© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/20 / 23. Oktober 2020

Falsche Feinderkennung
Vor 75 Jahren wurde der norwegische Politiker und NS-Kollaborateur Vidkun Quisling hingerichtet
Jürgen W. Schmidt

Quisling“ ist zur schimpflichen Bezeichnung für Landesverräter geworden, die aus eigennützigen Motiven mit der Besatzungsmacht zusammenarbeiten. Es war dem am 18. Juli 1887 in Fyresdal (Telemark) geborenen Vidkun Quisling nicht an der Wiege gesungen, daß sein Name dereinst so negativ besetzt in die Weltgeschichte eingehen sollte. 

Er entstammte einer angesehenen Familie, welche Norwegen 600 Jahre lang Landwirte, Geistliche und Offiziere schenkte. Sein Vater war ein Pastor, während die Mutter aus einer ursprünglich dänischen Familie stammte, zu welcher Erzbischof Absolon von Lund (1128–1201) gehörte. Als Jugendlicher galt Quisling als Wunderkind und beendete sowohl seine Schul- wie die spätere Offiziersausbildung mit Bestnoten. Als Artillerieoffizier verbesserte er die norwegische Feldartillerie und kam in den Generalstab. Hier erlernte er die Sprache von Norwegens Grenznachbarn Rußland und war ab 1917 in Rußland und Finnland als norwegischer Militärattaché mit der Beobachtung Rußlands betraut. 

Später heiratete Vidkun Quisling eine russische Adelige und war für das von seinem norwegischen Landsmann Fridtjof Nansen geschaffene „Russian Relief Committee“ in der von einer schrecklichen Hungersnot geplagten Ukraine tätig. Anschließend wirkte Quisling ab 1925 im Auftrag des Völkerbundes in dem einer raschen Sowjetisierung unterliegenden Armenien. Bis 1928 lebte Quisling in Moskau und betätigte sich im Auftrag eines internationalen Unternehmens im Holzhandel. 

Ursprünglich war Quisling von den Ideen des Sozialismus angetan und hielt viel vom „Rätesystem“. Doch vor Ort wurde er mit den Auswirkungen der Stalinisierung der Sowjetunion vertraut und kehrte folglich als geschworener Feind des Bolschewismus 1928 nach Norwegen zurück. Nach dem Tod des von ihm verehrten Fridtjof Nansen trieb es Quisling in die Politik, und er suchte als Politiker seine eigenwilligen Ideen von den „Sowjets ohne Kommunismus“ und der „Wiedererweckung des nordischen Geistes“ zu verwirklichen. 

Im Rahmen einer Mehrparteien-Koalitionsregierung wurde der Major a. D. Quisling von der Bauernpartei als norwegischer Kriegsminister nominiert. Von 1931 bis 1933 als solcher tätig, agierte Quisling immer feindseliger gegen Links und beschuldigte schließlich den Koalitionspartner der Bauernpartei, die norwegische Arbeiterpartei, des Landesverrats. Als Anfang 1933 die Regierungskoalition platzte, schuf sich Quisling eine eigene politische Partei, welche er als „Nasjonal Samling“ (Nationale Einheit) bezeichnete und die manche Ähnlichkeit zum Nationalsozialismus aufwies. So ließ sich Quisling ab sofort als „Förer“ (Führer) bezeichnen, agierte radikal gegen Links und propagierte die Auswanderung der Juden. Durch eine straff geleitete Jugendorganisation versuchte er Einfluß auf die kommende Generation  zu gewinnen. Dennoch blieb die „Nasjonal Samling“ bis 1939 aufgrund ihrer schwachen Wahlergebnisse nur eine Randerscheinung im politischen Leben Norwegens. Adolf Hitler legte auf die Unterstützung von Quislings Bewegung wegen dieser politischen Schwäche wenig Wert. 

Als Ministerpräsident dem Reichskommissar unterstellt

Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und insbesondere nach der für Norwegen bedrohlichen Aggression der Sowjetunion gegen den Nachbarstaat Finnland setzte Quisling mehr und mehr auf die deutsche Karte, um die nationale Souveränität von Norwegen zu wahren. Quisling befürchtete eine Besetzung Norwegens durch die Sowjetunion bzw. England und betrachte zudem den von ihm einst als pragmatischen Politiker geschätzten Churchill als „Versager“ im Kampf gegen den Bolschewismus. 

Als das nationalsozialistische Deutschland am 9. April 1940 bei seiner Besetzung Norwegens England nur um wenige Stunden zuvorkam, erklärte sich Quisling am selben Tage per Staatsstreich zum neuen norwegischen Ministerpräsidenten, was mit Deutschland nicht abgestimmt war. Hitler ließ den unerwünschten Ministerpräsidenten gleich wieder absetzen und unterstellte Norwegen dem mit harter Hand agierenden Reichskommissar Josef Terboven, vormals Gauleiter von Essen. Obwohl Terboven und Quisling nie gut miteinander auskamen, wurde Quisling schließlich doch noch 1942 zum norwegischen Ministerpräsidenten ernannt, um die Befehle des Reichskommissars durchzusetzen, welcher Aufgabe sich Quisling in fehlgeleitetem Patriotismus nicht zu verweigern dürfen glaubte. 

Innerhalb Norwegens verlor Quisling deshalb alle Reputation. Als er sich am 9. Mai 1945 im Vertrauen auf ein gerechtes Urteil den neuen norwegischen Gewalten stellte, wurde er in erniedrigender Haft gehalten, entgegen der geltenden Gesetzgebung zum Tode verurteilt und am 24. Oktober 1945 in der Festung Akershus im Rahmen eines öffentlichen Spektakels hingerichtet. Quisling verzichtete auf ein Gnadengesuch an den norwegischen König, weil er sich bis zum Tod als norwegischen Patrioten betrachtete, und äußerte im Schlußwort vor Gericht: „Wenn mein Tun verräterisch gewesen ist, dann will ich zu Gott beten, daß zum Nutzen Norwegens viele Söhne des Landes Verräter dieser Art werden und daß sie nicht ins Gefängnis geworfen werden wie ich.“