© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/20 / 23. Oktober 2020

Dana und Durden lassen grüßen
Inspiriert vom Erfolg der Mixed-Martial-Arts: Neue Kampfsportformate erobern Youtube
Gil Barkei

Kampfsport hat sich in den vergangenen Jahren rasant weiterentwickelt. Die Entstehung vergleichsweise neuer Kampfportarten wie Brazilian Jiu-Jitsu (BJJ) und die Etablierung vor wenigen Jahrzehnten noch kaum bekannter Stile wie Muay Thai (Thaiboxen) in westlichen Ländern haben das Angebotsspektrum der „Gyms“ erheblich erweitert und Mixed Martial Arts (MMA) erst zu dem gemacht, was es heute ist. Der weltweit größte MMA-Veranstalter, die US-amerikanische Ultimate Fighting Championship (UFC), wurde zwar erst 1993 gegründet, hat traditionellen Box-Veranstaltungen in den Vereinigten Staaten jedoch längst den Rang abgelaufen. 

Daneben buhlen Veranstalter wie Enfusion (Niederlande), Bellator (USA), One Championship (Singapur) oder NFC (Deutschland) um Werbeverträge und zahlende (Online-) Zuschauer – Pay-per-view im Internet oder eine Kooperation mit dem Bezahlsender Dazn oder ran fighting von ProSiebenSat.1 machen es möglich. UFC-Kämpfer wie der Ire Conor McGregor oder Khabib Nurmagomedov aus Dagestan sind millionenschwere Stars der Szene. Und diese faßt auch in Europa und Deutschland weiter Fuß. Die German MMA Championship (GMC), We Love MMA oder die Fair Fighting Championship (Fair.FC) füllen regelmäßig Hallen und haben mit Nick Hein oder Christian Eckerlin einige Gesichter einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht.

Gleichzeitig geht es wieder zurück zu den Wurzeln des Boxsports. „Bare knuckle“-Wettstreits, Kämpfe mit den bloßen Fäusten, die bis zur Einführung von Handschuhen mit den Queensberry-Regeln 1867 frühere Jahrhunderte prägten und bis in die griechische Antike zurückgehen, erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Mit Paige VanZant wechselte sogar nun eine ehemalige UFC-Athletin in die „Bare Knuckle Fighting Championship“ (BKFC).

Von dem Kuchen des (medialen) Kampfsport-Hypes wollen auch junge Nachwuchsveranstalter etwas abhaben – die unglaubliche Karriere des früheren Aerobic-Trainers und jetzigen UFC-Präsidenten Dana White vor Augen. Auf Youtube und Netzseiten bieten sie neue Formate und eigene „Ligen“ an. In einer Mischung aus MMA-Turnieren und amerikanischen „Back Yard“-Amateurkämpfen, die UFC-Stars wie Kimbo Slice oder Jorge Masvidal hervorgebracht haben, verbinden diese die Kampfsportszene mit dem migrantisch geprägten Straßenkämpfermilieu und der europäischen Hooligan-Subkultur –Tylor Durden (Brad Pitt) aus dem Kultfilm „Fight Club“ (1999) läßt grüßen. Beim „Defend Fight Club“ (22.000 Youtube-Abonnenten) – „Deutschlands erster Streetfight-League“ – treten „Afghanische Ringerchampions“, „Deutsche Wing-Tsun-Meister“ oder „Französische Gangster-Rapper“ auf dem „Acker“ gegeneinander an. Jeder Interessierte kann sich auf defend-fc.com mit seinen persönlichen Angaben zu Fitnesslevel, Gewichtsklasse und Kampfstil als Teilnehmer bewerben: „Mindenstens ein Video mit Schattenboxen/Boxsack-Training/Sparring/Kampf wollen wir von dir sehen.“ Dafür versprechen die Organisatoren, die einen Schiedsrichter und einen „Cutman“ stellen, „authentische Kämpfe in nahezu realen Bedingungen – More Fights, Less Show!“

Dies scheint auch der Ansatz des französischen Kanals „IbraPlus“ (2,2 Millionen) zu sein, der neben persönlichen Vlogs ebenfalls buntgemischte „Freefights“ auf der Wiese anbietet.

Bei den schwedischen „Underground Fightclub“-Promotern von „King oft the Streets“ (217.000) können sich Hobbykämpfer über Telegram bewerben und für ein Preisgeld in den mit Bauzäunen abgesteckten „Ring“ in verlassenen Industrieanlagen steigen. Die Regeln: „No rules“, keine Handschuhe, keine Runden, allerdings werden nur Duelle mit höchstens fünf Kilo Gewichtsunterschied zusammengestellt. Als „den Beginn einer neuen Ära“ preist ein Vorstellungsvideo das Konzept an, und tatsächlich sind viele, meist männliche Zuschauer begeistert. „Ihr werdet noch groß rauskommen“, schreibt ein Kommentator.

In Rußland ist die Organisation „Top Dog“ aktiv, der auf Youtbube 656.000 Abonnenten folgen. Die Kämpfe, die in einem mit Stroh abgegrenzten Kreis stattfinden und an klassische irische und britische Bare-Knuckle-Begegnungen erinnern, haben in puncto Organisation und Präsentation einen beachtlichen professionellen Standard erreicht; samt musikuntermaltem Einlauf, mehrerer Kameras, Zuschauern und Ringsprecher.

Auch Gruppenkämpfe im Angebot

Und selbst eine Art „Sportschau“ gibt es: Der deutschsprachige Youtube-Kanal „Ringlife“ (142.000) liefert Kampfkommentierungen sowie Reaction-Clips zu neuen Trends und Videos aus der Szene.

Einige Formate, die über Youtube auf sich aufmerksam gemacht haben, gibt es allerdings schon nicht mehr. So konnte sich beispielsweise die osteuropäische „Team Fighting Championship“ (TFC) mit ihrem Konzept von Gruppenkämpfen 5 gegen 5 trotz hoher Klickzahlen nicht etablieren, was die Verantwortlichen von „Thermopylae Team Combat“ (TTC) nicht daran hindert, es erneut mit Gruppenevents zu versuchen.