© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/20 / 06. November 2020

Die Jugend und der Vor-Merz
CDU: Streit um Vorstandswahl ist entschärft – vorerst
Jörg Kürschner

Im Machtkampf um den Parteivorsitz kommt die CDU nicht zur Ruhe; trotz der mühsamen Einigung der drei Kandidaten Friedrich Merz, Armin Laschet und Norbert Röttgen auf einen Bundesparteitag am 16. Januar 2021. Merz hatte wegen der Verschiebung des ursprünglich für Anfang Dezember geplanten Parteitags gepoltert, das Partei-Establishment wolle ihn als neuen Vorsitzenden verhindern (JF 45/20). Kaum hatte die noch amtierende Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) die Absprache als „gutes Zeichen in die Partei“ begrüßt, da wurde das Kandidatentableau bereits wieder in Frage gestellt. 

Thüringens neuer CDU-Landeschef Christian Hirte brachte Bundestagsfraktionschef Ralph Brinkhaus als möglichen Kandidaten ins Spiel: „Ganz sicher gehört auch Ralph Brinkhaus dazu.“ Brinkhaus hatte in der vergangenen Woche eine leidenschaftliche Rede im Bundestag gehalten, in der er den Kurs der Bundesregierung in der Corona-Krise gegen scharfe Angriffe aus der Opposition verteidigt hatte. Zugleich flammte die Diskussion um einen Kandidaten wieder auf, der gar nicht auf der Liste steht: Jens Spahn. Der Bundesgesundheitsminister hat sich scheinbar klaglos Laschet als Vize untergeordnet – doch steigen seine Beliebtheitswerte bei den Deutschen und den Unionsanhängern seit Ausbruch der Corona-Pandemie stetig. Nach einer Umfrage liegt Favorit Merz mit rund 26 Prozent nur knapp vor Spahn, der auf etwa 23 Prozent kommt. Weit abgeschlagen ist Spahns Tandem-Partner Laschet mit nur acht Prozent noch hinter Außenseiter Röttgen mit rund 10 Prozent. Bisher hat Spahn vereinzelte Forderungen aus der Bundestagsfraktion zurückgewiesen, er solle seine Unterstützer-Absprache mit Laschet brechen und als eigenständiger Kandidat antreten. In der Führungsspitze der Union rechnet man nicht mit einem Wechsel der Führungsrolle. Ein solches Manöver widerstrebe dem Wunsch der Parteitagsdelegierten nach Harmonie, wird argumentiert. 

Während Merz bei Unionsanhängern seit Februar deutlich an Zustimmung verloren hat (33 statt 63 Prozent) und Spahn von knapp 28 Prozent favorisiert wird, kann der einstige Fraktionschef bei AfD- und FDP-Wählern punkten. Ende September hatten sich gut 48 Prozent der AfD-Wähler und knapp 42 Prozent der FDP-Wähler für Merz ausgesprochen. Jetzt kommt er auf 55 Prozent (AfD) und 57 Prozent (FDP). Bei der Frage nach dem gemeinsamen Kanzlerkandidaten von CDU und CSU allerdings führt CSU-Chef Markus Söder mit mehr als 40 Prozent unangefochten das Feld an. Merz erreicht nur knapp 19 Prozent der Deutschen, Spahn kommt auf 11 Prozent, Laschet und Röttgen landen vernichtend unter fünf Prozent. 

Schäuble läßt digitale Parteitage prüfen

Am Dienstag stellte zudem der Bundesvorsitzende der Jungen Union (JU), Tilman Kuban, das Ergebnis der zweiwöchigen Mitgliederbefragung des Parteinachwuchses vor (JF 44/20). Und das hat es in sich: So stimmte – wenig überraschend – eine klare Mehrheit der JU für Merz, der 51,6 Prozent der Stimmen erhielt. An zweiter Stelle jedoch rangierte erstaunlicherweise Außenpolitiker Norbert Röttgen (27,9 Prozent). Der Favorit des „Parteiestablishments“,  NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, wurde mit 19,8 Prozent der Stimmen Dritter. Das Ergebnis der Abstimmung zeige, „daß sich die junge Generation wieder mehr Unterscheidbarkeit wünscht“, interpretierte der JU-Chef das Votum und kündigte an, enstprechend auch als Delegierter der CDU abzustimmen. 

Unterdessen wird in den beiden Schwesterparteien kontrovers diskutiert, wann der gemeinsame Kanzlerkandidat nominiert werden soll. Die Tendenz geht in Richtung späterer Termin. „Ich verspüre keinen Druck aus der Öffentlichkeit, die Frage der Kanzlerkandidatur schnell zu klären“, meinte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther. „Wir haben da noch genügend Zeit.“ In der Tat steht derzeit weniger die Kanzlerkandidatenfrage im Vordergrund als technische Probleme ob der Pandemie. „Ich kann mir im Januar nur einen digitalen Parteitag mit digitaler Abstimmung vorstellen“, betonte Günther. Absagen von Parteitagen häufen sich derzeit bei allen Parteien. So mußte die Linke ihr in Erfurt geplantes Treffen und damit die Wahl einer neuen Führungsspitze verschieben. Anders dagegen die AfD. Die Führungsspitze hält bislang an ihrem Plan fest, den Bundesparteitag am 28. und 29. November mit bis zu 600 Delegierten und voraussichtlich über hundert Journalisten im nordrhein-westfälischen Kalkar abzuhalten.

Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) läßt den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags prüfen, unter welchen rechtlichen Bedingungen ein digitaler Parteitag stattfinden kann. Bislang sind zwar digitale Parteiversammlungen, aber nicht digitale Personalwahlen zulässig, weil damit geheime Wahlen nicht gewährleistet seien. Umstritten ist, ob computergestützte Vorstandswahlen auch ohne Grundgesetzänderung durch eine Anpassung des Parteienrechts möglich wären. Dann müßte der Bundestag lediglich eine Gesetzesnovelle beschließen. Die SPD hat bereits grundsätzliche Zustimmung signalisiert. Schäuble will den Fraktionen in Kürze Vorschläge für eine Rechtsänderung machen. Die Parlamentsjuristen hatten im Sommer bereits geprüft, ob eine Verschiebung der Bundestagswahl zulässig wäre. Das Votum fiel positiv aus.

Den Streit in der CDU über die Verschiebung hatte Merz zu Wochenbeginn für beendet erklärt. Zurückgeblieben ist aber eine polarisierte und verunsicherte Mitgliedschaft. So hatten sich sowohl Merz- als auch Laschet-Anhänger deutlich positioniert, was ungewöhnlich ist in der eher bedächtigen Kanzlerpartei. Merz’ Vorpreschen hatte sogar dazu geführt, daß vier Landesverbände für einen raschen Parteitag plädierten. Damit war man dem Quorum von sechs gefährlich nahe gekommen, das die Partei zum Handeln gezwungen hätte. 

AKK, der nur noch die Rolle einer moderierenden Vorsitzenden zukommt, blieb ein ernüchtertes Fazit: Als „Blick in den Abgrund“ bezeichnete sie die Auseinandersetzung in der vergangenen Woche. Der „Abgrund“ wäre aus Sicht der CDU ein Start in das  Superwahljahr mit fünf Landtags- und der Bundestagswahl ohne Vorsitzenden.

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