© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/20 / 30. Oktober 2020

Der teuerste Regionalairport der Welt
Luftfahrt: Der pannenreiche Hauptstadtflughafen BER wird am 31. Oktober mit neun Jahren Verspätung eröffnet
Fabian Schmidt-Ahmad

Am Samstag soll es endlich soweit sein. An diesem Tag nimmt der Flughafen Berlin Brandenburg „Willy Brandt“ (BER) offiziell den Betrieb auf. Neun Jahre später als geplant – und angesichts der Corona-Krise mit einem Minimalprogramm und der Perspektive Kurzarbeit für viele Beschäftigte. Der erste Eröffnungstermin am 30. Oktober 2011 war nicht zu halten. Die geplante Einweihung am 3. Juni 2012 wurde vier Wochen vorher abgesagt – und bereits damals war die Dauerbaustelle am Südostrand von Berlin Zielscheibe für ätzenden Spott. Was auch immer bei einem Großprojekt schiefgehen konnte, hier wurde nichts ausgelassen.

Die Anfänge des BER liegen in der Wendezeit und der Entscheidung von 1991, Berlin zur Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands zu machen. Viele Politiker aus Süd- und Westdeutschland konnten sich mit dem Gedanken einer neuen Metropole nicht anfreunden. Hinzu kam, daß das Bundesverkehrsministerium häufig von der CSU geführt wurde. Ein Amtsvorgänger des heutigen Ressortchefs Andreas Scheuer, Peter Ramsauer, stimmte am 20. Juni 1991 im Bonner Wasserwerk – wie 40 der 48 CSU-Bundestagsabgeordneten – gegen die Hauptstadt Berlin.

Schlechte Chancen gegen Frankfurt und München

Denn im Mai 1992 eröffnete der Großflughafen München „Franz Josef Strauß“ – nach drei Jahrzehnten Diskussion, Planung, Verhinderungsklagen und sieben Jahren realer Bauzeit. Ein nach Frankfurt dritter deutscher Großflughafen war da nicht willkommen. Das hilft zu verstehen, warum die Berliner Flughafenposse nicht tatkräftig verhindert wurde. Hinzu kam: Das wiedervereinigte Berlin besaß drei internationale Flughäfen: Tegel (TXL) und Tempelhof (THF) im Westteil sowie Schönefeld, der ehemalige DDR-Zentralflughafen (SXF). Zusammen fertigten sie 1991 etwas mehr als acht Millionen Passagiere ab, doch war absehbar, daß die drei Standorte nicht mitwachsen konnten.

Eine Planungskommission prüfte Standtorte um Berlin, die sich für ein internationales Drehkreuz eignen würden. Die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH (FBB) nannte zwei Kandidaten südlich von Berlin. Die Empfehlung der beiden „Standorte Sperenberg und Jüterborg-Ost durch die FBB und die Gutachter ist eindeutig“, heißt es im Ergebnisbericht von 1993. Die damaligen Länderchefs Manfred Stolpe (SPD/Brandenburg) und Eberhard Diepgen (CDU/Berlin) einigten sich 1995.

„Es soll ein internationaler Flughafen im Raum Sperenberg errichtet werden. Er soll im Jahr 2015 den Betrieb aufnehmen“, heißt es in dem vertraulichen Dokument. Bis dahin sollte der Flughafen Schönefeld „durch Ausbaumaßnahmen der Terminals ertüchtigt“ werden, den Passagierzuwachs zu bewältigen. Finanziert werden sollte das Großprojekt durch Privatinvestoren. Das Land Brandenburg versprach dabei die logistische Anbindung an das vierzig Kilometer entfernte Berlin, sollte sich kein privater Kapitalgeber finden lassen.

Tatsächlich standen die Chancen anfangs gut. Der an dem Planungsprozeß beteiligte Flughafenplaner Dieter Faulenbach da Costa, heute einer der schärfsten Kritiker des Projektes, erinnert sich an Pläne der Lufthansa, in Sperenberg – 30 Kilometer südwestlich von Schönefeld – ihren neuen Zentralstandort zu errichten. Ein ertragreicher Flughafen braucht mehrere Start- und Landebahnen, auf denen möglichst rund um die Uhr Betrieb herrscht.

Das aber geht in Deutschland nur außerhalb städtischer Siedlungsgebiete. Nur hier kann der höhere Flächenbedarf befriedigt werden, und nur hier ist der Lärm mehrerer Flugschneisen vertretbar. Im Gebiet von Sperenberg befand sich bis Kriegsende der Flugplatz des Oberkommandos der Wehrmacht und ab 1957 ein 2.400 Hektar großer Militärflughafen der Sowjetarmee. Es gab Platz für bis zu sechs Start- und Landebahnen. Und nur 3.000 statt 100.000 Anliegern hätte eine Lärmschutzentschädigung gezahlt werden müssen. Der BER-Standort nahe der Berliner Stadtgrenze ist eine bewußte Entscheidung gegen einen Großflughafen und damit gegen Berlin als internationales Drehkreuz im Luftverkehr. Daß nun die Lufthansa mehrere Langstreckenjets coronabedingt von München nach Frankfurt verlegt, ist ebenfalls kein gutes Omen für den BER. Lediglich ausländische Fluggesellschaften bieten auf absehbare Zeit wenige Direktverbindungen nach Nordamerika und Asien an.

Aus zwei wurden 6,44 Milliarden Euro

Auch Berliner Ämterpatronage paßte der innerdeutschen Konkurrenz ins Konzept: Berlin verfügt über eine eigene Luftfahrtbehörde. Ohne Tegel und nur mit dem Standort Sperenberg hätte diese aufgelöst werden müssen. Nicht aber mit dem Standort Schönefeld, da hier ein kleiner Teil des Areals zum Land Berlin gehört. All das schreckte Privatinvestoren ab – 2003 entschieden sich die neuen Landeschefs Matthias Platzeck (Brandenburg) und Klaus Wowereit (Berlin) für eine öffentliche Baumaßnahme.

Nun fließen Milliarden an Euro – und das in allzu trübe Kanäle. Der Finanzexperte Klaus Richard Grün, Autor von „Finanzrevisor Pfiffig aus der DDR“, kritisiert den FBB-Gesellschaftsvertrag. Zwar gehöre die GmbH den Ländern Berlin und Brandenburg sowie dem Bund, doch der Vertragstext verbietet eine Prüfung durch die jeweiligen Landesrechnungshöfe und den Bundesrechnungshof: „Das ist ein Skandal, daß hier Milliardenbeträge an Steuern ohne Kontrolle ausgegeben werden können.“

Dabei hätte eine Prüfung durch Finanzexperten der Behörden selbst im laufenden Betrieb erfolgen können. Bizarr ist die Bauausschreibung des Hauptterminals 2007. Mehrere Bieter legten Angebote von etwa einer Milliarde Euro vor. Viel zu teuer, befand Wowereit, Regierender Bürgermeister der Arm-aber-sexy-Metropole. Doch bei der eigenen Kalkulation wurde die kostenintensive Gebäudetechnik unterschätzt. Statt den Fehler einzugestehen, verteilte der BER-Aufsichtsrat den Auftrag auf sieben Bauauschreibungen – und lieferte der Berliner Boulevardpresse unerschöpfliches Material des Totalversagens.

Bereits 2008 durchbrachen TXL und SXF die Marke von 21 Millionen Passagieren. Doch für diese Kapazität war der neue Flughafen nicht ausgelegt, über Nacht wurden die Baupläne umgeschrieben – und der Wahnsinn begann. Der eine Bautrupp riß ab, was ein anderer zuvor errichtet hatte. Unzählige Witze kursierten über den bislang „weltweit einzigen klimaneutralen Flughafen“.

Traurig ist es für die Steuerzahler: Aus geplanten zwei wurden nun 6,44 Milliarden Euro für den teuersten Regionalflughafen der Welt. Nicht eingerechnet sind die unabsehbaren Verluste durch die Corona-Krise – nur ein dreistelliger Millionenbetrag kann die Pleite im ersten BER-Betriebsjahr abwenden. Der voll ausgelastete Flughafen Tegel brachte 2019 hingegen ein Plus von 131 Millionen Euro ein. Doch der wird trotz eines gegenteiligen Volksentscheids vom 24. September 2017 nun endgültig stillgelegt: Am 8. November startet der letzte Air-France-Flug nach Paris.

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