© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/20 / 30. Oktober 2020

Volkspädagogische Unterweisung
Ambivalenzen der Demokratie: Eine Ausstellung in München banalisiert den Kampf des Schriftstellers Thomas Mann gegen den Nationalsozialismus
Felix Dirsch

Zwischen den Brüdern Heinrich und Thomas Mann bestanden in ihren jüngeren Jahren heftige Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Demokratie. Der Ältere von ihnen, Heinrich, mitunter als „Zivilisationsliterat“ gescholten, bejahte sie von Anfang an. Er befürwortete sogar den Umsturz von 1918/19. Der Jüngere, Thomas, hingegen empfand die Volksherrschaft, besonders in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“, zunächst über einen längeren Zeitraum als undeutschen und westlichen Import, als unvermeidlichen Tribut an die Sieger.

Nicht wenige dürften sich daher gewundert haben, als der Verfasser des Romans „Buddenbrooks“ sich in den frühen 1920er Jahren dann unumwunden zur heftig umstrittenen Weimarer Republik bekannte. Diese Wende brachte ihm um 1930 viel Ärger ein. Nationalsozialistische Stör- und Schlägertrupps sorgten bei Thomas Manns Lesungen für Krawalle. Das intellektuelle Aushängeschild der jungen deutschen Demokratie war quasi natürlicher Todfeind besonders der Regierungsgegner auf seiten der extremen Rechten. 1933 emigrierte er mit seiner Familie aus Deutschland.

Nun sollte jedem Besucher der Ausstellung klar sein, daß sie nicht in erster Linie die Absicht verfolgt, dem Publikum die politischen Überzeugungen Manns näherzubringen. Schon am Eingang sind etliche Zitate zu lesen, die ihr volkspädagogisches Ziel verraten und in etlichen Fällen überaus banale Inhalte offenbaren: So äußert neben anderen die Historikerin Hedwig Richter, daß die derzeitige, mit vielen grundrechtlichen Einschränkungen verbundene „Quarantäne“ nicht als „Freiheitsentzug“ zu interpretieren sei, sondern als „Hochamt der Demokratie“. Was für eine Erkenntnis! Die Fernsehmoderatorin. Dunja Hayali ist dankbar für unser Land, in dem es nicht nur „ein oder zwei Parteien“ gebe. Auch die Schriftstellerin Juli Zeh darf nicht fehlen.

Eine Rückkehr nach Deutschland schloß er aus

Immerhin verdeutlicht die Strukturierung der Präsentation (Herkunft, Zeitgeist, Bekenntnis, Handeln, Verantwortung) gewisse Ambivalenzen, die auch das demokratische System nicht verbergen konnte und kann. Die Zerstörung der schwachen ersten deutschen Demokratie trieb Mann samt seiner Familie ins Exil. Vergleichbare Konsequenzen zog er dann auch aus den Exzessen des im Gegensatz dazu gefestigten amerikanischen Systems: Die antikommunistische Hatz der McCarthy-Ära bewog ihn in den frühen 1950er Jahren, nach Europa zu übersiedeln.

Zu den interessantesten Teilen der Präsentation zählt die Darstellung von Manns Angriffen auf die NS-Diktatur. Vornehmlich im Rahmen von BBC-Sendungen versuchte er deutsche Hörer mit drastischen Worten über das Regime aufzuklären. Immer wieder thematisierte er Schuld und Verantwortung der Deutschen. Entsprechende Tondokumente beeindrucken heute noch beim Anhören. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waltete der Demokratie-Missionar seines Amtes. Die Rückkehr nach Deutschland schloß er indes aus – entgegen eindringlicher Bitten. Immerhin trat er 1949 anläßlich des Goethe-Jubiläums in Frankfurt am Main und Weimar auf. Den Großdichter deutete er als Humanisten und damit als Demokraten – eine Einschätzung, die man nicht unbedingt teilen muß.

In der Ausstellung werden Einblicke in das Leben der Familie Mann an der US-Westküste gewährt, wo in den frühen 1940er Jahren deren prächtiges Wohnhaus entstand, das 2016 von der Bundesrepublik Deutschland erworben wurde. Daneben werden auch Stationen der Rezeption des berühmten Autors gezeigt. So kann man über einen Bildschirm eine Fernsehdiskussion von 1975 in Ausschnitten verfolgen, an der unter anderem der Politologe Kurt Sontheimer teilgenommen hat. Schon damals ging es um die Frage der Aktualität Manns in veränderter Situation.

Die letzte Station der Schau versucht, Impulse von Manns Kampf um demokratische Daseinsgestaltung für gegenwärtige Auseinandersetzungen fruchtbar zu machen. Man möchte der vermeintlich gefährdeten Demokratie zu Hilfe eilen. So wird die Grundstrukturierung am Ende nochmals aufgegriffen. In Form einer Reihe von Filmausschnitten versuchen die Initiatoren der Ausstellung ihr Verständnis von progressiver Demokratiegestaltung seit den 1960er Jahren darzulegen. Das entsprechende Potpourri könnte vielfältiger kaum sein. So gilt alles als demokratisch, was den linken Fortschritt fördert: Dazu zählt der Einsatz für den Erwerb deutscher Staatsangehörigkeit für Migranten wie der Kampf für legale Abtreibungen. Feministische Performance wird ebenso herausgestellt wie das Engagement von US-Footballstars gegen Rassismus. Das längst legendäre „Wir schaffen das“ ist neben einer Rede Greta Thunbergs eingeblendet, Richard von Weizsäckers Worte 1985 zum vierzigsten Jahrestag der deutschen Kapitulation erscheinen neben einer Ansprache Frank-Walter Steinmeiers in Yad Vashem im Januar 2020. Demokratische Gesinnung wird offenbar auch ausgerechnet einem Linkspartei-Politiker wie Bodo Ramelow zugeschrieben, weil der wiedergewählte Ministerpräsident von Thüringen im Frühjahr dieses Jahres dem Oppositionspolitiker Björn Höcke, der ihm gratulieren wollte, den Handschlag verweigerte. Ein nicht geringer Teil der Presse lobte dieses Verhalten.

So werden Botschaften Thomas Manns in die unmittelbare Gegenwart übertragen. Auch im Münchner Literaturhaus vermindert volkspädagogische Unterweisung die Qualität der Darbietung.

Die Ausstellung „Thomas Mann: Democracy will win“ ist bis zum 6. Januar 2021 im Münchner Literaturhaus, Salvatorplatz 1, täglich von 11 bis 18 Uhr zu sehen. Der Katalog kostet 15 Euro.

 www.literaturhaus-muenchen.de