© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/20 / 30. Oktober 2020

Bei den Grenzwächtern zur Türkei
Eine Roman über eine Gruppe von Freischärlern gegen illegale Migration und ihre Gegenspieler der Flüchtlingshilfe
Claus-M. Wolfschlag

Jurek Haslhofer ist den Freunden der schrägen Literatur bereits durch seine Romane „Die Tanten des Adjutanten“ (2017) sowie „Aus Staatsraison und anderen Gründen“ (2018) ein Begriff. Auch in seinem neuesten Werk „Eine thrakische Rhapsodie“ bleibt er seiner Linie treu. Eine bizarre, fast aus der Zeit gefallene Gesellschaft wird mit den Wirrnissen der politischen Gegenwart konfrontiert und fiebert danach, als Akteur im Spiel mitzumischen. Daß dabei auch die Konfrontation der Geschlechter wieder nicht zu kurz kommt, versteht sich für einen echten Haslhofer. Schon auf der ersten Seite wird der Leser konfrontiert: „Der Kinderwunsch ist die höchste philosophische Erkenntnis der Frau, hat mein Vater gesagt. Und: Eine Frau ohne Kinderwunsch ist ein erkenntnistheoretisches Nichts, vor dem sich jeder Mann hüten sollte. Ja, wir wissen es, Feminismus ist Kulturbolschewismus.“

Patrioten und kein Partisanengesindel

Die Geschichte spielt im Sommer 2016 an der bulgarisch-türkischen Grenze. Angehörige einer Studentenverbindung bilden als Freischärler eine private Grenzwache, um den Strom von Einwanderern nach Europa auf eigene Faust abzuwehren. Die Freischärler diskutieren über die richtige Strategie und verwerfen brutale Gewaltakte. Jura-Student Perov zieht dabei die Linie vor, aufgegriffenen Einwanderern sämtliches Hab und Gut abzunehmen und sie dann zurückzuschicken. Geld, Handys, Schuhe und Kleidung sollen dabei an Ort und Stelle verbrannt werden, um nicht den Eindruck einer Diebesbande zu erwecken. In der Praxis aber wird die Strategie deutlich abgemildert, vor allem wenn Kinder im Spiel sind. Schließlich verstehe man sich als „patriotische Widerstandskämpfer“, nichts als „kommunistisches Partisanengesindel“. In dieser angespannten Lage in der Einsamkeit der bulgarischen Berge gerät eine junge Engländerin in die Fänge der Gruppe, die als NGO-Mitarbeiterin identifiziert wird.

Haslhofers teils verwirrende Revue ungewöhnlicher Gestalten wird immer wieder durch politisch unkorrekte Hinweise auf das Zeitgeschehen unterbrochen. So äußert der Einwanderungskritiker Vurbanov in einer Diskussion über die Deutschen: „Schon immer hat der Deutsche im Ruf gestanden, besser als die anderen sein zu wollen. Wahrscheinlich führt sich der Deutsche heute, da sein Land einen äußerst niedrigen Status genießt und so gut wie von allen Seiten zwar nicht mehr offen gehaßt, aber unterschwellig geringgeschätzt, ja verachtet wird, besonders herausgefordert. (…) Und da er eben im Grunde seiner Seele nichts anders als ein widerlicher Streber ist, vollzieht er diesen Seitenwechsel gründlich, indem er die Ansichten des Feindes verinnerlicht. Seine Landsleute versuchen, einander im Deutschenhaß und in der Feindesliebe zu übertreffen.“

Jurek Haslhofer: Eine thrakische Rhapsodie. Arnshaugk Verlag, Neustadt an der Orla 2019, gebunden, 221 Seiten, 22 Euro