© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/20 / 23. Oktober 2020

Phantomschmerz „Ossi“
Identitätsstörung: Die Journalistin Valerie Schönian als Epigonin der „Dritten Generation Ost“
Christian Dorn

In Abwandlung des Spruches „Sage mir deinen Namen, und ich sage dir, wie du heißt“, wäre im vorliegenden Fall – der angesichts der „Dritten Generation Ost“ schon epidemisch scheint – zu diagnostizieren: Zeige mir dein Literaturverzeichnis, und ich sage dir, wes Geistes Kind du bist. Bei der erst 1990 in Gardelegen geborenen und in Magdeburg aufgewachsenen Valerie Schönian, die im neugeschaffenen Ostbüro der Zeit in Leipzig arbeitet, äußert sich der Befund dieser wohl nur psychoanalytisch zu therapierenden Identitätsstörung im gerade publizierten Titel „Ostbewußtsein“. In dessen Buchstabenfolge sind jene Konsonanten und Vokale farblich hervorgehoben, die das abwertende Kürzel „Ossi“ ergeben. Dieses hat die Autorin für sich als Selbstbezichtigung übernommen, da sie sich um so ostdeutscher fühle, je länger die Mauer gefallen sei – um schließlich bei den Migranten respektive „Geflüchteten“ zu landen, die mit dem Verlust ihrer Heimat dasselbe Schicksal teilten wie die ehemaligen DDR-Bürger. 

Diese gedankliche Ausbürgerung hatte bereits Sachsens Staatsministerin für Gleichstellung und Integration Petra Köpping (JF 42/18) vollzogen, die sich folgerichtig unter den zitierten Stimmen im Anhang des Buches wiederfindet, wo neben den Wortführern der „Dritten Generation Ost“ oder der Ostalgie wie etwa Wolfgang Engler und Jana Hensel auch Naika Foroutan oder Aladin El-Mafaalani vertreten sind, letzterer Autor des Titels „Das Integrationsparadox. Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt“. 

Wer hier einen logischen Fehler vermutet, liegt richtig: Entsprechend hatte bereits der ältere Zeit-Kollege Christoph Dieckmann den Kopf geschüttelt: „Junge Kollegin, Sie sind da auf dem falschen Trip!“ Freilich, für die Nachgeborene Schönian dürfte der Trip in den „Osten“ eher einem „Channeling“ gleichen, gewissermaßen Reportagen als halluzinierte Zeit-Reisen. So ist die Autorin beispielsweise beim Zusammentreffen mit dem CDU-Abgeordneten Philipp Amthor irritiert ob dessen Bekenntnis zum Begriff „Heimat“, da dieser „ausschließend“ sei, weshalb sie sich eher an den „Journalistinnen Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah“ und deren Titel „Eure Heimat ist unser Albtraum“ orientiert. Immerhin können sich Schönian und Amthor lachend darauf einigen, der frühere DDR-Begriff für Skateboard, das „Rollbrett“, sei doch „super“ gewesen. 

Dieses Prädikat gilt jedoch nicht für das journalistische Handwerk der Autorin, die sich konsequent geweigert hatte, für die Erkundung des ominösen „Ostbewußtseins“ Gespräche etwa mit AfD-Wählern oder -Politikern zu führen, ja, die die Wahlerfolge der Partei im Osten sogar kurzzeitig zu der Überlegung führten, das Buchprojekt aufzugeben. 

Idealisierte Herkunft der Elterngeneration

Und in der Tat: Es muß für Schönian eine Zumutung sein, da (so ihre Sichtweise) die Leute der AfD in die Falle gingen, weil sie – geprägt von der DDR-Diktatur – dem heutigen Journalismus zu Unrecht mißtrauten, da sie die freie Presse nicht verstünden. Darüber hinaus enttäuscht der Schreibstil der jungen Zeit-Autorin, nicht zuletzt durch die begriffliche oder vielmehr verräterische Unbedarftheit, mit der sie zum Beispiel von der DDR als dem „umgestürzten System“ spricht.  

Vielmehr dürfte die von der „Dritten Generation Ost“ und ihrer Epigonin Valerie Schönian eingebildete Ossi-Identität Ausdruck einer „Parallelaktion“ sein – analog zu den muslimischen Parallelgesellschaften Deutschlands, wo insbesondere in der dritten und vierten Generation der Gastarbeiter eine Re-Islamisierung zu beobachten ist, gespeist aus einer glorifizierten Identität, einem Prozeß der Romantisierung und Idealisierung der mit der Elterngeneration verknüpften Herkunft, welche aber bewußt keine Heimat mehr sein sollte, da die dauerhafte Auswanderung der (Groß-)Eltern sonst kaum erfolgt wäre.

Jedenfalls kann der Schönian-Leser, der die DDR noch bewußt als Diktatur erlebt hat, dem Keimzeit-Sänger Norbert Leisegang beipflichten, den die Autorin mit ihrem Anliegen ebenfalls nicht überzeugen konnte. So bleibt dem Kritiker nur der Rückgriff auf den von der Autorin geliebten, legendären Keimzeit-Song „Kling Klang“, wo es heißt: „Bloß von hier weg, so weit wie möglich.“ Oder, um nochmal Christoph Dieckmann zu zitieren, aus seiner Erwiderung auf die Kollegin Schönian: „‘Der Osten ist Geschichte’ (…) Sie empfinden nachgeborene Zugehörigkeit, in diffuser Differenz zum Westen, dessen Ost-Verachtung Sie nervt. Aber was wäre der Osten? Der Staat DDR ist gottlob futsch.“ Stattdessen gibt es heute genügend psychotherapeutische Angebote, wo „Nachgeborene“ den Phantomschmerz „Ossi“ behandeln lassen könnten – und hoffentlich auch ihren Hang zur politisch-korrekten Selbstanklage (O-Ton Schönian): „Ich bin nicht nur ostdeutsch, sondern auch weiß und war nie Rassismus ausgesetzt. Außerdem bin ich privilegiert aufgewachsen.“ Dem ist wirklich nichts hinzuzufügen.

Valerie Schönian: Ostbewußtsein. Warum Nachwendekinder für den Osten streiten und was das für die Deutsche Einheit bedeutet. Piper Verlag, München 2020, broschiert, 272 Seiten, 16,50 Euro