© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/20 / 30. Oktober 2020

Schluß mit der laxen Haltung
Frankreich: Nach dem Mord an Samuel Paty kämpft Paris gegen Dschihadisten im In- und Ausland
Friedrich-Thorsten Müller

Mit einem Staatsakt an der Sorbonne in Paris nahm Frankreich von dem wegen Zeigens von Mohammed-Karrikaturen im Unterricht auf offener Straße enthaupteten Lehrer Samuel Paty Abschied. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hielt im Ehrenhof der renommierten Universität die Trauerrede, der auf den Fernsehsendern TF1 und France2 6,5 Millionen Zuschauer folgten. Außerdem ernannte er ihn postum zum „Ritter der Ehrenlegion“. 

Indes kommen immer mehr Details des Mordanschlags auf den 47jährigen Gemeinschaftskundelehrer ans Licht: So nahm der tschetschenische Attentäter im Vorfeld Kontakt zu einem der Väter der Mittelschule in Conflans auf. Dieser hatte die Absetzung des Lehrers gefordert und über die sozialen Medien dafür Mitstreiter gesucht. 

Ankara versprüht Haßtiraden gegen Paris

Darüber hinaus hat der 18jährige, ortsfremde Attentäter auf dem Schulhof  zwei Jungen Hunderte Euro „Kopfgeld“ für die Identifikation Patys bezahlt. Sowohl dieser Vater als auch die 14 und 15jährigen Schüler wurden inzwischen wegen „Beihilfe zu einem terroristischen Anschlag“ festgenommen. Dasselbe gilt für drei Freunde des Täters. Der eine soll mit ihm nach Rouen gefahren sein, um dort das Messer für die Enthauptung zu kaufen, der andere ihn am Tag des Angriffs mit dem Auto zum Tatort gebracht haben. Einem weiteren wird ohne konkrete Tatbeteiligung die „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ vorgeworfen. Auch vier enge Familienangehörige des Täters wurden vorübergehend festgenommen. 

Indes liefert sich das politische Frankreich einen Überbietungswettbewerb im Kampf gegen den Islamismus. Nachdem Zehntausende in Frankreichs Großstädten trauernd gegen den Islamismus demonstrierten, möchte Präsident Macron auf keinen Fall als Zauderer wahrgenommen werden. Entsprechend setzte er seinen Ministern im Nationalen Sicherheitsrat eine Zweiwochenfrist, das geplante „Gesetz gegen den Separatismus“ – das sich vor allem gegen muslimische Parallelgesellschaften richtet – nochmals zu verschärfen. 

Außerdem ließ er durch den Ministerrat die pro-palästinensische Organisation des Scheich Yassine, die sich an der Internet-Hetzjagd auf Paty maßgeblich beteiligte, auflösen. Sein Premierminister Jean Castex wiederum will die Führung der Beobachtungsstelle für Laizität neu besetzen. Der bisherige Leiter und ehemalige sozialistische Sozialminister Jean-Louis Bianco gilt inzwischen als zu lax. 

Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin wiederum will über 230 als Gefährder bekannte Islamisten ohne Aufenthaltstitel schnellstmöglich abschieben, selbst wenn diese aus Krisengebieten stammen, was bisher mit geltendem Recht kollidiert. 

Aus diesem Grund geht der frühere sozialistische Premierminister Manuel Valls gegenüber dem Sender BFMTV noch deutlich weiter: Er fordert gegebenenfalls EU-Richtlinien oder Menschenrechte außer Kraft zu setzen, wenn sie den „Krieg“ gegen den Islamismus behindern. Außerdem wirft Valls Frankreichs Linken – und vor allem dem Kommunisten Jean-Luc-Mélenchon – „jahrelange Feigheit“ vor, „die den Mord an Paty erst möglich gemacht“ habe. Bezeichnend für den Stimmungsumschwung in Frankreich ist, daß selbst der so gescholtene Mélenchon, der letztes Jahr noch mit der Muslimbruderschaft gegen „Islamophobie“ demonstrierte, nun striktes Durchgreifen fordert: Tschetschenen mit Bezug zum Islamismus sollen abgeschoben werden, und Frankreich habe ein „Tschetschenenproblem“. 

Da erstaunt wenig, wenn die Europaabgeordnete der Konservativen (LR) Nadine Morano gegenüber dem Sender CNews sogar Islamisten mit doppelter Staatsangehörigkeit ausbürgern und abschieben will. Darüber hinaus kann sie der Idee des CNews-Journalisten Guillaume Bigot, französische Islamisten auf die Kerguelen-Inseln nahe der Antarktis zu verbannen, etwas abgewinnen. 

Für die früher vielgescholtene Vorsitzende des Rassemblement National, Marine Le Pen, sind dies ungewohnte Töne. So zitierte sie in der Nationalversammlung das Axiom von Marguerite Yourcenar, offenbar „nicht unrecht, sondern zu früh recht gehabt zu haben“. Vor allem aber sicherte sie der Regierung Macrons ihre Unterstützung zu, auch wenn ihr die Maßnahmen nicht weit genug gingen. Ein Schritt sei „besser als nichts, selbst wenn 1.000 Schritte zu tun sind“. Trotzdem scheint absehbar, daß das Rassemblement National in Sachen Einwanderungspolitik sein Alleinstellungsmerkmal als „Law and Order“-Partei verlieren könnte.

Indes ziehen die unnachgiebige Haltung Frankreichs in Sachen Mohammed-Karikaturen und das harte Vorgehen gegen den Islamismus weitere internationale Proteste nach sich. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan prophezeite Europa den Zusammenbruch, sollte es sich diesbezüglich nicht mäßigen. Macron habe unrecht, den Islam als eine „Religion der Krisen über die ganze Welt“ zu bezeichnen und müsse sich aufgrund seiner Anti-Erdogan-„Besessenheit“ behandeln lassen, so der türkische Präsident. Hinzu kommen Boykottaufrufe nicht nur aus Ankara. So beginnen Händler in Jordanien, Kuwait und Katar bereits damit, französische Waren aus ihren Läden zu entfernen. 

Die EU verurteilte die Angriffe des türkischen Präsidenten. EU-Chefdiplomat Borrell rief die Türkei dazu auf, die „gefährliche Spirale der Konfrontation zu stoppen“.