© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/20 / 30. Oktober 2020

Auf die Heimat verzichten
Vertriebene: Den Sudetendeutschen droht die Musealisierung ihrer Geschichte
Gernot Facius

Edmund Stoiber (CSU) gab einst den Anstoß: Vor rund zwei Jahrzehnten verkündete der damalige Ministerpräsident unter großem Beifall, daß an der Hochstraße in der Münchner Au ein Sudetendeutsches Museum entstehen solle. Immer wieder geriet das Projekt ins Stocken. Nun ist das Haus endlich eröffnet. Ein Lichtblick in Corona-Zeiten.

Besucher können auf 1.200 Quadratmetern der wechselvollen Geschichte von Bayerns „viertem Stamm“ nachspüren – vom Mittelalter über die Vertreibung bis in die Gegenwart. Auf fünf Etagen bietet das Haus multimediale Einblicke in das Leben der Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg brutal aus ihrer Heimat verjagt wurden. Große Namen tauchen auf: vom Autobauer Ferdinand Porsche  über den Judenretter Oskar Schindler („Schindlers Liste“) bis hin zum Kinderbuchautor Otfried Preußler („Krabat“).

Die ganze Palette an Markenprodukten der sudetendeutschen Wirtschaft ist zu besichtigen, nicht nur die berühmten Karlsbader Oblaten, sondern auch Damenstrümpfe von Kunert, Modeschmuck aus Gablonz, Spitzen aus dem Erzgebirge und sogar das „längste Serienmotorrad“ der Welt, die „Böhmerland“  aus dem Jahr 1938; die drei Meter langen Maschinen waren die längsten je gebauten Motorräder. Und nun ja, sogar der Gartenzwerg war eine sudetendeutsche Erfindung.

„Daß Heimat auch durch den Magen geht, zeigen die vielen Mohnmühlen, die die Vertriebenen für ihre traditionelle Küche brauchten“, notierte schon vor zwei Jahren eine Autorin der Neuen Zürcher Zeitung, nachdem sie sich über die Baufortschritte informiert hatte. „Unser Gedächtnis ist hier in diesem Museum festgehalten, aber es gibt uns auch Orientierung“, schwärmte Landsmannschaft-Sprecher Bernd Posselt (CSU) und zitierte Otto von Habsburg und Franz Josef Strauß: „Wer nicht weiß, woher er kommt, der weiß nicht, wohin er geht, weil er nicht weiß, wo er ist.“

Der Freistaat Bayern als Schirmland der Deutschen aus Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien hat für das ehrgeizige Projekt 20 Millionen Euro bewilligt, der Bund stellte zehn Millionen für den „Kristallisationspunkt“ sudetendeutscher Geschichte und Kultur bereit. So schön das auch ist: Die Volksgruppe ist mit ihrem „Leuchtturmprojekt“ spät dran. Andere, selbst kleinere Landsmannschaften haben längst ihr Museum: Schlesier in Görlitz, Ostpreußen in Lüneburg, Donauschwaben in Ulm, Pommern in Greifswald.

Gedächtniskultur am Leben erhalten

Monika Grütters (CDU), Angela Merkels Kulturstaatsministerin, nannte die Einrichtung „überfällig“. Zu Recht, denn das Wissen über das Schicksal der Sudetendeutschen droht in Vergessenheit zu geraten. Wenn man so will, gab die Unionspolitikerin einen dezenten Hinweis darauf, daß die kleinen, liebevoll eingerichteten Heimatstuben, die in vielen Städten existieren, nicht allein Motor einer überzeugenden Gedächtniskultur sein können. Es ist ohnehin schwer genug, eine solche Kultur am Leben zu erhalten. Mit dem Museum, so Grütters, entstehe nun ein lebendiges Forum des Austauschs, das die „deutsch-tschechische Freundschaft“ intensiviere. Adalbert Stifters Vision eines freundschaftlichen, friedlichen Zusammenlebens unterschiedlicher Völker sei heute aktueller denn je.

Reizthemen kommen allenfalls am Rande vor

Warum ausgerechnet die Sudetendeutschen, was ein zentrales, repräsentatives Museum angeht, „Spätkommer“ sind? Darauf gab es seitens der Planer eine Erklärung: „Politisch war die Situation lange Zeit aufgeladen.“ Soll wohl heißen: Nun ist die politische Atmosphäre entspannt, nachdem die weißblaue Staatsregierung nicht müde wird, sich ihrer guten Kontakte mit Prag zu rühmen.

Das provozierte sogleich weitere Fragen. Oder muß man von Befürchtungen reden: Soll ein mit etwa 30 Millionen Euro aus Steuermitteln gefördertes hochprofessionelles Museumsprojekt der Ersatz für eine aktive politisch-moralische Verständigungspolitik sein, die auch den Interessen der Vertriebenen an einer irgendwie gearteten Heilung des an ihnen begangenen Unrechts entgegenkommt? Wird sich das „Schirmland“ Bayern von einem Eintreten für die Rechte und Forderungen der Sudetendeutschen verabschieden – polemisch ausgedrückt: die Grabplatte über alle bisherigen Bemühungen um einen wirklichen Ausgleich mit Tschechien legen? Wird mit einer Beschränkung auf Kulturpflege den Landsleuten draußen im Land signalisiert, es den Museumsplanern gleichzutun und künftig auf politische Forderungen zu verzichten? Mutiert die Sudetendeutsche Landsmannschaft nun ganz zu einem Kultur- und Folklore-Verein?

Wer die Stellungnahmen der Prominenz aus den vergangenen Monaten durchforstete, wird wahrgenommen haben, daß von den völkerrechtswidrigen Beneš-Dekreten so gut wie keine Rede mehr war. Kein Geheimnis ist, daß der bayerische „Schirmherr“, Markus Söder, die Landsmannschaft dazu bewegt hat, dieses leidige Thema nicht länger in den Vordergrund zu stellen.

Die wenigen publizistischen Beobachter der Museumseröffnung haben registriert, daß die großen politischen Reizthemen, die das sudetendeutsch-tschechische Verhältnis bis heute belasten, allenfalls am Rande der Eröffnungsfeier vorkamen. „Erhitzte Debatten oder revisionistische Töne der Vergangenheit blieben aus“, lobte der Landeskorrespondent des Deutschlandfunks. „Es ging mehr um Kultur.“ Politische Mißtöne seien von tschechischer Seite nicht zu hören, „aber auch kein Jubel“. Die Zusammenarbeit habe sich „normalisiert“. Es handele sich nicht um ein Vertreibungsmuseum, kommentierte der Münchner Merkur. Die Einrichtung sei an keiner Stelle revanchistisch. Man spüre vielleicht die Handschrift von Bernd Posselt, der vor Jahren eine „weitreichende Satzungsänderung der SL durchgesetzt hat, wodurch nun auch offiziell auf die Wiedergewinnung der früheren Heimat verzichtet wird“.

Was allerdings nur die halbe Wahrheit ist: Über die Satzungsänderung wird in der Landsmannschaft noch heute heftig gestritten – sie birgt Sprengstoff für den Zusammenhalt in der SL.