© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/20 / 30. Oktober 2020

... oder Segen?
Paul Gottfried

Eines vorweg: Ich bin bei weitem kein fanatischer, unkritischer Trump-Anbeter. Auch mir gehen seine ungezügelte Sprechweise und seine hemdsärmeligen Gebärden häufig auf den Keks. Natürlich würde es ihm nützen, sein tägliches Gezerre mit der Presse einzustellen. Einem amerikanischen Staatsoberhaupt sind diese Mätzchen unwürdig. 

Ich bin ebenfalls sicher, daß meine stockkonservativen Grundwerte wie die unbedingte Ablehnung der Homo-Ehe bei Trump nur begrenzt Anklang finden werden. Hin und wieder ahne ich, daß seine sittlichen Positionen noch immer von den Umständen geprägt sind. Doch von diesen Klagen einmal abgesehen, halte ich Trump und seine staatsführende Leistung für einen unbestreitbaren Segen für dieses Land. Warum?

Donald Trump hat allein durch die faszinierende Aura, die ihn umgibt, eine begeisterte Wählerbasis geschaffen. Seine grandiosen Massenversammlungen ziehen über alle Bundesstaaten verteilt Millionen Menschen an. Man muß sich immer wieder vergegenwärtigen, wie seine Anhänger selbst im prasselnden Regen stundenlang an einem Flugzeughangar im Nirgendwo ausharren, nur um ihren Präsidenten live zu sehen. Und obwohl unsere Schickeria die Wirkkraft, die von den Wahlkampfauftritten ausgeht, niemals richtig verstehen wird, gibt es keinen Zweifel: diese Popularität ist echt und fest im ganzen Land verwurzelt. Trumps Verbindung mit seiner Gefolgschaft, die in ihm einen Volkstribun bejubelt, ist unzerstörbar. Seine Wähler lieben seine derbe Wortwahl und seine gewagten Seitenhiebe gegen abgehobene, selbstverliebte Eliten.

Wenn ich für eine Weiterführung seiner Regierung eintrete, dann vor allem aus zweierlei zwingenden Gründen: Erstens bin ich überzeugt, daß die derzeitige Opposition das Land unwiderruflich zugrunde richten würde. Zum Schaden aller würden die Demokraten ihre Versprechen einlösen; das heißt die Grenzschleusen aufreißen, um immer mehr Immigranten einzulassen, sowie die Steuern erhöhen, um den geplanten „Green New Deal“ umzusetzen. Und das ist – man beachte etwa die Themen LGBT-Rechte und Abtreibung – nur der Anfang vom Ende. Wenn die ins Amt des Präsidenten gehievten Demokraten künftig auch eine brauchbare Mehrheit im Senat bekommen, werden sie versuchen, auch andere das Land in seinen Grundfesten erschütternde Versprechen einzuhalten. 

Sie wollen den Obersten Gerichtshof, jahrhundertelang mit einer festbleibenden Anzahl von neun Mitgliedern besetzt, zusätzlich mit weiteren Demokraten auffüllen. Damit könnte die Partei ihre grotesken Anliegen durch gerichtliche Urteile verwirklichen. Zusätzlich plant die demokratische Führung auch zwei juristisch der Bundesregierung unterstellten Verwaltungsgebieten – der Insel Puerto Rico und Washington, D.C. – bundesstaatliche Rechte zu gewähren. Aus diesen aus den Fingern gesogenen Staaten kämen somit jeweils zwei zusätzliche Senatoren in den Kongreß. Die betreffenden Gebiete umfassen unverhältnismäßig viele Staatsangestellte und schwarze Sozialhilfeempfänger. Die Folgen für zukünftige Präsidentschaftswahlen wären fatal: Eine überwältigende Mehrheit an Stimmen für die Demokraten wäre ihnen fast sicher.

Gleichzeitig sind die Auswirkungen der von der Demokratischen Partei als „friedlich“ bezeichneten Unruhen zu erwähnen, von denen viele amerikanische Großstädte geplagt sind. Das demokratische Parteipersonal empfindet diese „Mißlichkeiten“ als eine völlig begründete Reaktion auf Trumps angebliche Gewaltherrschaft. Joe Biden nahestehende Demokraten setzen sich sogar für verhaftete Antifa- und „Black Lives Matter“- Randalierer ein, leisteten zum Teil Kautionen für sie. Sie hüten sich, die Auschreitungen zu verdammen. Klar, schließlich liegt auch hier ein riesiges Wählerpotential. Dazu prangern Parteiprominente, allen voran Bidens Mitkämpferin und Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris, Polizisten als „Rassisten“ an und unterstützen teilweise die Parole: „Defund the police!“ („Der Polizei die Finanzierung entziehen!“).

Trump ist und bleibt die „Stimme des Volkes“

Trumps Gegner aber haben noch mehr in petto: Demokratische Richter haben demokratischen Bundesstaatsverwaltungen die kaum zu steuernde Möglichkeit eröffnet, Wahlzettel an die Adressen einstiger Wähler zu schicken. Ob die Adressen aktuell sind, ist häufig unklar, doch die zurückgesandten Briefe können amtlich eingetragen werden. Nicht nur die Demokraten, auch die ihnen freundlich gesonnenen Medien verwerfen jedwede Kritik an dem Verfahren. Trump und seine Anhänger seien Verschwörungstheoretiker, angeblich darauf aus, die Stimmen der Schwarzen und anderer benachteiligter Minderheiten zurückzudrängen.

Wenn ich aber von Opposition spreche, schließe ich selbstverständlich auch die innerparteiliche Opposition mit ein: Seit Trumps allerersten Wahlkampfauftritten stehen die Neokonservativen in der Republikanischen Partei mit ihm über Kreuz. Sie hassen ihn. Trumps Außenpolitik ist ihnen ein Dorn im Auge, wünschen sich die Neocons doch nichts sehnlicher, als „rückschrittliche“ Gesellschaften nach US-amerikanischem Vorbild umzubauen. Die progressiven Werte der sich stetig wandelnden USA – einschließlich LGBT-Rechte und Feminismus – sollen auf fremde Kulturen übertragen werden. Der neokonservativen Grundlehre nach wird es nicht möglich sein, Weltfrieden herzustellen, bis sich alle Länder dieser Erde dieser Ausprägung eines spätmodernen Amerika anschließen. Ihrer demokratischen Weltmission fügen die Neokonservativen auch ihre ausgesprochen zionistischen Anliegen hinzu. Zwar gilt auch Trump als Freund Israels, allerdings in einem weniger verabsolutierenden Maße wie die Neocons. 

Zu ihrer Bestürzung unterstreicht Trump jedoch das „amerikanische Interesse“ in der Welt, ohne Kriege anzuzetteln. Er bezieht sich dabei auf den Isolationismus der amerikanischen Rechten in der Zeit zwischen den Weltkriegen. Der Amtsinhaber hat zum Wohle des Landes mit einer jahrzehntelang gültigen Doktrin gebrochen. Klar, daß die Neocons Trump deshalb diskreditieren wollen, etwa wenn sie ihn als angeblichen Nachfolger des paläokonservativen Politikers und Journalisten Pat Buchanan brandmarken, der den isolationistischen „America First”-Kampfruf der 1920er Jahre zurück in die Politik brachte und dessen Streitereien mit der zionistischen Lobby in den USA zur Legende wurden.

Doch fairneßhalber sei angemerkt: Nicht alle Neokonservativen bekriegen Trump. Mitglieder der alten Garde um Norman Podhoretz, William Bennett und Roger Kimball, rühmen Trump ob seiner israelfreundlichen Haltung und seiner Bereitwilligkeit, gegen die Unruhestifter in den Großstädten zu Felde zu ziehen. Es ist erstaunlicherweise vor allem die jüngerere Generation, die unerbittlich gegen Trump giftet. Die Wa-shington Post-Kommentatorin Jennifer Rubin belustigte sich in unverschämter Weise über Trumps Covid-Erkrankung. Neokonservative wie Bill Kristol, Max Boot und Jamie Kirchick, scharen sich um den „Republican Voters Against Trump“-Verein zur Niederkämpfung ihres Widersachers. Damit spielen sie vor allem den Demokraten in die Karten.

Der zweite Hauptgrund für meine Wahlentscheidung ist meine positive Einschätzung der vielfältigen Errungenschaften der Trump-Regierung. Bis zur Corona-Pandemie hat es Trump geschafft, einen beispiellosen Wirtschaftsaufschwung herbeizuführen, der durch rekordbrechende Arbeitsangebote und Neueinstellungen gekennzeichnet war. Am meisten half dieser Wirtschaftsaufschwung Schwarzen und Latinos, die sich vor der Covid-Seuche des niedrigsten Arbeitslosigkeitsstandes aller Zeiten erfreuten. Und trotz eines Verlustes von zwanzig Millionen Arbeitsstellen aufgrund der Pandemie hat das Land schon acht Millionen der diesjährig eingebüßten Jobs wiedergewonnen. 

In nackten Zahlen stehen die USA also besser da als die meisten westeuropäischen Länder. Neu eingefädelte Handelsabmachungen mit anderen Staaten, die Entregulierung vieler von Obama gefesselten Wirtschaftsbranchen und Trumps Bereitwilligkeit, Länder, die US-Waren ausschließen, mit dem Druckmittel Zölle herauszufordern, ließen die Produktivkräfte in den ersten drei Jahren seiner Amtszeit auf einen Höchststand emporsteigen.

Zudem sei nochmals auf Trumps Rolle als kühner Fürsprecher der gesetzlichen Ordnung hingewiesen. Nicht nur spricht er den vernachlässigten Opfern der BLM-Ausschreitungen Mut und Trost zu. Trump als „Stimme des Volkes“ setzt sich zudem felsenfest für die Polizisten aller Hautfarben ein und beorderte die Nationalgarde zu den wichtigsten Brandherden. Auf dem internationalen Parkett hat Trump vieles errungen, ohne amerikanische Truppen (unnötigerweise) in Kriegsaktionen verwickelt zu haben. Nur aufgrund seiner Vermittlung ist ein Anerkennungsabkommen zwischen Israel und zwei arabischen Golfstaaten unterzeichnet worden. Deshalb ist es leicht zu erraten, auf welchen Präsidentschaftskandidaten meine Stimme entfallen wird – oder leicht zu erraten, warum ich nicht die Wahlentscheidung meines amerikanischen Kollegen treffe.






Prof. Dr. Paul Gottfried, geboren 1941, ist Historiker und Politologe. Er lehrte am Eliza­bethtown College in Pennsylvania.