© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/20 / 23. Oktober 2020

Kein Aufschub für die Feinde der Republik
Frankreich: Das Land ist entsetzt von der barbarischen Ermordung des Lehrers Samuel Paty / Politik will hart gegen Islamisten vorgehen
Marc Zoellner

Für ihre Kondolenz standen die Menschen Schlange: Zu Hunderten hatten sich am Wochenende die Trauernden vor der „Bois d’Aulne“-Sekundarschule im gepflegten Nordwesten der französischen Hauptstadt Paris versammelt, um Abschied von Samuel Paty zu nehmen. 

„Ich bin Samuel“ stand auf selbst gebastelten Schildern zu lesen – eine Anspielung an den Ausspruch „Ich bin Charlie“, der nach den islamistisch motivierten Anschlägen auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo im Januar 2015 in der Öffentlichkeit kursierte. 

Der 18jährige hatte seine Tat akribisch vorbereitet

Auch Paty wurde von einem Islamisten hingerichtet: Auf seinem Heimweg von der Schule, in der er unterrichtete, mitten auf der Straße geköpft von einem 18jährigen Tschetschenen, der mit seiner Familie seit zwölf Jahren mit Flüchtlingsstatus in Frankreich lebte.

Der Täter, Abdoullakh Abouyezidovitch, war den Sicherheitsbehörden vorher nie aufgefallen; er ließ Ermittlerangaben zufolge keinerlei Anzeichen einer Radikalisierung erkennen. Trotz alledem entsprang sein hinterlassenes Blutbad keiner spontanen Idee, sondern bewies gezielte Vorbereitung: Immerhin lebte der junge Tschetschene über eine Fahrstunde entfernt von der Schule. 

Weder mit dem Lehrer noch mit dem Schulgebäude war er je in Kontakt gekommen. Dennoch hatte er akribisch auf dem Pausenhof die Schüler nach dem Aussehen Samuel Patys befragt, sich den Lehrer zeigen lassen, mit dem Smartphone Fotos von ihm geschossen. Und Paty im Anschluß mit einer 35 Zentimeter langen Klinge enthauptet.

Tief entsetzt zeigt sich ganz Frankreich von dieser barbarischen Tat. Noch am gleichen Abend deklarierte Präsident Emmanuel Macron den Angriff als „terroristische Attacke“. Premier Jean Castex erklärte: „Der Säkularismus, das Rückgrat der Französischen Republik, war das Ziel dieser abscheulichen Tat.“

Der Mörder hatte sich sein Opfer ausgesucht, weil dieses im Unterricht zum Thema „Meinungsfreiheit“ auch Mohammed-Karikaturen besprochen hatte. Dabei war Samuel Paty sogar äußerst sensibel vorgegangen, wie seine Schüler übereinstimmend berichteten. 

Den muslimischen Schülern seiner Klasse bot er vorab an, den Raum verlassen zu dürfen, um ihre Gefühle durch die Karikaturen nicht zu verletzen. Trotz alledem beschwerten sich mehrere Eltern bei Patys Vorgesetzten, verbreiteten Bilder und Videos im Internet, äußerten öffentlich teils indiskutable Vorwürfe gegen den Geschichtslehrer. Auf diese wurde offenbar auch der spätere tschetschenische Mörder aufmerksam.

Seiner Tat rühmte sich der 18jährige gleich in Folge auf Twitter. Die Polizei mußte den jungen Tschetschenen während der versuchten Festnahme erschießen, weil dieser auf seiner Flucht mehrfach mit einer Pistole auf seine Verfolger geschossen hatte – einer Gaspistole, wie sich im Anschluß herausstellte. 

Verhaftet werden konnten allerdings mehrere Mitglieder seines familiären Umfelds, darunter auch sein Vater sowie sein Großvater. Insgesamt sind bislang elf Verdächtige in Gewahrsam: Haß schürende Eltern muslimischer Schüler, enge Freunde des Täters, tschetschenische Familienangehörige. Eine Schwägerin des Vaters ist von den französischen Behörden schon länger zur Fahndung ausgeschrieben. Sie hatte sich 2014 der syrisch-irakischen Terrorgruppe Islamischer Staat angeschlossen. Einer der Schülerväter, so die Ermittler am Montag, habe überdies gemeinsam mit einem polizeibekannten Islamisten eine Fatwa, ein religiöses Rechtsgutachten, gegen den Lehrer verfaßt. Seit Wochenbeginn wurden über 80 weitere Ermittlungen wegen Verbreitung islamistischen Hasses im Internet von den Behörden eingeleitet.

„Ich habe einen Ihrer Höllenhunde hingerichtet, der es wagte, Mohammed herabzusetzen“, twitterte der tschetschenische Attentäter kurz vor seinem Tod direkt an den französischen Präsidenten. Doch die anhaltenden Massenproteste und Trauermärsche im ganzen Land zeigen deutlich, wem die Solidarität der  Franzosen gehört. 

Innenminister schließt involvierte Moschee

Allein in Paris zogen Zehntausende Bürger zum Platz der Republik, um gegen Terror und Islamismus zu demonstrieren. Die Ermordung Patys war bereits der zweite islamistische Anschlag in der französischen Hauptstadt binnen eines Monats. Erst Ende September mißglückte einem pakistanischen Jugendlichen ein Mordanschlag auf zwei Journalisten: Ausgerechnet vor dem ehemaligen Bürogebäude der Charlie Hebdo-Redaktion, die seit dem Massaker vom Januar 2015, als schwer bewaffnete Al-Kaida-Terroristen zwölf Mitarbeiter und Cartoonisten erschossen, an einen geheimen Ort verlegt werden mußte. 

Als Reaktion auf die Ermordung Samuel Patys kündigte der französische Innenminister Gérald Darmanin überdies die sofortige Abschiebung von über 230 Islamisten aus Frankreich an. Es gäbe fortan „nicht eine Minute Aufschub für die Feinde der Republik“, erklärte Darmanin und kündigte parallel dazu die Schließung der Pantin-Moschee in Seine-Saint-Denis an. Deren Leiter habe  die Botschaft verbreitet, daß der Lehrer eingeschüchtert werden müsse. Zudem habe er die Adresse des Kollegiums angegeben, so der Innenminister.