© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/20 / 30. Oktober 2020

Bauern als Sündenböcke
EU-Politik: Nach heftigem Streit um das Reformpaket zur Agrarpolitik zeichnet sich ein Kompromiß ab / 387 Milliarden Euro bis 2027
Paul Leonhard

Mehr als ein Drittel der Steuergelder, die die EU jedes Jahr verteilt, gehen in die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Rund 387 Milliarden Euro sind für die Zeit zwischen 2021 und 2027 eingeplant. Nach Deutschland werden davon etwa 44 Milliarden Euro zurückfließen, 0,7 Prozent weniger als in der vorherigen Periode. Dafür erhalten die Osteuropäer mehr Geld.

Bisher floß der Großteil des Geldes direkt an die Bauern. Bemessungsgrundlage war die bewirtschaftete Ackerfläche. Pro Hektar gab es etwa 280 Euro. Künftig sind die Zahlungen an zusätzliche Auflagen, etwa bezüglich Dünger und Pestiziden, gekoppelt: „Kein Euro mehr ohne Gegenleistung“, nennt das Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU). Für den „Systemwechsel“ schwebt ihr eine digital gesteuerte Präzisionslandwirtschaft vor – mit mehr Biolandbau, der Einhaltung von Fruchtfolgen, dem Anpflanzen von Wäldern auf Feldern oder der Erhaltung von Moore.

Programme für Tierwohl und Bio-Landwirtschaft

All das ist Teil des neuen GAP-Reformpakets, auf das sich Klöckner und ihre 26 Amtskollegen in Luxemburg geeinigt haben. Das ist bemerkenswert, da in den EU-Staaten die Landwirtschaft völlig verschiedenen volkswirtschaftlichen Stellenwert genießt und auch die strukturellen Unterschiede groß sind. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), die vor allem Kleinlandwirte vertritt, begrüßt zwar, daß die Subventionen künftig an „ökologische und soziale Kriterien“ geknüpft sind. Zielführender wäre allerdings ein über die ganze Förderperiode hinweg ansteigendes Budget für Ökoregelungen, das Bauern schrittweise vermehrt für Umwelt- und Tierschutzleistungen entlohnt, findet AbL-Chefin Elisabeth Fresen.

Doch schon in den vergangenen Jahren bekamen kleine bäuerliche Familienbetriebe überproportional mehr Geld als die großen Agrarunternehmen. Diese profitieren aber ebenso von der GAP-Reform, da zahlreiche Betriebe längst auf Bioproduktion umgestiegen sind. Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV) rechnet damit, daß sich die Mittel für Umweltmaßnahmen, die nach Deutschland fließen, mehr als verdoppeln: auf rund 1,8 Milliarden Euro. Das von Klöckner Durchgesetzte sei ein „tragfähiger Kompromiß“.

Auch aus Wien kam Zustimmung: Die Weiterführung der „Programme für Tierwohl, Bio-Landwirtschaft und Bergbauern-Ausgleichszulage sind unabdingbar für den Erhalt unserer klein­strukturierten Familienbetriebe mit ihrer Nutztierhaltung“, erklärte Walter Lederhilger, Obmann des Vereins Nachhaltige Tierhaltung Österreich (NTÖ). „Wir haben eine durchschnittlich bewirtschaftete Fläche von 19 Hektar und eine geringe Tieranzahl pro Betrieb: im Schnitt sind es 32 Rinder, 109 Schweine, 29 Schafe und elf Ziegen. Die Betriebe sind vorwiegend Familienbetriebe, die sich im beinharten Konkurrenzkampf mit globalen Agrar-Giganten befinden“, so der Landwirtschaftskammerrat und ÖVP-Politiker.

Von „grün angestrichenen Pseudo-Leitlinien“ sprechen hingegen Renate Künast und Martin Häusling. Die frühere Landwirtschaftsministerin und Ex-Grünen-Chefin sowie der agrarpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im EU-Parlament fordern eine „Gemeinwohlprämie“ für Bauern. Ziel müsse eine Ökologisierung der Landwirtschaft mit auskömmlichen Preisen sein: „Statt Output und Flächenbesitz sollen gemeinwohlorientierte Leistungen entlohnt werden, die Klima, Boden, Wasser, Rebhuhn und Co. schützen – mit einer Zukunftsperspektive für Landwirte“. Die geplanten GAP-Regelungen seien „eine völlige Blackbox und überdies freiwillig, also ins Belieben der Mitgliedsstaaten gestellt“.

Doch im EU-Parlament konnten sich die Grünen und ihre Lobbyorganisationen mit ihren Forderungen nicht durchsetzen. Selbst apokalyptische Twitter- und Facebook-Botschaften von den „Fridays for Future“-Aushängeschildern Greta Thunberg und Luisa Neubauer konnten die Mehrheit der Europaparlamentarier nicht umstimmen: 425 der 688 anwesenden Abgeordneten stimmten für den Kompromiß von Europäischer Volkspartei (EVP), Sozialdemokraten (S&D) und Liberalen (Renew).

Die AfD-Vertreter gehörten zu jenen 51 Parlamentariern, die sich der Stimme enthielten, um „Schlimmeres für die Landwirte zu verhindern“, so Bundesvorstandsmitglied Sylvia Limmer. „Während sich die etablierten großen Fraktionen für ihren Beschluß zum Weiter-so-Paket feiern, fordern links-grüne Abgeordnete sowie die Kommission bereits weitere Bürden für die Bauern im Rahmen des ‘Grünen Deal’ und der sogenannten ‘Vom-Hof-auf-den-Tisch-Strategie’, welche die Bauern als Sündenböcke für den Klimawandel und sämtliche Umweltprobleme im ländlichen Raum darstellen wollen“, kritisierte die Bayreuther Veterinärmedizinerin.

Überzeugt hat Klöckner von ihrem Modell immerhin die meisten ihrer Amtskollegen. Nur Litauen hat mit Nein gestimmt. Lettland, Bulgarien und Rumänien haben sich enthalten. Im November können nun daher die abschließenden Verhandlungen über die neuen GAP-Regeln zwischen dem EU-Parlament, den 27 Mitgliedsländern und der EU-Kommission beginnen. Kommt es zur Einigung, dürfen die einzelnen Staaten entscheiden, wie sie die neuen GAP-Regeln konkret umsetzen. Dafür haben sie dann zwei Jahre Zeit.

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