© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/20 / 06. November 2020

App statt Altar
Evangelische Kirche: Die ins Digitale verlegte Synode muß sich mit dem Mitgliederschwund befassen / Ratsvorsitzender Bedford-Strohm kündigt Rückzug an
Gernot Facius

Die Nachricht erfuhren die Synodalen aus den Medien: Der seit 2014 amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bayerns Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, wird 2021 nicht mehr kandidieren. Damit hat die digitale „Zukunftsdebatte“ des Kirchenparlaments an diesem Wochenende unverhofft ein weiteres Thema, das geeignet ist, die Polarisierung in der EKD zu verstärken. 

Der 60jährige wird in einem Jahr eine gespaltene Kirche hinterlassen, die – wie sogar die Bedford-Strohm freundlich gesinnte Zeit anmerkte –  eine „gewisse Tragik“ ausstrahlt und „permanente Ratlosigkeit“ produziert. Konservative, Bibeltreue, mehr und mehr an den Rand gedrängt, fordern tapfer, Pfarrer sollten ausschließlich vom Glauben reden. Progressive wollen eine „politische“ Kirche. Das „Zukunftsteam“, von Bedford-Strohm geleitet, kann nicht länger ignorieren, daß die Zukunft düster ist. Die Zahl der Kirchenmitglieder werde sich in den kommenden 40 Jahren halbieren, prophezeit die Studie „Projektion 2060“. Die Haushaltsaufwendungen müßten bis 2030 um 30 Prozent sinken, sagt der Ratsvorsitzende. 

„Bürokratische Doppelstrukturen versteht heute niemand mehr“, gibt die in der EKD engagierte Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt zu bedenken. 20 Landeskirchen, mehr als Bundesländer, auch nicht. Die aktuellen Sparüberlegungen werden manchen Protestanten irritieren: Den kirchlichen Hochschulen in Bethel und Neuendettelsau sollen bis 2030 rund 44 Prozent der Zuschüsse gestrichen werden. Die Ausbildung künftiger Pfarrer, so die offizielle Meinung, könne auch an den 19 staatlichen Fakultäten geleistet werden. Und das ist noch längst nicht alles, was momentan in kirchlichen Zirkeln „angedacht“ wird. Schließen sich die Synodalen irgendwann den Empfehlungen des „Zukunftsteams“ für die Erprobung neuer Formen von Gemeinde an, bleibt kein Stein mehr auf dem anderen. In allen Landeskirchen stehen Kirchengebäude zur Disposition. Und bald ist auch, folgt man den Reformern, endgültig Schluß mit der Aufteilung des Kirchengebietes nach Pfarrgemeinden. Es gibt dann nur noch kirchliche Praxis an wechselnden Orten, der traditionelle Sonntagsgottesdienst verliert an Bedeutung. Er müsse in Relation gesetzt werden zu den „vielen gelingenden Alternativen gottesdienstlicher Feiern“, empfiehlt das Reformpapier. 

Von Seenot-Rettung nicht abgerückt

Bildlich gesprochen: Die Kirche wandert hinaus aus dem Dorf, aus der Stadt. Eine App fände er gut, mit der sich Menschen flexibel zu kirchlichen Veranstaltungen verabreden könnten, meinte Bedford-Strohm. Das kam nicht überall gut an. Immerhin: Neben den organisatorischen und wirtschaftlichen Aspekten widmet das Strategiepapier einen Absatz der Frage: Wie politisch darf oder muß sich die Kirche äußern? Der Ratsvorsitzende versprach, „genauer hinzuschauen“, das Evangelium in den Mittelpunkt zu rücken und so evangelisches Glaubenswissen weiterzugeben. „Wo es im Grundsatz nicht um für den christlichen Glauben relevante ethische Orientierungsfragen geht, da sollten wir uns künftig zurückhalten.“ Daran wird er in den verbleibenden Monaten seiner Amtszeit gemessen werden. 

Von seinen politisch umstrittenen Seenotrettungs-Initiativen rückte er allerdings nicht ab. Begründung: Kirche müsse vor allem für die jungen Menschen wieder interessant werden. Ob man so die versprochene Zurückhaltung demonstrieren kann? In der Migrationspolitik hat Bedford-Strohm bislang legitime Gegenargumente meist ignoriert. Daß die Austrittswelle hochschnellt – allein im Jahr 2019 haben 270.000 Menschen seine Kirche verlassen –, ist auch eine Folge dieses Kurses. Viele sind mehr an einer geistigen Erneuerung und der Besinnung auf die kirchliche Kernkompetenz, die Weitergabe des Glaubens, interessiert als an einer Kirche, die sich als politischer Mitspieler oder als Sozialagentur versteht. 

Da klingt es nach einem tapferen Zwischenruf, wenn die Synodenpräsidentin Irmgard Schwätzer sagt: „Wir wollen die evangelische Vielfalt, aber mit einem stärkeren Gemeinschaftsgeist.“ Der ist wahrscheinlich nicht so leicht zu haben angesichts der Fragmentierungen im Kirchenvolk. Und es ist keineswegs neu, daß in der EKD über Reformen diskutiert wird. Der Berliner Altbischof Wolfgang Huber, einer der Vorgänger von Bedford-Strohm an der Spitze der EKD, hatte 2006 sein Impulspapier „Kirche der Freiheit“ vorgelegt.

Über Hubers Zukunftsvorstellungen wurde monatelang in interessierten Kreisen geschrieben. Nur war nach dessen Amtszeit von diesen Perspektiven kaum noch die Rede. Ob es dem Positionspapier von Bedford-Strohm ähnlich ergeht?