© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/20 / 30. Oktober 2020

Arbeit in der Contentschmiede
Vom Katalog bis zur Packungsbeilage: Viele alltägliche Texte entstehen zunehmend über Online-Agenturen
Bernd Rademacher

Der Reklametext auf der Internetseite des Baumarktes, die Produktbeschreibung im Katalog, die Gebrauchsanweisung für das Haushaltsgerät, Blogbeiträge von Unternehmen, „Advertorials“ (Werbung in Artikelformaten) – wer schreibt diesen ganzen „Content“? 

Die Inhalte produzieren immer häufiger Content-Agenturen. Dahinter steht ein Riesenheer von Lohnschreibern, die für wenige Cent Zeilen kloppen: Werbetexter mit Auftragsmangel, schlecht bezahlte Journalisten, Studenten, Hobby- und „Freelancer“-Autoren. Sie lassen sich von Firmen wie Content.de, Eology, Territory (dahinter steht Gruner + Jahr) oder C3 rekrutieren und mit Heimarbeit und schneller Honorarauszahlung locken – gerade jetzt im „Home Office“ in der Corona-Krise. Alles was man braucht, ist ein internetfähiger Rechner und zumindest sichere Rechtschreibkenntnisse.

Auftraggeber sind Online-Marktplätze wie der Otto-Versand, Portale wie Check24, aber auch konventionelle Unternehmen wie der Heiztechniker Viessmann, die Inhalte für ihre Internetseiten und Pressemitteilungen benötigen.

Ich mache den Selbsttest und melde mich als Autor bei einer der zahllosen Agenturen an. Das Verfahren ist niedrigschwellig. Man schreibt einen Probetext, nach dessen Qualität man in eine Güteklasse einsortiert wird, die das Honorar bestimmt. Ich steige in eine gehobene Kategorie ein, damit bekomme ich drei Cent pro geschriebenes Wort.

Für einen Text mit 200 Wörtern erhalte ich demnach sechs Euro. Wenn ich dafür 30 Minuten brauche, hätte ich also 12 Euro Brutto-Stundenlohn. Nicht gerade üppig für eine kreative Tätigkeit. Außerdem muß ich auch erst noch das Kundenbriefing lesen, mich mit der Materie bekanntmachen und die SEO-Regeln beachten. Denn die Texte sollen „Search Engine Optimized“ also für Internet-Suchmaschinen optimiert sein, um vordere Plätze unter den Ergebnissen von Google-Suchen zu garantieren. Dazu müssen „Keywords“ einen bestimmten Anteil des Textes ausmachen. In meinem ersten Auftragstext soll 14mal „Handtuchhalter aus Edelstahl“ vorkommen. Das macht jeden Text unlesbar und widerspricht der Ausbildung vieler Autoren und Journalisten.

Der nächste Auftrag ist besonders originell: Ein Weihnachtsgedicht mit mindestens 12 Strophen speziell für Jäger. Wer eine besondere Profession oder Passion besitzt, kann sich für ein oder mehrere Themen als „Experte“ anmelden und mit Texten zu Spezialthemen ein höheres Honorar kassieren.

Digitale Korrekturschleife

Ich spreche mit Rolf aus Westfalen. Rolf ist ehemaliger Lokalzeitungsredakteur, der schon vor Jahren wegrationalisiert wurde. Lokaler Sport war sein Ressort. Seitdem schrubbt er Texte für einen Content-Anbieter. Acht Stunden täglich, um auf einen Verdienst zu kommen, mit dem er seine Wohnung abbezahlen kann.

Morgens schreibt er Ratgeber, vormittags Bedienungshinweise, mittags Bestellanleitungen für einen Onlineshop, nachmittags Verbrauchertips und abends schnell noch einen PR-Text für Sportmarketing. Über große Gedanken philosophieren und an Formulierungen feilen kann er sich nicht leisten, er muß Menge machen.

Rolf verrät mir einen Tip: Auch Betreiber von Porno-Seiten und Bordellen kaufen Werbetexte bei Agenturen und bezahlen oft überdurchschnittlich. Wer sich dafür als „Experte“ anbietet, verdient mit Vulgärschreibe mehr als mit seriösen Produkttexten.

Doch vor der Annahme durch den Kunden und der Honorarauszahlung liegt noch eine Hürde: Der Text wird automatisch auf Plagiate geprüft. Erscheint ein grünes Häkchen mit dem Hinweis „Inhalt ist unique“, ist der Job erledigt. Moniert der Kunde Textlänge, Wortwahl oder Ausdruck, folgt noch eine Korrekturschleife.

Bevor ich versuche, im Ranking der anonymen Texter aufzusteigen und einen Cent mehr pro Wort zu verdienen, melde ich mich wieder ab. Die Fließbandproduktion von Gebrauchstexten für zwei, drei Euro pro Bedienungsanleitung oder Inhaltsangabe ist mir zu stupide. 

Aber die ebenso zahl- wie namenlosen Tastaturarbeiter, die für Centbeträge unsichtbar unsere Welt volltexten, verdienen Empathie. Denken Sie daran, wenn Sie das nächstemal eine Packungsbeilage, einen Shopping-Guide oder Werbetext für Handtuchhalter aus Edelstahl lesen.