© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/20 / 30. Oktober 2020

Washington und London eilen plötzlich zu Hilfe
Taiwan will nicht das Schicksal Hongkongs erleiden: Milliardenschweres Aufrüsten gegen den feindlichen Nachbarn
Jörg Sobolewski

Wenige Tage vor der US-Präsidentschaftswahl nimmt der Konflikt zwischen der Regierung in Peking und der US-Administration Fahrt auf. Nachdem das US-Außenministerium Ende Oktober eine Lieferung hochentwickelter Marschflugkörper und Raketenwerfer im Wert von über 1,8 Milliarden US- Dollar an Taiwan genehmigte, drohte die chinesische Regierung mit „angemessenen, aber entschiedenen Gegenmaßnahmen“, wie ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums mitteilte. 

Tatsächlich hat die Regierung von Staatspräsident Xi Jinping in den vergangenen Monaten den diplomatischen und militärischen Druck auf Taiwan verschärft. Wiederholt drangen chinesische Kampfflugzeuge und Beobachtungsflugzeuge in den taiwanesischen Luftraum ein, während in chinesischen Staatsmedien diverse Propagandaufnahmen zu sehen waren, die simulierte Angriffe auf taiwanesische Städte und Industriezentren zeigten. 

Die Regierung in Taipeh wertete die Entscheidung der USA daher auch als wichtigen Schritt hin zu einer dringend notwendigen Befähigung der eigenen Streitkräfte, einen Angriff der Volksbefreiungsarmee abzuwehren. Eine „neue Bedrohungslage mache auch eine Neubewertung der eigenen Verteidigungsfähigkeiten notwendig“, so Verteidigungsminister Yen De-fa in einem Interview mit dem Sender Al Jazeera. 

Experten bewerten den Waffenkauf vor allen Dingen als Signal an das chinesische Oberkommando, daß eine militärische Eroberung eine kostspielige Angelegenheit werde. „Mit diesen Systemen kann Taiwan die logistischen Zentren einer etwaigen Invasion auch tief im chinesischen Herzland angreifen. Eine amphibische Operation zur Eroberung der Insel wäre aber genau auf diese Zentren angewiesen, um die großen Mittel an Mensch und Material, die der Volksbefreiungsarmee zur Verfügung stehen, auch zum Einsatz zu bringen“, analysiert Ian Easton, Spezialist für Taiwan am Project 2049 Institute in Virginia. 

Auch mit Großbritannien liegt Peking im Clinch. Besonders stört sich die Volksrepublik am britischen Vorstoß, den Bürgern der ehemaligen Kronkolonie Hongkong einen Zugang zu einem sogenannten British National Overseas Passport („BNO-Paß“) zu gewähren. Ein derartiges Dokument gewährt zwar keine britische Staatsbürgerschaft, erlaubt dem Inhaber aber dennoch die britischen Staatsbürgern gewährte Reisefreiheit und einen begrenzten konsularischen Schutz. 

Etwa 300.000 Menschen sind aktuell im Besitz eines solchen Dokuments. Der neue Vorstoß aus London würde weiteren 2,3 Millionen Menschen das Recht auf einen solchen Paß gewähren. Am vergangenen Freitag sprach nun das Hongkonger Büro der chinesischen KP eine Warnung an die britsche Regierung aus, sich nicht in „interne chinesische Angelegenheiten einzumischen“. Ähnliche Reaktionen kamen bereits in der Vergangenheit aus der Pekinger Zentrale. Dennoch hält Innenministerin Priti Patel an den Plänen fest und sieht überdies vor, den Inhabern eines BNO-Passes mittelfristig Zugang zu einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung im Vereinigten Königreich und langfristig sogar einer regulären Staatsbürgerschaft zu gewähren. Auch militärisch stellt sich London an die Seite der USA: Der erste reguläre Einsatz des neuen Flugzeugträgers HMS Queen Elizabeth soll 2021 ins Südchinesische Meer führen.