© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/20 / 23. Oktober 2020

Das Handelsabkommen EU-Großbritannien steht auf der Kippe
Brexitpoker und Geschwafel
Albrecht Rothacher

Scheidungsverhandlungen sind nicht vergnügungssteuerpflichtig, vor allem dann nicht, wenn sie sich jahrelang hinziehen. Das gilt um so mehr im Fall des Brexit. Momentan sperrt sich das geplante Handelsabkommen der verbliebenen 27 EU-Staaten mit Großbritannien an Fangrechten (JF 29/20) und an Subventionskontrollen für die britische Industrie. Irische, französische und spanische Fischer wollen weiter Zugang zu den britischen Gewässern, und die EU will weiter fairen Wettbewerb und Freizügigkeit.

Über alles könnte man sich einigen – vorausgesetzt es gibt politische Führung und guten Willen auf beiden Seiten. Doch der Franzose Michel Barnier, der tüchtige EU-Chefverhandler, ist nicht zu beneiden. Sein Gegenüber, Premierminister Boris Johnson, gefällt sich weiter in der Rolle des Politclowns. Doch auch die EU-Führung in Gestalt des Ratspräsidenten Louis Michel, eines 73jährigen belgischen Liberalen, scheint heillos überfordert. 2019 war das Vereinigte Königreich mit einem Absatzvolumen von 78,9 Milliarden Euro unser fünftwichtigster Absatzmarkt – die Briten verkauften nur Waren für 38,3 Milliarden Euro nach Deutschland. Handelshemmnisse kosten in der deutschen Exportindustrie Arbeitsplätze – doch von Angela Merkel und von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hört man nur inhaltsleeres Geschwafel. Zu stark sind die Damen vom Klimawahn und ihren Schuldenprogrammen abgelenkt.

Dabei läuft den Verhandlern die Zeit davon. Bis Ende Oktober muß das Abkommen stehen, um vom Europaparlament noch vor Jahresschluß, dem ultimativen Brexit-Datum, gebilligt zu werden. Ohne Abkommen drohen dann gegenseitige Zölle auf WTO-Niveau und damit eine massive Verteuerung des gegenseitigen, schon jetzt gesunkenen Warenaustauschs. Das wäre das letzte, was die coronageschädigte deutsche Wirtschaft brauchen kann. Doch in Berlin und Brüssel scheint das niemanden ernsthaft zu interessieren.