© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/20 / 23. Oktober 2020

Antijudaismus in der DNA-Struktur des Neuen Testaments
Vergiftetes Kulturerbe
(wm)

Zum 500. Reformationsjubiläum 2017 eskalierte der Streit um die „Judensau“-Skulptur an der Wittenberger Stadtkirche. Die Forderung nach deren Entfernung, weil die denkmalgeschützte steinerne Schmähung die Juden in ihrer Gesamtheit beleidige, mündete in eine vom Landgericht Dessau abgewiesene Klage, ein Urteil, das das Oberlandesgericht Naumburg bestätigte. Für den Potsdamer Historiker Julius H. Schoeps ist damit „die Debatte um die Entfernung von Judensau-Skulpturen aus Kirchen“, von denen in „auffälliger Weise“ gerade im deutschen Sprachraum die meisten solcher Darstellungen nachweisbar sind, keineswegs beendet (Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, 4/2020). Denn es sei ein fataler Irrtum anzunehmen, man hätte sich in der Moderne vom negativen Judenbild und seinen Übersetzungen in Literatur und Kunst verabschiedet. In den Köpfen der Bevölkerung „wabernde Vorurteilsbilder“ urchristlichen Ursprungs hätten trotz der seit dem 19. Jahrhundert fortgeschrittenen Entkirchlichung maßgeblichen Anteil an der Resonanz der NS-Judenpolitik gehabt. Und sie würden weiterwirken in Behauptungen, die US-Finanzkrise von 2007 oder die Corona-Pandemie gingen von „jüdischen Verschwörungen“ aus. Trotzdem ruft Schoeps nicht zum Bildersturm oder zur Entfernung „judenfeindlicher Versatzstücke“ etwa im Werk von Wilhelm Busch auf. Wichtiger sei eine radikale Absage an das im Neuen Testament enthaltene „vergiftete Kulturerbe“. Das „christlich-jüdische Gespräch“ müsse sich daher mit dem Antijudaismus, der zur „DNA-Struktur des Neuen Testaments“ gehöre, noch gründlicher als bisher auseinanderzusetzen. 


 www.brill.nl