser Funktion war Murphy bestens vernetzt sowohl in die Bush- als auch in die Obama-Administration. Die 65jährige fungierte zuletzt auch als Chefberaterin für Airbnb, das weltweit größte Portal für die Buchung und Vermietung von Unterkünften, um die Bemühungen der Plattform gegen Diskriminierung zu verstärken. Und jene digitalen Anbieter wie Airbnb oder der Finanzdienstleister Paypal machen eines deutlich: Über die Zensur in den sozialen Netzwerken hinaus vergrößert sich die Macht des Silicon Valley stetig.

Auch die Finanzwelt und damit der Zugriff auf Zahlungsströme steht auf der Agenda von BigTech. Mehr dazu lesen Sie in Teil 2 in der kommenden Ausgabe.