© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/20 / 30. Oktober 2020

Den Zugang zum Markt kontrollieren
Teil 2 – Die Macht von Big Tech: Kartellklagen und Kongreßanhörungen – der Druck auf Amazon, Google, Apple & Co. wächst
Björn Harms

Dank der mittlerweile monopolartigen Herrschaft von einigen wenigen Technologieunternehmen kann vom ursprünglichen Traum des „freien Internets“ schon lange keine Rede mehr sein. Die Marktmacht der großen Netzgiganten wächst unaufhaltsam.

In der vergangenen Woche jedoch machte eine spektakuläre Meldung die Runde: Die US-Regierung reichte Klage gegen die Alphabet-Tochter Google ein und strengt damit das größte Kartellverfahren seit Jahrzehnten an. Das US-Justizministerium und elf die Klage unterstützende Bundesstaaten werfen Google vor, seine marktbeherrschende Stellung mißbraucht und den Wettbewerb gezielt behindert zu haben. Das Unternehmen habe sich „unrechtmäßig ein Monopol bei allgemeinen Suchdiensten“ bewahrt, erklärte US-Justizminister William Barr und warnte zugleich: „Wenn die Regierung die Kartellgesetze nicht durchsetzt, um Wettbewerb zu ermöglichen, werden wir die nächste Innovationswelle verpassen.“

Jeder der vier Konzerne diene als „Torwächter“

Die Bundesbeschwerde fußt auf einer einjährigen Untersuchung durch Ermittler der Justizbehörde. Zeitgleich hatte bereits der Justizausschuß des US-Kongresses im Juni 2019 eine überparteiliche Untersuchung zum Stand des Online-Wettbewerbs eingeleitet. Nach Sichtung von knapp 1,3 Millionen Dokumenten und der Anhörung Hunderter Experten liegt seit kurzem ein 450 Seiten umfassender Bericht vor, der erstmals detailliert auflistet, welche schwerwiegenden Auswirkungen die Macht der BigTech-Konzerne auf die Demokratie hat.

Unter anderem waren auch die Chefs der Tech-Riesen gezwungen, vor dem Komitee auszusagen. Doch ob Jeff Bezos (Amazon), Tim Cook (Apple), Mark Zuckerberg (Facebook) oder Sundar Pichai (Alphabet/Google) – ihre Antworten seien „oft ausweichend und nicht entgegenkommend“ gewesen, heißt es im Abschlußbericht. Es sei weiterhin fraglich, „ob sie glauben, daß sie außerhalb der Reichweite demokratischer Kontrolle“ stünden.

Die Befunde des Papiers haben es jedenfalls in sich: Jeder der vier Konzerne diene als „Torwächter eines wichtigen Vertriebskanals“, der den Zugang zu einem Markt kontrolliert und je nach Belieben „Gewinner und Verlierer auswählt“, heißt es dort. Andere Unternehmen würden gezielt überwacht werden, „um potentielle Konkurrenten zu identifizieren“ und sie direkt vom Markt aufzukaufen oder gleich abzuschneiden. Es brauche fortan „gesetzliche Reformen“, so der Befund der beteiligten Abgeordneten. Unter anderem ist von einer „energischen Durchsetzung des Kartellrechts“ die Rede. „Zukünftige Fusionen und Übernahmen durch die dominanten Plattformen“ sollen verboten werden können. 

Der Politologe Matthew Hindman, Professor an der University of Arizona, hatte diese Befunde schon 2009 vorweggenommen, als er in seinem Buch „Der Mythos der digitalen Demokratie“ der Erzählung angeblich niedriger Eintrittsbarrieren in die digitalen Märkte widersprach. Denn die Infrastruktur der großen Player erstickt den Markteintritt potentieller Wettbewerber meist im Keim. Suchmaschinen begünstigen starke Marktführer zuungunsten kleinerer Anbieter. Netzwerkeffekte, das heißt Gewohnheiten bei der Nutzung, erschweren einen Wechsel zur Konkurrenz. Zudem werden Start-ups mit guten Ideen häufig direkt von großen Firmen aufgekauft.

Die Verstetigung der Macht wirft zwangsläufig eine wichtige Frage auf: Setzen die Unternehmen ihre schier unbegrenzten Möglichkeiten tatsächlich für unlautere Zwecke ein? Zumindest häufen sich vor allem von konservativer Seite die Zensurvorwürfe, die auch während der Anhörung im US-Kongreß immer wieder thematisiert wurden.

Doch daß Facebook willkürlich löscht oder Youtube unliebsame Videos entfernt, ist bei aller Dramatik für einzelne Content-Ersteller nur die Spitze des Eisbergs. Darunter könnten weitaus größere Gefahren lauern. Etwa die Sperrung aufgrund der falschen politischen Einstellung bei technologiebasierten Dienstleistungsunternehmen wie Airbnb oder dem Fahrdienst Uber. Oder aber die Löschung bei Online-Zahlungsdiensten wie Paypal oder Stripe, die ihre Richtlinien wie die meisten Technologieunternehmen in den vergangenen Jahren ebenfalls verschärft haben.

Klar ist: Immer mehr Zahlungsströme verschieben sich in die Online-Welt. Aufgrund der Corona-Pandemie hat sich dieses Verhalten nur verstärkt. Durch die Notwendigkeit, möglichst kontaktlos zu bezahlen, häufen sich auch wieder die Rufe nach einer Bargeldabschaffung. 

In Deutschland liegt der Marktanteil von Paypal laut der repräsentativen Studie „Online Payment 2020“ des EHI Retail Instituts bei rund 21 Prozent hinter dem Kauf per Rechnung auf Platz 2 – Tendenz steigend. In den USA ist der Anteil sogar noch höher. Gleichzeitig hat ein Großteil der Handelsunternehmen seinen Bezahlprozeß bereits für mobile Endgeräte optimiert. Viele planen die Einführung mobiler Bezahlverfahren wie Apple Pay oder Google Pay – alles wird digitaler.

Amazon spricht zudem aktuell mit verschiedenen Banken über die Möglichkeit, eigene Girokonten anzubieten. Auch Google hat unter dem Codenamen „Cache“ die Entwicklung eines Girokontos angekündigt. Apple hat gemeinsam mit Goldman Sachs bereits eine eigene Kreditkarte herausgebracht. Facebook arbeitet derzeit an einer eigenen Krypto-Währung, die in allen Apps des Konzerns nutzbar sein soll. Nicht nur Uber, Paypal und Stripe kooperieren hierzu mit dem sozialen Netzwerk, auch Unternehmen wie Spotify, Ebay oder Vodafone sind mit an Bord. 

Das Vorhaben sorgt in der Politik für erhebliche Vorbehalte: Während der Anhörung im US-Kongreß im Juli 2019 hielt der republikanische Abgeodnete Sean Duffy gut sichtbar für alle Kameras eine 20-Dollar-Note in die Höhe. „Jeder kann sie nutzen, dieser Schein diskriminiert niemanden. Du kannst ein Mörder sein, du kannst schlimme Dinge sagen. Aber wer kann Libra nutzen?“, fragte Duffy den Libra-Chef David Marcus. „Kann ein Milo Yiannopoulos, der von Facebook gebannt wurde, die Währung nutzen?“ Die ausweichende Antwort: „Wir haben noch keine Richtlinie festgesetzt.“ Das alles erinnere ihn an das Sozialkredit-System in China, entgegnete Duffy trocken. Ob Facebook genauso vorgehe? Man stelle sich vor, in einem Online-Shop, der mit Libra arbeitet, bezahlen zu wollen. Doch aufgrund eines Verstoßes gegen unklare „Hate Speech“-Richtlinien könnte die Transaktion nicht durchgeführt werden.

Doch nicht nur die Arbeit an eigenen Währungen oder Girokonten verdeutlicht eindrucksvoll, wie die BigTech-Konzerne derzeit in die Finanzwelt drängen, ja hier sogar den Banken das Heft des Handelns abgenommen haben. Der nächste große Schritt betrifft das sogenannte Cloud Computing (zu deutsch: Rechnerwolke), also die Bereitstellung von Servern, Rechenleistungen, Datenbanken und Software, ohne daß diese auf den lokalen Rechnern von Firmen installiert sein müssen, die diesen Service in Anspruch nehmen. Diese Auslagerung von IT-Infrastruktur wird mittlerweile zum Standard bei großen Unternehmen. 

Dreimal darf man jedoch raten, wer den Cloud-Markt bereits dominiert. Zahlreiche populäre Dienste wie beispielsweise Dropbox, Netflix, Foursquare oder Reddit greifen auf die Dienste von Amazon Web Services (AWS) zurück. Firmen wie Siemens, Bosch und Volkswagen nutzen vor allem Microsoft Azure. Die großen Tech-Konzerne haben den Public-Cloud-Markt für Finanzdienstleistungen in den USA und Europa, dem Nahen Osten und Afrika praktisch komplett unter sich aufgeteilt. Der Bankensektor öffnet sich derzeit mit rasanter Geschwindigkeit diesem Markt, der eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 12,6 Prozent aufweist. Die Kreditinstitute werden agiler. Vorteile gibt es für sie zuhauf, etwa daß die Kosten für die technische Infrastruktur um 30 bis 50 Prozent sinken könnten, da sie nicht mehr selbst zur Verfügung gestellt werden muß. 

Was aber bedeutet es, wenn sogar Teile der Kontoführungen über Cloud-Dienste ablaufen? Wer garantiert, daß Daten nicht mißbraucht werden? Schließlich übernimmt AWS seit 2013 beispielsweise auch Cloud-Dienste für die CIA. „Das ist so, als ob man sein Gehirn an Jeff Bezos auslagert und ihm das Denken überläßt. Es ist töricht und gefährlich“, warnte bereits vor zwei Jahren David Cheriton, kanadischer Geschäftsmann und Professor für Informatik an der Stanford University. Eine eigene IT gehöre zur Kernkompetenz eines jeden Unternehmens. Doch ist die Branchenübernahme insofern logisch, als daß die Digitalkonzerne somit näher an die Benutzer herankommen, um wertvolle Daten zu sammeln. Und diese bleiben nunmal der wichtigste Rohstoff im 21. Jahrhundert.

Die EU plant Gesetz gegen Datenmißbrauch

Die EU versucht derzeit mittels eines „Digital Services Act“ der Lage Herr zu werden. Unter anderem soll das neue Gesetz regeln, wie EU-Banken und andere Finanzunternehmen Cloud-Dienste nutzen. Der Druck auf die Technologiekonzerne soll erhöht werden, um einen möglichen Datenmißbrauch zu verhindern. Ein Aufsichtssystem müsse „die Stabilität des Finanzsystems der Union bewahren“ und zusammen mit einer „Überwachung der operationellen Risiken, die durch die Abhängigkeit des Finanzsystems von kritischen [ausgelagerten Dienstleistungen] entstehen können“, heißt es im Gesetzesentwurf. 

Ob aber die Kartellklage der US-Regierung Erfolg hat, steht derzeit noch in den Sternen. „Selbst eine theoretische Zerschlagung von großen Tech-Firmen wäre für Investoren kein Drama, sondern dürfte mehr Innovationen auslösen“, bemerkte dazu der südkoreanische Fondsmanager Hyun Ho Sohn kürzlich in der Börsen-Zeitung. Andererseits könnten von einer rigorosen Anwendung des Kartellrechts im schlechtesten Fall gerade nicht kleinere Anbieter, sondern chinesische Großkonzerne wie Alibaba profitieren. Ein Für und Wider dürfte auch nach der US-Wahl ein zentrales Thema bleiben. Sicher ist nur: Der Druck auf die großen Technologieunternehmen wächst.