© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/20 / 30. Oktober 2020

Sie will sich nicht unterwerfen
Nachbetrachtung: Mit dem Rauswurf seiner renommierten Autorin Monika Maron hat der S. Fischer Verlag seinen Daseinszweck verfehlt
Thorsten Hinz

Die Frankfurter Buchmesse hat in diesem Jahr bloß virtuell, in Wirklichkeit also so gut wie gar nicht stattgefunden. In dem Fall war die Intervention durch Corona ein Akt höherer Gerechtigkeit, denn die alljährlichen Selbstfeiern des Literaturbetriebs, der sich weitgehend als Transmissionsriemen der Politik und als Lautverstärker volkspädagogischer Kampagnen betätigt, waren nur noch ein Grund zum Fremdschämen.

Die Gelegenheit, in der erzwungenen Quarantäne in sich zu gehen, hat der Betrieb verpaßt. Am letzten Messetag wurde bekannt, daß der S. Fischer Verlag seiner Autorin Monika Maron nach fast 40 Jahren die Zusammenarbeit aufgekündigt hat. Nun ist die 79jährige ein Schwergewicht in der deutschen Gegenwartsliteratur; wenn eine lebende Autorin das Prädikat „renommiert“ für sich beanspruchen kann, dann Maron. Sie sei „politisch unberechenbar“, habe der Verlag ihr mitgeteilt. Das ist die Sprache des Polizeistaates, dessen Ideal die totale Berechenbarkeit der Bürger in sämtlichen Lebenslagen ist. 

Literatur, die etwas taugt, muß mehr und anderes bieten als nur Zerstreuung und die Bestätigung normierter Weltbilder und Gewißheiten. Sie strebt danach, ihrem Leser einen überraschenden Modus der Wahrnehmung und damit einen neuen Zugang zur Wirklichkeit zu vermitteln. Die ästhetische und geistige Inspiration kann auch politische Impulse freisetzen, die über die normative Wirklichkeit hinausgehen und staatliches Handeln in Frage stellen. Die Unberechenbarkeit, auch die politische, ist die natürliche Eigenschaft eines jeden ernsthaften Künstlers. Ein Verlag, der das nicht mehr duldet, hat seinen Zweck verfehlt.

Nach den Erklärungen aus dem Hause Fischer stand am Beginn der politischen Infektionskette Marons Essayband „Krumme Gestalten, vom Wind gebissen“ (JF 12/20) beziehungsweise sein Erscheinungsort, das Buchhaus Loschwitz in Dresden, seit Jahren eine literarische Referenzadresse in der sächsischen Landeshauptstadt. Mit dessen Inhaberin Susanne Dagen ist Monika Maron befreundet. Jedoch gilt Susanne Dagen als „umstritten“, seitdem sie auf der Frankfurter Buchmesse 2017 einen offenen Brief, die „Charta 2017“ initiierte, die gegen die Übergriffe auf mißliebige – „rechte“ – Verlage protestierte und vor einer „Gesinnungsdiktatur“ warnte. Dem Börsenverein des Buchhandels wurde vorgeworfen, mit dem Aufruf zu „aktiver Auseinandersetzung“ unter Nennung der Standnummern indirekt zu Gewalt aufgerufen zu haben. 

Skandalisiert wurde nun zunächst die simple Tatsache, daß Marons Essayband auch vom Buchversand des Verlags Antaios in Schnellroda vertrieben wird, allerdings nicht – wie suggeriert wurde – im Exklusiv-Vertrieb. Der Versand verschickt jedes erreichbare Buch, darunter auch Exemplare von Fischer-Autoren und sogar von feindlich gesinnten Schreibern, deren Berufsethos sich darin erfüllt, aus den Antaios-Eigenproduktionen vermeintlich braune Ingredienzien herauszufiltern. 

Als weiterer Punkt in der Anklage dient das Literarische Terzett „Aufgeblättert. Zugeschlagen – Mit Rechten lesen“, das Frau Dagen veranstaltet und an dem Ellen Kositza, die Ehefrau des Antaios-Verlegers Götz Kubitschek, als ständige Kritikerin teilnimmt. Die Gesprächsrunde ist im Internet abrufbar, der Ton ist durchweg moderat, die Auswahl der Bücher liberal.

Doch was hat das alles mit Monika Maron tun? Nun, sie hat die Distanzierung von Susanne Dagen und damit die Unterwerfung unter das gesunde Volksempfinden, wie die Medien und der Literaturbetrieb es verstehen, verweigert. „Ich grenze mich grundsätzlich nicht von Freunden ab, nur weil wir vielleicht unterschiedlicher Meinung sind“, sagte sie der Berliner Zeitung. Dagen sei „eine Oppositionelle mit einem leidenschaftlichen Sinn für Gerechtigkeit“. Maron bemängelt lediglich, daß die Buchreihe, in der ihre Essays erschienen sind, „Exil“ heißt. Sie befände sich ja nicht im Exil.

Die Verlagschefin von Fischer, Siv Bublitz, glaubt zu wissen: „Der Antaios

Verlag propagiert nicht nur nationalistische und rassistische Theorien, sondern ist auch Inspirator für den völkischen ‘Flügel’ der AfD.“ So kommt sie zu dem zwingenden Schluß: „Hier genau liegt der Kern unserer Entscheidung. Im S. Fischer Verlag können wir nicht indirekt ein publizistisches Netzwerk unterstützen, das der Tradition, der Geschichte und den Werten des Verlages widerspricht.“

Ein klarer Fall von Kontaktschuld und von „Cancel Culture“ also, dessen der Verlag sich schuldig macht. Aber nicht nur das. „Nationalistisch“, „rassistisch“, „völkisch“, dazu noch „islamophob“, „homophob“ und natürlich „rechts“ – das ist die polizeiliche Begrifflichkeit, die das intellektuelle und künstlerische Leben im Schwitzkasten hält. Ein Verlag, der das Verleger-Ethos ernst nimmt, müßte seine Autoren ermuntern, die geistige Selbstfesselung der Gesellschaft zum Thema anstatt sie sich zu eigen zu machen.

Was besagen hier die Traditionen, Werte und die Geschichte? Der von Samuel Fischer (1859–1934) gegründete Verlag stand unter den Nationalsozialisten unter schwerstem Druck. Der Schwiegersohn Gottfried Bermann Fischer ging daher 1936 nach Wien, später nach Stockholm und in die USA, wo er für die deutschsprachige Exilliteratur den Bermann-Fischer Verlag etablieren konnte.

Der berühmteste Fischer-Autor im äußeren Exil war Thomas Mann. Daneben gab es ein inneres Exil, für das der von Peter Suhrkamp geleitete Teil des Verlags zuständig war. Zur Emigration im Innern zählte Fischers Cheflektor, der Lyriker Oskar Loerke. Der berühmteste Vertreter war natürlich Gerhart Hauptmann, der 1941 in der Verlagszeitschrift Neue Rundschau den Prosatext „Das Märchen“ veröffentlichte, eine Goethe-Adaption, die in einer unheimlichen Zwischenwelt mit qualmenden Krematorien spielt, „wo man Tag und Nacht menschliche Torheit zu Asche brennt“ – eine deutliche Anspielung auf die T4-Aktion, den Mord an Geisteskranken. Ein Beispiel nur, wie die Literatur eine Stellvertreterfunktion für das sonst Unsagbare übernimmt. 

Ganz falsch ist die „Exil“-Bezeichnung auch im Fall von Monika Maron nicht. In ihren Romanen thematisiert sie den Gender-Kult, die schrankenlose Einwanderung, den Islamismus, den ideologischen Anpassungsdruck in der ach so freien Gesellschaft – Themen, die in den Medien gar nicht oder unter affirmativem „Framing“ behandelt werden. Jetzt will der S. Fischer Verlag ihr dafür kein Exil mehr gewähren. Ausschlaggebend dafür dürfte Angst sein. Die Verlautbarungen von Frau Bublitz klingen eher ängstlich als ideologisch verbohrt. Nicht jeder hat das Zeug zum Peter Suhrkamp.

Mitgeholfen, die Bluthunde auf die Spur zu setzen, hat die FAZ. Mitte August erschien dort eine ausführliche Rezension zum jüngsten Maron-Roman „Artur Lanz“ (JF 37/20), die mit Bemerkungen zum Essayband, zur „Exil“-Reihe und zu Susanne Dagen eingeleitet wird: „Die Buchhändlerin vertreibt diese eigene Buchreihe über den Antaios-Verlag des neurechten Götz Kubitschek, gegen dessen Institut laut Verfassungsschutz ‘Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung’ vorliegen.“ Den Inlandsgeheimdienst als Referenzgröße in den literarischen Diskurs einzuführen, ist allein aus ästhetischen Gründen ein Unding. Doch es ist auch bezeichnend. Außerdem darf die Schreiberin sich durch den Effekt bestätigt fühlen: Gibt man bei Google „Monika Maron“ und „Verfassungsschutz“ ein, erhält man über 6.000 Treffer. Ist es da ein Wunder, daß man bei Fischer kalte Füße bekommen hat? 

Eine gestandene Autorin wie Monika Maron wird auch das durchstehen. Für jüngere Autoren hingegen bedeutet die Affäre eine Anleitung zum gebeugten Gang. Künftige Buchmessen – wenn es sie überhaupt noch gibt – werden als Veranstaltungen für „Krumme Gestalten, vom Wind gebissen“, stattfinden.